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Nachdem sie das Küssen wieder geübt hatten, sagte sie: »Ich glaube, wir sollten jetzt nicht mehr stehen.« Und einige Zeit später, als sie lagen, öffnete sie ihre Augen und starrte in seine weit aufgerissenen.

Als er sich hochschob, um besser Halt zu finden, zögerte er.

»Wenn ich das mache«, sagte er, »wirst du vielleicht schwanger.«

»Wenn du das nicht machst«, gab sie zurück, »glaube ich, dass ich sterbe.«

Als Janine Stunden später erwachte, war Wan schon wach und angezogen, saß an der Seite und lehnte sich an die goldgeäderte Wand. Janines Herz weitete sich. Er sah aus, als wäre er um fünfzig Jahre gealtert. Das jugendliche Gesicht schien Furchen zu besitzen, die von jahrzehntelangen Sorgen und Schmerzen eingegraben worden waren.

»Ich liebe dich, Wan«, sagte sie.

Er regte sich und sagte schrilclass="underline" »O ja …« Dann fasste er sich und senkte die Stimme zu einem Knurren. »O ja, Janine. Und ich liebe dich. Aber ich weiß nicht, was sie tun werden.«

»Vielleicht tun sie dir nichts, Wan.«

»Mir?«, sagte er verächtlich. »Du bist es, um die ich mir Sorgen mache, Janine. Ich habe hier mein ganzes Leben verbracht, und früher oder später wäre das doch geschehen. Aber du … ich mache mir Sorgen um dich.« Bedrückt fügte er hinzu: »Sie sind draußen auch sehr laut. Es ist etwas im Gange.«

»Ich glaube nicht, dass sie uns etwas tun werden – jetzt nicht mehr, meine ich«, verbesserte sich Janine, als sie an die Traumliege dachte. Die fernen, zirpenden Rufe kamen näher. Sie zog sich rasch an und schaute sich um, als Tors Stimme vor der Tür Huai ansprach.

Nichts verriet, was geschehen war. Nicht einmal ein Tropfen Blut. Aber als Tor die Tür öffnete, zerzaust und verwirrt aussehend, blieb er stehen und starrte sie argwöhnisch an, dann schnupperte er.

»Vielleicht brauche ich dich doch nicht zu befruchten, Janine«, sagte er freundlich, jedoch angstvoll. »Aber es ist etwas Schreckliches passiert. Tar ist eingeschlafen, und die alte Frau ist davongelaufen.«

Wan und Janine wurden zur Spindel geschleppt, wo sich fast alle Alten versammelt hatten. Sie wimmelten in panischer Angst durcheinander. Drei von ihnen lagen schnarchend am Boden – Tar und zwei andere von Lurvys Bewachern, Versager allesamt, fest im Schlaf ertappt und in Angst und Schande zur Aburteilung durch den Ältesten zurückgebracht. Der Älteste lag regungslos, aber wach auf seinem Sockel, während Lichtkaskaden ihn umfluteten.

Den Kreaturen aus Fleisch und Blut zeigte der Älteste nichts von seinen Gedanken. Er war Metall. Er war Furcht erregend. Man konnte ihn weder verstehen noch herausfordern. Weder Wan noch Janine noch irgendeines seiner fast hundert bebenden Kinder konnte die Angst und den Zorn erkennen, die durch seine Zirkularerinnerungen rasten. Angst, dass seine Pläne in Gefahr schwebten. Zorn, weil seine Kinder es versäumt hatten, seine Befehle auszuführen.

Die drei, die versagt hatten, würden bestraft werden müssen, damit ein Exempel statuiert wurde. Die knapp hundert anderen würden ebenfalls bestraft werden müssen  – etwas leichter, damit die Rasse nicht ausstarb –, weil sie es versäumt hatten, die drei anzuhalten, ihre Pflicht zu erfüllen. Was die Eindringlinge anging – es gab keine Strafe, die schwer genug für sie gewesen wäre. Vielleicht sollten sie beseitigt werden wie jeder andere herausfordernde Organismus, der seinen Wirt zu schädigen drohte.

Vielleicht sollte noch Schlimmeres mit ihnen geschehen. Vielleicht war nichts streng genug, was in seiner Macht stand.

Aber was stand noch in seiner Macht? Er zwang sich aufzustehen. Janine sah die Lichtwellen flackern und zu einem Muster erstarren, als der Älteste sich zu seiner vollen Größe aufrichtete und zu sprechen begann.

