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»Stimmt«, nickte Essie. »Ist richtig. Aber sag mir, Robin, wie geht es deinem Bauch?«

»Den Umständen entsprechend«, antwortete ich bekümmert und fügte als Scherz hinzu: »Heutzutage bekommt man einfach keine guten Ersatzteile mehr.« Denn auch die Därme in meinem Bauch waren Transplantate, wie viele der Zubehörteile, die mein Körper brauchte, um weiterzumachen  – das sind die Vorteile des medizinischen Vollschutzes. »Aber ich spreche nicht von meiner Krankheit. Ich spreche von der Krankheit der Welt.«

»Es ist richtig, dass du das tust«, pflichtete mir Essie bei. »Aber wenn du deinen Bauch reparieren ließest, würdest du nicht so oft von solchen Sachen reden.« Sie trat hinter mich und fühlte mit der Hand meine Stirn, wobei sie geistesabwesend auf den Tappan-See hinausschaute. Essie kennt sich mit Instrumenten aus wie nur wenige Leute und besitzt auch Auszeichnungen, die das beweisen. Aber wenn sie wissen will, ob ich Fieber habe, stellt sie das auf die gleiche Art fest wie die Kinderfrau, die sie in Leningrad gehabt hatte. »Ist nicht sehr heiß«, meinte sie zögernd. »Aber was sagt Albert?«

»Albert sagt, dass du deine Hamburger unter die Leute bringen solltest.« Ich drückte ihre Hand. »Ehrlich. Mir geht’s gut.«

»Frag doch Albert! Dann weißt du es sicher«, bat sie mich. Dabei war sie mehr als beschäftigt, ihre Ladenkette auszubauen.

Ich wusste das. »Werd’ ich«, versprach ich und tätschelte ihren hinreißenden Hintern, als sie in ihr Arbeitszimmer ging. Sobald sie weg war, rief ich: »Albert? Hast du gehört?«

Im Holorahmen über meinem Schreibtisch erschien das Bild meines Datenabrufprogramms. Er kratzte sich mit dem Pfeifenstiel an der Nase. »Ja, Robin«, meldete sich Albert Einstein. »Natürlich habe ich es mitbekommen. Wie du weißt, sind meine Rezeptoren immer in Betrieb, es sei denn, dass du mich ausdrücklich bittest, sie abzuschalten, oder wenn die Situation eindeutig privat ist.«

»So, so«, meinte ich und betrachtete ihn aufmerksam. Mein Albert ist mit seinem schmuddeligen Sweatshirt, das am Hals Falten wirft, und den bis auf die Knöchel heruntergerutschten Socken nicht gerade ein betörender Dressman. Essie würde ihn blitzschnell auf Vordermann bringen, wenn ich sie darum bäte. Aber ich mochte ihn so, wie er war. »Und woher weißt du, wann die Situation privat ist, wenn du nicht hinsiehst?«

Er bewegte den Stiel der Pfeife von der Nase zum Jochbein, immer noch kratzend, immer noch lächelnd. Diese Frage war so oft gestellt worden, dass keine Antwort nötig war.

Albert ist wirklich mehr ein Freund als ein Computerprogramm. Er weiß genau, wann er nicht antworten muss, weil ich eine rhetorische Frage gestellt habe. Früher hatte ich etwa ein Dutzend verschiedener Programme. Ich hatte für das Geschäft ein Managerprogramm, das mich über meine Investitionen auf dem Laufenden hielt, ein medizinisches Programm, das mir anzeigte, wann meine Organe ersetzt werden mussten (unter anderem – ich glaube, dass dieses mit meinem Küchenchefprogramm unter einer Decke steckte, um die komischsten Pharmaprodukte in mein Essen zu schmuggeln), ferner ein Rechtsanwaltprogramm, das mir sagte, wie ich mich aus einer misslichen Lage befreien konnte, und mein altes Psychiaterprogramm, das mir erklärte, warum ich den Mist gebaut hatte, wenn ich zu tief drinsteckte. Jedenfalls versuchte es dies. Ich habe ihm aber nicht immer geglaubt. Im Laufe der Zeit habe ich mich mehr und mehr auf meinen allgemein wissenschaftlichen Ratgeber und mein Mädchen für alles, Albert Einstein, beschränkt. »Robin«, sagte er mit leichtem Tadel. »Du hast mich doch nicht bloß gerufen, um herauszufinden, ob ich ein Spanner bin!«

»Du weißt ganz genau, warum ich dich gerufen habe«, entgegnete ich. Er nickte und deutete auf die gegenüberliegende Wand meines Büros über dem Tappan-See, wo mein Gegensprechanlagen-Bildschirm war – Albert kontrolliert ihn ebenso wie alles andere, das mir gehört. Dort erschien eine Art Röntgenbild.

