Es sei denn, man war ein qualifizierter Pilot, und einer der Schiffsoffiziere entschied sich, auf Peggys Planet zu bleiben. Dann konnte man den Rückflug abarbeiten. Walthers hatte sich für diese Lösung entschieden. Er hatte keine blasse Ahnung, was er tun würde, wenn er wieder auf der Erde war. Er wusste nur, dass er unter keinen Umständen in dem leeren Appartement bleiben konnte, nachdem Dolly ihn verlassen hatte. Er verkaufte sämtliche Möbel und einigte sich in den paar Minuten zwischen den Transportflügen mit dem Kapitän der S. Ya. Dann ging es los. Eigentlich fand er es merkwürdig, ja unangenehm, dass dieser Rückflug, der ihm als völlig unmöglich erschienen war, als Dolly ihn darum gebeten hatte, nun die einzige Alternative darbot, nachdem er von ihr verlassen worden war. Aber, wie er schon festgestellt hatte, war das Leben oft merkwürdig und unangenehm.
Er ging also in der letzten Minute an Bord der S. Ya. Vor Erschöpfung zitterte er. Da ihm noch zehn Stunden bis zum Dienstantritt blieben, schlief er erst einmal. Trotzdem war er noch ganz kaputt und vielleicht auch durch die seelische Erschütterung wie betäubt, als ihm ein fünfzehnjähriger gescheiterter Kolonist eine Tasse Kaffee brachte und ihn in den Kontrollraum des interstellaren Transportschiffes S. Ya. Broadhead, vormals Hitschi-Himmel, führte.
Wie riesig dieses verdammte Ding war! Von außen sah es gar nicht so aus, aber diese langen Korridore, diese Abteile mit zehn Etagenbetten übereinander, die jetzt leer standen, diese bewachten Laufgänge und Hallen mit unbekannten Maschinen oder Sockeln, von denen man die Maschinen abmontiert hatte – solche Weiträumigkeit hatte Walthers noch nie bei einem Raumschiff erlebt! Sogar der Kontrollraum war riesig. Alle Steuervorrichtungen waren doppelt vorhanden. Walthers hatte schon Hitschi-Schiffe geflogen – so war er zu Peggys Planet gelangt, als Pilot eines umgebauten Fünfers. Hier waren die Geräte fast die gleichen, nur gab es sie in zweifacher Ausführung. Wenn nicht beide Plätze bemannt waren, konnte der Transporter nicht fliegen. »Willkommen an Bord, Siebter!« Die zierliche, asiatisch aussehende Frau lächelte ihm vom linken Sitz aus zu. »Ich bin Janie Yee-xing, Dritter Offizier. Sie sind meine Ablösung. Kapitän Amheiro muss jeden Augenblick kommen.« Sie bot ihm keine Hand zum Gruß. Walthers hatte das erwartet. Ständig zwei Piloten im Einsatz hieß, dass diese ihre Hände auch ständig an den Instrumenten hatten. Sonst flog der Vogel nicht. Er wäre zwar nicht abgestürzt, aber er würde nicht auf dem richtigen Kurs mit der nötigen Beschleunigung bleiben.
Ludolfo Amheiro kam herein. Er war ein untersetzter, nicht sehr großer Mann mit grauen Koteletten und neun blauen Armspangen über dem linken Handgelenk – nur wenige Leute trugen diese heutzutage noch. Walthers wusste, dass jede von ihnen einen Flug an Bord eines Hitschi-Schiffes bedeutete, und zwar zu der Zeit, als man nie wusste, wohin einen das Schiff führen würde. Hier war ein Mann mit Erfahrung! »Freu’ mich, Sie an Bord zu haben, Walthers«, sagte er von oben herab. »Kennen Sie sich mit der Wachablösung aus? Ist ziemlich einfach. Wenn Sie Ihre Hände auf die Yee-xings auf dem Steuer legen …« Walthers nickte und tat, was er ihm auftrug. Ihre Hände fühlten sich warm und weich an, als sie sie vorsichtig unter seinen herauszog. Dann rutschte sie mit ihrem niedlichen Hintern vom Pilotensitz, um Walthers Platz zu machen. »Das wär’s, Walthers!«, meinte der Kapitän zufrieden. »Der Erste Offizier, Madjhour, wird das Schiff fliegen.« Er winkte dem dunklen, lächelnden Mann zu, der sich gerade auf den rechten Sitz geschoben hatte. »Er wird Ihnen alles Nötige erklären. Jede Stunde haben Sie zehn Minuten Pinkelpause … Ja, das wär’s dann wohl. Essen Sie doch heute mit mir zu Abend, wenn Sie Lust haben.«
Diese Einladung wurde durch ein Lächeln des Dritten Offiziers Janie Yee-xing noch untermauert. Walthers war selbst erstaunt, während er den Erklärungen Ghazi Madjhours zuhörte, dass bereits zehn Minuten vergangen waren, seit er zum letzten Mal an die weggelaufene Dolly gedacht hatte.
