Das war natürlich nur eine rhetorische Frage. Ich antwortete nicht, und er wartete auch nicht. Er rutschte in eine Ecke des Flachschirms, während das Hauptbild auftauchte. Es war eine weiße Flut, geformt wie ein sehr dilettantisch gemalter türkischer Halbmond. Symmetrisch war er nicht. Der Halbmond war auf einer Seite schief, und der Rest des Bildes war leer, abgesehen von einem unregelmäßigen Lichtgesprenkel, das die Spitzen des Halbmonds ausfüllte und sie zu einer dunstigen Ellipse verlängerte.
»Zu schade, dass Sie das nicht in Farbe sehen können, Robin«, sagte Albert, von seiner Bildschirmecke herauflugend. »Es ist nicht weiß, sondern blau. Soll ich Ihnen sagen, was Sie sehen? Das ist kreisende Materie um ein sehr großes Objekt. Die Materie auf Ihrer linken Seite, die auf uns zukommt, fliegt schnell genug, um Licht abzugeben. Die Materie auf der rechten Seite, die sich entfernt, fliegt im Verhältnis zu uns langsamer. Was wir sehen, ist Materie, die sich in Strahlung verwandelt, während sie in ein außerordentlich großes Schwarzes Loch gezogen wird, das sich in der Mitte unserer Galaxis befindet.«
»Ich dachte, die Lichtgeschwindigkeit sei nicht relativ«, knurrte ich.
Er dehnte sich aus und füllte wieder den Bildschirm.
»Ist sie nicht, Robin, aber die Bahngeschwindigkeit der Materie, die es hervorbringt, ist es. Das Bild stammt aus dem Gateway-Archiv, und bis vor kurzem war die Stelle im Weltraum nicht bekannt gewesen. Aber jetzt ist klar, dass sie sich im galaktischen Kern befindet, ja ihn in gewisser Weise darstellt.«
Er machte eine Pause, während er seine Pfeife anzündete, und sah mich unverwandt an. Nun ja, das stimmt nicht ganz. Da war eine Verzögerung von Sekundenbruchteilen, und selbst Alberts Schaltungen konnten dagegen nichts tun; wenn ich mich bewegte, verblieb sein Blick so lange dort, wo ich vorher gewesen war, dass man sich beunruhigt fühlte. Ich drängte ihn nicht, und als er seine Pfeife richtig angezündet hatte, sagte er: »Robin, ich weiß oft nicht genau, welche Informationen ich Ihnen freiwillig zukommen lassen soll. Wenn Sie mir eine Frage stellen, ist das anders. Zu jedem Thema, das Sie aufwerfen, sage ich Ihnen so viel, wie ich weiß, solange Sie zuhören wollen. Ich erzähle Ihnen auch, was sein könnte, wenn Sie eine Hypothese hören wollen, und ich stelle freiwillig Hypothesen auf, wenn das entsprechend der Grenzen meines Programms angemessen erscheint. Gosposcha Laworowna-Broadhead hat für diese Art von Entscheidungen sehr komplexe normative Anweisungen geschrieben, aber vereinfacht laufen sie auf eine Gleichung hinaus. Nehmen wir ›W 1‹ als den ›Wert‹ einer Hypothese, während ›W 2‹ die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass sie wahr sei. Wenn die Summe von ›W 1‹ und ›W 2 ‹ mindestens ›1‹ beträgt, dann sollte ich die Hypothese vortragen und tue das auch. Aber wie schwer ist es, ›W 1‹ und ›W 2‹ die richtigen numerischen Werte zuzuordnen, Robin! In dem besonderen Fall, um den es jetzt geht, kann ich in keiner Weise sicher sein, welchen Wert ich der Wahrscheinlichkeit beimessen soll. Aber die Bedeutung ist sehr hoch. Praktisch kann man sie als unendlich betrachten.«
Inzwischen war ich ins Schwitzen geraten. Was ich von Alberts Programmierung genau weiß, ist, dass er um so weniger glaubt, mir gefiele, was er zu sagen hat, je umständlicher er sich gibt.