»Während wir uns unterhalten haben«, gestand er, »habe ich mir die Freiheit genommen, Robin, dich mit Schallimpulsen abzutasten. Sieh mal! Das ist dein letztes Darmtransplantat. Wenn du genau hinschaust – warte, ich werde es vergrößern –, kannst du den gesamten Entzündungsbereich erkennen. Ich befürchte, dass du es abstößt. Leider.«

»Um das zu wissen, hätte ich dich nicht gebraucht«, fuhr ich ihn an. »Wie lange?«

»Ehe es kritisch wird, willst du wissen? Ja, Robin«, erklärte er mit großem Ernst. »Das ist schwierig zu sagen. Medizin ist schließlich keine exakte Wissenschaft …«

»Wie lange?«

Er seufzte. »Ich kann dir eine Schätzung für Minimum und Maximum geben. Katastrophales Versagen ist für die nächsten vierundzwanzig Stunden so gut wie ausgeschlossen, aber in sechzig Tagen so gut wie sicher.«

Ich entspannte mich.

Das war nicht so schlimm, wie es hätte sein können. »Dann habe ich also noch etwas Zeit, ehe es ernst wird.«

»Nein, Robin«, widersprach er. »Es ist bereits ernst. Das Unbehagen, das du spürst, wird sich noch verstärken. Du solltest auf alle Fälle mit der medizinischen Behandlung anfangen. Aber trotz aller Medikamente lautet die Prognose: heftige Schmerzen, und zwar bald.« Er machte eine Pause und beobachtete mich. »Aus deinem Gesichtsausdruck schließe ich, dass du den Eingriff aus einer Marotte heraus so lange wie möglich aufschieben willst.«

»Ich möchte die Terroristen aufhalten!«

»Ja, sicher!«, stimmte er mir zu. »Ich weiß, dass du das willst. Es ist ja auch ein triftiger Grund, wenn ich mein Werturteil abgeben darf. Und gerade deshalb willst du auch nach Brasilien, um bei der Gateway-Kommission zu intervenieren.« – Das wollte ich wirklich. Die schlimmsten Verbrechen der Terroristen wurden von einem Raumschiff aus begangen, das bisher keiner erwischen konnte. – »Ferner willst du sie dazu bringen, ihre Daten auszutauschen, damit sie die Terroristen ernsthaft bekämpfen können. Ja, und von mir willst du die Zusicherung, dass der Aufschub der Behandlung dich nicht umbringen wird.«

»Ganz genau, mein lieber Albert!« Ich lächelte.

»Diese Zusicherung kann ich dir geben«, sagte er mit großem Ernst. »Zumindest kann ich deinen Zustand überwachen, bis die Sache akut wird. Dann aber musst du dich sofort einer neuen Operation unterziehen.«

»Einverstanden, mein lieber Albert.« Ich lächelte erneut, doch er erwiderte mein Lächeln nicht.

»Aber trotzdem glaube ich nicht, dass du nur einzig und allein deshalb den Austausch aufschieben willst«, vermutete er. »Du hast doch noch etwas anderes im Sinn.«

»Ach, Albert«, stöhnte ich. »Wenn du Sigfrid Seelenklempner spielst, gehst du mir auf den Wecker. Sei lieb und schalte dich ab!«

Mit sorgenvoller Miene tat er es. Er hatte auch allen Grund, so bekümmert dreinzuschauen. Schließlich hatte er Recht.

Und tief in meinem Innern, an dieser nicht lokalisierbaren Stelle, an der die unausrottbaren Schuldgefühle lauern, die auch Sigfrid Seelenklempner nicht beseitigen konnte, hegte ich die Überzeugung, dass die Terroristen im Recht waren. Natürlich nicht in dem Sinne, Leute umzubringen, sie in die Luft zu jagen oder in den Wahnsinn zu treiben. Das bleibt immer Unrecht. Ich meine, dass sie einen berechtigten Grund zur Klage zu haben glaubten, einen sündhaften, ungerechten Hass auf die restliche Menschheit. Deshalb hatten sie das Recht, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Ich wollte den Terroristen nicht Einhalt gebieten. Ich wollte sie heilen.