»Die Frau ist wieder einzufangen und aufzubewahren«, sagte er. »Das hat sofort zu geschehen.«

Er stand da und wankte unsicher; die Nervenendorgane für seine Gliedmaßen arbeiteten unvollkommen. Er ließ sich wieder auf die Knie nieder, während er über seine Wahlmöglichkeiten nachdachte. Die Anstrengung, in den Kontrollraum zu gehen und Kurs zu setzen – der Tumult in seinem Inneren, der ihn dazu veranlasst hatte –, eine halbe Million Jahre Dasein, alles hatte seinen Tribut gefordert. Er brauchte Zeit, um zu »ruhen« – Zeit, dass seine unabhängigen Systeme alle Schäden aufspüren und sie beheben konnten, so gut es ging, und vielleicht würde Zeit allein nicht mehr reichen.

»Weckt mich nicht wieder, bis das geschehen ist«, sagte er; die Lichter begannen abermals wahllos zu flackern und erloschen langsam.

Janine, umfasst von Wans Armen – er hatte den Körper halb zum Ältesten gerichtet, um sie zu schützen, während er vor Angst zitterte –, wusste, ohne es gesagt zu bekommen, dass »aufbewahrt« getötet werden hieß. Auch sie fürchtete sich.

Aber sie rätselte auch.

Die Alten, die während Prozess und Urteil weitergeschnarcht hatten, waren nicht zufällig eingeschlafen. Janine erkannte die Folgen einer Schlafpistole. Janine wusste auch, dass niemand von ihrer Gruppe eine solche besaß.

Aus diesem Grund war Janine nicht völlig überrascht, als sie eine Stunde später, nachdem sie wieder eingesperrt worden waren, draußen ein unterdrücktes Knurren hörten.

Sie war nicht erstaunt, ihre Schwester hereinstürzen zu sehen, die eine Schusswaffe schwang und sie rief, war nicht erstaunt, dass hinter Lurvy ein zerschlissen aussehender Paul über den am Boden schlafenden Tor stieg. Sie wunderte sich nicht einmal oder doch nur wenig darüber, dass sie neben ihm einen anderen bewaffneten Mann sah, den sie beinahe erkannte. Sicher war sie ihrer Sache nicht. Sie war ihm als Kind einmal begegnet. Aber er sah aus wie die Person, die sie auf den PV-Sendungen von der Erde gesehen hatte: Robin Broadhead.

Nicht zur schlimmsten Zeit – nicht einmal, als er sich älter fühlte als der Älteste und so tot wie der tote Peter – hatte Paul so schlimm ausgesehen wie das armselige Wesen, das ihn von der Luke seines eigenen Raumschiffs aus mit einer Pistole bedrohte. Unter dem zottigen, einen Monat alten Bart sah das Gesicht des Mannes wie das einer Mumie aus. Er stank.

»Sie sollten lieber baden!«, fauchte Paul. »Und legen Sie die alberne Waffe weg.«

Die Mumie sank gegen die Schiffsluke.

»Sie sind Paul Hall«, sagte sie und starrte ihn mit zusammengekniffenen Augen an. »Um Himmels willen, haben Sie etwas zu essen?«

Pauls Blick ging an ihm vorbei.

»Ist nicht noch genug da?« Er zwängte sich in das Schiff und stellte fest, dass natürlich noch Stapel von CHON-Nahrungspäckchen unberührt waren. Die Mumie hatte sich auf die Wassersäcke gestürzt und mindestens drei davon aufgerissen; der Schiffsboden war mit Pfützen übersät und schlammig. Paul hielt ihm eine Ration hin.

»Schreien Sie nicht so!«, befahl er. »Wer sind Sie überhaupt?«

»Ich bin Robin Broadhead. Was macht man damit?«

»Hineinbeißen«, fauchte Paul, dem der Geduldsfaden riss – weniger wegen des Mannes selbst oder seines Geruchs, sondern weil er immer noch zitterte. Er hatte befürchtet, es könnte ein Alter sein, auf den er so unerwartet gestoßen war. Aber … Robin Broadhead! Was machte er hier?

Doch er konnte die Frage in diesem Augenblick noch nicht stellen. Broadhead war buchstäblich am Verhungern. Er drehte das flache Nahrungsplättchen mit den Händen, stirnrunzelnd und zitternd, und biss hinein. Sofort als er feststellte, dass man das kauen konnte, schlang er es so gierig hinunter, dass die Brocken aus seinen Mundwinkeln rieselten. Er starrte zu Paul hinauf, während er seinen Mund schneller vollstopfte, als seine Zähne mit der Nahrung fertig wurden.