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Es war bei den Hitschi nicht üblich, beim Empfangen eines Befehls zu salutieren. Es war auch nicht üblich, darüber zu diskutieren. Man konnte das Ausmaß der Verwirrung an Bord dieses Schiffes nur daran ablesen, dass White-Noise fragte: »Sind Sie sicher, dass wir das tun sollen?«

»Mach’s!«, schnaubte der Kapitän und zuckte verärgert zusammen.

Es war eigentlich nicht ein Zucken, sondern eine schnelle Kontraktion seines harten, kugelförmigen Abdomens. Twice starrte bewundernd auf die niedliche Ausbuchtung und sah, wie die zähen, langen Sehnen und Muskelstränge sich von den Schultern zu den Handgelenken hinabzogen. Man hätte sie fast mit den Fingern ganz umschließen können!

Zu ihrem Schreck erkannte Twice, dass ihre Zeit für die Liebe näher war, als sie gedacht hatte. Wie unpraktisch! Der Kapitän würde ebenso ärgerlich sein wie sie, da sie eigens für anderthalb Tage Pläne geschmiedet hatten. Twice öffnete den Mund, um es ihm zu sagen, machte ihn aber wieder zu. Jetzt war nicht der Augenblick, ihn damit zu belasten. Er schloss gerade die Gedankenvorgänge ab, die seine Wangenmuskeln arbeiten ließen. Finster dreinblickend bereitete er sich darauf vor, seine Befehle zu erteilen.

Der Kapitän hatte dabei jede Menge Unterstützung. In der Galaxis gab es mehr als tausend geschickt getarnte Hitschi-Artefakte. Sie waren – anders als auf Gateway – nicht dazu bestimmt, früher oder später entdeckt zu werden. Sie waren auf nicht viel versprechend aussehenden Asteroiden versteckt, die sich auf unzugänglichen Umlaufbahnen, zwischen den Sternen oder zwischen Anhäufungen anderer Objekte in Staub- oder Gaswolken befanden. »Twice«, befahl er, ohne sie anzusehen. »Aktiviere ein Befehlsschiff! Wir werden uns mit ihm am Segelschiffpunkt treffen.«

Sie war durcheinander, wie er bemerkte. Das tat ihm Leid, überraschte ihn aber nicht – um ehrlich zu sein, auch er war durcheinander! Er ging zurück zum Kommandoplatz und ließ seine Beckenknochen auf die vorstehenden Y-Flansche sinken. Der Beutel mit dem Lebenserhaltungssystem passte genau in den freien Winkel dazwischen.

Da bemerkte er, dass sein Kommunikationsoffizier sich mit besorgtem Gesicht zu ihm herunterbeugte. »Ja, Shoe? Was ist los?«

Shoes Bizeps bog sich ehrerbietig. »Die …«, stammelte er. »Die … die Meuchelmörder …«

Dem Kapitän schoss die Angst wie ein Elektroschock durch und durch. »Die Assassinen?«

»Ich glaube, es besteht die Gefahr, dass sie aufgescheucht werden«, vermutete Shoe bedrückt. »Die Eingeborenen unterhalten sich über Nullgeschwindigkeitsfunk.«

»Unterhalten? Willst du damit sagen, sie senden Nachrichten? Wen meinst du überhaupt? – Geballte Gehirne!«, schrie der Kapitän und sprang aus seinem Sitz hoch. »Du glaubst, dass die Eingeborenen Nachrichten über galaktische Entfernungen senden?«

Shoe ließ den Kopf hängen. »Ich befürchte, ja, Kapitän. Ich weiß natürlich noch nicht, was sie sagen … aber die Kommunikation ist sehr rege.«

Der Kapitän schüttelte kraftlos die Fäuste, um zu zeigen, dass er nichts mehr hören wollte. Nachrichten senden! Quer durch die Galaxis! Wo jeder zuhören konnte! Wo besonders gewisse Leute, von denen die Hitschi hofften, dass sie nicht aufgescheucht würden, zuhören konnten. Und darauf reagierten! »Stelle sofort Übersetzungsmatrizen mit den Gehirnen her!«, befahl er. Dann ließ er sich trübsinnig wieder in den Sitz sinken.

Diese Mission war verhext. Der Kapitän machte sich keine Hoffnungen mehr auf eine Vergnügungsreise, ja nicht einmal mehr auf die Genugtuung, eine kleinere Aufgabe gut zu lösen. Für ihn gab es jetzt nur die eine große Frage: Wie komme ich durch die nächsten Tage?