Ganz so einfach war es aber nicht. Fliegen blieb Fliegen. Das verlernte man nicht. Aber mit der Navigation war das schon anders, besonders da eine Menge der alten Hitschi-Navigationskarten entschlüsselt worden waren – jedenfalls zum Teil –, während Walthers Schafhirten und Prospektoren auf Peggys Planet herumgeflogen hatte.
Die Sternkarten der S. Ya. waren weit komplizierter als die, welche Walthers auf dem Hinflug benutzt hatte. Es gab zwei Versionen. Die interessantere war die der Hitschi. Auf diesen Karten waren merkwürdige goldene und graugrüne Markierungen eingezeichnet, deren Bedeutung nur teilweise bekannt war. Aber es war wirklich alles eingetragen. Die andere wies sehr viel weniger Details auf, war aber für menschliche Wesen viel zweckdienlicher. Sie war von Menschen erstellt worden und trug englische Beschriftung. Außerdem musste das Schiffslog kontrolliert werden, das automatisch alles aufzeichnete, was das Schiff tat oder sah. Ferner gab es noch die vielen Anzeigen des ganzen internen Systems – die gingen zwar den Piloten nichts an. Wenn aber etwas schief ging, musste er das wissen. All das war natürlich für Audee neu.
Das Erlernen dieser neuen Fachkenntnisse hielt Walthers ganz schön in Trab, was ihm nur recht war. Janie Yee-xing war seine Lehrerin, was ihm auch sehr recht war, weil sie seine Gedanken in andere Bahnen lenkte … außer in den schlimmen Minuten, ehe er einschlief.
Da sich die S. Ya. auf der Heimreise befand, war sie beinahe leer. Über dreitausendachthundert Kolonisten waren zu Peggys Planet hinausgeflogen. Beim Rückflug waren da nur die drei Dutzend Menschen, aus denen die Mannschaft bestand, die militärischen Sonderkommandos, die von den vier leitenden Nationen der Gateway AG unterhalten wurden, und etwa sechzig gescheiterte Immigranten, die eigentliche Fracht. Sie hatten sich finanziell völlig entblößt, um hinauszufahren. Jetzt schufteten sie verdrossen und noch mehr pleite, um wieder in die Wüste oder den Slum zurückzukehren, vor dem sie geflohen waren. Als es hart auf hart ging, hatten sie das Pionierleben in einer neuen Welt einfach nicht gepackt. »Arme Schweine«, murmelte Walthers, als er einem Arbeitstrupp auswich, der mit dem apathischen Schneckentempo von Sklaven Luftfilter reinigte. Aber Yee-xing stimmte ihm keineswegs bei.
Die Entschlüsselung der Hitschi-Karten war äußerst schwierig, vor allem, da es Hinweise gab, dass sie absichtlich so verwirrend aufgezeichnet worden waren. Außerdem gab es nicht viel, woran man sich halten konnte. Zwei oder drei Fragmente, die auf Schiffen wie dem so genannten Hitschi-Himmel gefunden wurden, und ein fast vollständiges Exemplar in einem Artefakt, das einen gefrorenen Planeten um einen Stern im Bootes umkreist. Meiner ganz persönlichen Meinung nach, die allerdings von den offiziellen Berichten der Kartographischen Studienkommission nicht geteilt wurde, sollten viele der Halos, Kreuze und aufflackernden Zeichen als Warnsignale dienen. Robin hat mir damals nicht geglaubt. Er sagte, ich sei ein feiger Pudding aus herumgewirbelten Photonen. Als er mir dann zustimmen musste, war es nicht mehr wichtig, wie er mich nannte.
»Verschwenden Sie kein Mitleid an die, Walthers! Sie hatten ihre Chance. Sie haben sie aber nicht genutzt, sondern feige aufgegeben.« Auf kantonesisch fuhr sie die Arbeiter an, die daraufhin widerwillig einen Augenblick lang ihr Tempo um Bruchteile erhöhten.
»Sie können den Leuten doch keinen Vorwurf machen, wenn sie Heimweh haben.«
»Heimweh! Mein Gott, Walthers, Sie reden, als ob die je ein ›Heim‹ zurückgelassen hätten … Sie sind zu lange draußen im Busch gewesen.« Sie blieb bei der Gabelung zweier Korridore stehen. Der eine glänzte blau von den Spuren des Hitschi-Metalls, der andere golden. Sie winkte den bewaffneten Wachposten zu, welche die Uniformen Chinas, Brasiliens, der Vereinigten Staaten und der Sowjetunion trugen. »Sehen Sie bei denen Verbrüderung?«, fragte sie. »Früher haben sie das nicht ernst genommen. Sie und die Mannschaft waren wie Kumpels. Sie trugen nie Waffen. Für sie war es nur eine kostenlose Kreuzfahrt durchs All. Aber jetzt!« Sie schüttelte den Kopf. Dann packte sie blitzschnell Walthers’ Arm, als er weiter auf die Wachen zugehen wollte. »Warum hören Sie mir nicht zu, Mann?«, fuhr sie ihn an. »Sie kommen in Teufels Küche, wenn Sie versuchen, da hineinzukommen!«