»Albert«, erklärte ich, »mach endlich weiter.«
»Klare Sache, Robin«, meinte er und nickte, »aber lassen Sie mich vorher noch sagen, dass diese Vermutung nicht nur die bekannte Astrophysik bestätigt, wenngleich auf einer sehr komplexen Ebene, sondern auch andere Fragen beantwortet, etwa die, wohin der Hitschi-Himmel flog, als Sie umkehrten, und warum die Hitschi selbst verschwunden sind. Ehe ich Ihnen die Mutmaßung nennen kann, muss ich vier Hauptpunkte anführen:
Punkt eins. Die Zahlen, die Tiny Jim als ›flotte‹ bezeichnet. Das sind numerische Vielheiten, zumeist von der Art, die ›dimensionslos‹ genannt wird, weil sie immer gleich bleiben, egal, wo Sie messen. Das Masseverhältnis zwischen Elektron und Proton. Die Dirac’sche Zahl, um den Unterschied zwischen der elektromagnetischen Kraft und der Schwerkraft auszudrücken. Die Eddington’sche Feinstruktur-Konstante. Und so weiter. Wir kennen diese Zahlen sehr genau. Was wir nicht wissen, ist, warum sie so sind, wie sie sind. Weshalb sollte die Feinstruktur-Konstante nicht, sagen wir, statt 137 einfach 150 sein? Wenn wir die Astrophysik verstehen würden – wenn wir eine vollständige Theorie hätten –, müssten wir in der Lage sein, diese Zahlen aus der Theorie abzuleiten. Wir haben auch eine gute Theorie, aber die flotten Zahlen können wir daraus nicht ableiten. Warum nicht? Besteht die Möglichkeit«, fragte er ernsthaft, »dass diese Zahlen in irgendeiner Weise zufällig sind?«
Er machte eine Pause, paffte mit seiner Pfeife und hob dann zwei Finger. »Punkt zwei. Machs Prinzip. Auch da taucht eine Frage auf, vielleicht aber eine etwas leichtere. Mein verstorbener Vorgänger«, sagte er mit einem kleinen Augenzwinkern, wohl um mich zu beruhigen, dass das nun wirklich nicht mehr so schwer sei, »mein verstorbener Vorgänger hat uns die Relativitätstheorie gegeben, die nach allgemeiner Übereinkunft bedeutet, dass alles im Hinblick auf irgendetwas anderes relativ ist, ausgenommen nur die Lichtgeschwindigkeit. Wenn Sie zu Hause am Tappan-See sind, Robin, wiegen Sie 85 Kilogramm. Das heißt, das ist ein Maß dafür, wie Sie und der Planet Erde einander anziehen; es ist in einem gewissen Sinn Ihr Gewicht relativ zur Erde. Wir haben auch eine Qualität, die ›Masse‹ heißt. Der beste Maßstab für ›Masse‹ ist die Kraft, die erforderlich ist, einen Gegenstand, sagen wir, Sie, aus dem Ruhezustand zu befördern. Wir betrachten ›Masse‹ und ›Gewicht‹ in der Regel als praktisch dasselbe, und auf der Erdoberfläche sind sie das auch, doch Masse gilt als eine wesentliche Eigenschaft der Materie, während Gewicht immer relativ zu etwas anderem ist. Aber«, sagte er mit erneutem Augenzwinkern, »unternehmen wir ein Gedankenexperiment, Robin. Unterstellen wir, Sie wären das einzige Objekt im Universum. Es gibt keine andere Materie. Was würden Sie wiegen? Nichts. Was für eine Masse hätten Sie? Ah, das ist die Frage. Unterstellen wir, dass Sie einen kleinen Düsengürtel haben und beschließen, sich zu beschleunigen. Sie messen dann die Beschleunigung und berechnen die Kraft, die Sie brauchen, um sich in Bewegung zu setzen, und gelangen so zu Ihrer Masse – tun Sie das wirklich? Nein, Robin, das tun Sie nicht. Weil es nichts gibt, woran Fortbewegung zu messen wäre. ›Bewegung‹ als Begriff ist ohne Bedeutung. Die Masse selbst hängt also nach Machs Prinzip von irgendeinem äußeren System ab. Und Machs Prinzip zufolge, wie mein Vorgänger und andere es ausgearbeitet haben, ist das bei allen anderen ›wesentlichen‹ Eigenschaften der Materie genauso, ob Energie oder Raum … eingeschlossen die ›flotten Nummern‹. Robin, ermüde ich Sie?«
»Darauf kannst du dich verlassen, Albert«, fauchte ich, »aber nur zu!«
Er lächelte und hob drei Finger.
»Punkt drei. Was Henrietta ›Punkt X‹ genannt hat. Wie Sie sich erinnern, hat Henrietta ihren Doktor nie geschafft, aber ich habe mir ihre Dissertation vorgenommen und vermag zu sagen, was sie damit gemeint hat. In den ersten drei Sekunden nach dem Urknall, also dem Beginn des Universums, wie wir es jetzt kennen, war das gesamte Universum relativ kompakt, außerordentlich heiß und vollkommen symmetrisch. Henriettas Dissertation zitierte ausführlich einen alten Cambridge-Mathematiker namens Tong B. Tang und andere; sie behaupteten, dass nach dieser Zeit, nach Henriettas ›Punkt X‹, die Symmetrie ›erstarrte‹. Alle Konstanten, die wir jetzt beobachten, wurden an diesem Punkt fixiert. Alle flotten Zahlen. Vor ›Punkt X‹ gab es sie nicht. Seitdem sind sie vorhanden und nicht veränderbar.