Aber bald würden sie in das haifischförmige Befehlsschiff einlaufen, das schnellste der Hitschi-Flotte, mit sehr viel Technik ausgestattet. Dann würden seine Aussichten steigen. Es war nicht nur größer und schneller, es trug auch eine Reihe von Geräten, die es auf seinem jetzigen Durchbrecher nicht gab. Ein TPSE. Lochschneider wie die, welche seine Vorfahren benutzt hatten, um den Gateway-Asteroiden und die Gänge in der Venus auszuhöhlen. Ferner eine Vorrichtung, mit deren Hilfe man in die Schwarzen Löcher eindringen konnte, um zu sehen, was es dort zu holen gab – es lief ihm kalt über den Rücken. Möge es den Geballten Gehirnen der Vorfahren nicht einfallen, das einzusetzen! Aber es würde zu seiner Verfügung stehen. Und er würde noch tausend andere nützliche Ausrüstungsgegenstände haben …

Allerdings nur, wenn man davon ausging, dass das Schiff noch einsatzfähig war und sie am Rendezvous-Punkt treffen würde.

Die Artefakte, die die Hitschi zurückgelassen hatten, waren wirksam, stark und langlebig. Sie waren so gebaut, dass sie, von Unfällen abgesehen, wenigstens zehn Millionen Jahre überdauerten.

Aber Unfälle ließen sich nicht vermeiden. Eine nahe Supernova, ein kaputtes Teil, sogar ein zufälliger Zusammenstoß mit einem anderen Objekt – man konnte die Artefakte zwar gegen fast alle Risiken panzern, aber nach unendlicher, astronomischer Zeitrechnung ist »fast alles« kaum mehr als »nichts«.

Wenn das Befehlsschiff nun versagte? Und wenn es kein anderes gab, das Twice erreichen und zum Rendezvous führen konnte?

Die Hitschi lernten schon recht früh in ihrer technischen Entwicklung, die Intelligenzen von toten oder sterbenden Hitschi in nichtorganischen Systemen zu speichern. Auf diese Weise wurden auch die Toten Menschen gelagert, die dem Knaben Wan Gesellschaft leisteten. Es war eine Anwendung dieser Technologie, die zu Robins Jetzt-und-Später-Firma führte. Für die Hitschi mag das ein Fehler gewesen sein (wenn ich hier eine möglicherweise nicht unvoreingenommene Meinung äußern darf). Da sie in der Lage waren, sich der toten Gehirne ihrer Hitschi-Vorfahren zu bedienen, um Daten zu speichern und auszuwerten, waren sie auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz-Systeme nicht sehr gut, die weit mehr ausrichten können und auch flexibler sind. Wie – nun ja – wie ich.

Der Kapitän ließ sich tief in diese deprimierenden Vorstellungen fallen. Es gab einfach zu viele Wenns. Und die Konsequenzen aus jedem dieser Wenns waren einfach zu unangenehm, um sie sich vor Augen zu führen.

Es war nicht ungewöhnlich für den Kapitän oder andere Hitschi, deprimiert zu sein. Sie hatten es sich auch ehrlich verdient.

Als Napoleons Große Armee aus Moskau zurückkroch, waren ihre Feinde kleine, angriffslustige Kavallerietrupps, der russische Winter – und Verzweiflung.

Als Hitlers Wehrmacht sich hundertdreißig Jahre später ebenfalls geschlagen aus Russland zurückziehen musste, waren die Hauptschrecken die sowjetischen Panzer und die Artillerie, der russische Winter – und wieder Verzweiflung. Sie wich geordneter und mit größeren Verlusten für den Feind zurück, nicht aber mit größerer oder geringerer Verzweiflung. Jeder Rückzug ist eine Art Leichenzug, und der Verstorbene ist die Zuversicht. Die Hitschi hatten zuversichtlich erwartet, eine Galaxis zu erobern. Als sie sich ihr Versagen eingestehen mussten und mit dem riesigen, interstellaren Rückzug begannen, war das Ausmaß ihrer Niederlage gewaltiger als irgendetwas, das die Menschheit je gekannt hatte. Und die Verzweiflung schlich sich in alle Hitschi-Seelen.

Die Hitschi spielten ein äußerst kompliziertes Spiel. Man hätte es einen Mannschaftssport nennen können. Allerdings waren sich nur einige der Spieler bewusst, zur Mannschaft zu gehören. Die Strategie war begrenzt. Nur das Ziel des Spiels stand fest: Wenn sie als Rasse überleben konnten, würden sie gewinnen.

Aber auf dem Spielfeld bewegten sich so viele Figuren! Und die Hitschi hatten so wenig Kontrolle. Sie konnten das Spiel eröffnen. Griffen sie aber danach direkt ins Spielgeschehen ein, stellten sie sich bloß. Und damit wurde das Spiel gefährlich.

Jetzt war der Kapitän am Zug. Er kannte das Risiko, auf das er sich einließ. Er konnte der Spieler sein, der für die Hitschi das Spiel ein für alle Mal verlor.