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»Wie langweilig«, bemerkte Walthers bei dieser Vorstellung.

»Für Sie und mich«, stimmte ihm der Verkäufer zu. »Aber nicht für die Patienten. Sehen Sie, sie erinnern sich an die programmierten Erfahrungen nicht sehr lange. Diese Datenspeicher sind einer beschleunigten Zerfallneigung ausgesetzt. Andere Erinnerungen sind davon nicht betroffen. Wenn Sie sich mit einem Ihrer Lieben heute unterhalten und im nächsten Jahr wiederkommen, erinnert er sich genau. Sie können mit der Unterhaltung am selben Punkt fortfahren. Aber die programmierten Erfahrungen schwinden sehr schnell in der Erinnerung – zurück bleibt lediglich ein vages Gefühl des Wohlbefindens. Deshalb wollen sie es immer wieder genießen.«

»Grauenvoll«, sagte Yee-xing. »Audee, es wird Zeit, dass wir zurück zum Hotel gehen.«

»Noch nicht, Janie. Wie war das mit den Gesprächen?«

Die Augen des Verkäufers funkelten. »Selbstverständlich geht das. Einige genießen diese Unterhaltungen. Sie sprechen sogar mit Fremden. Haben Sie einen Moment Zeit? Es ist wirklich ganz einfach.« Bei den letzten Worten führte er sie zu einer PV-Konsole. Dann blätterte er in einem Verzeichnis, das in Seide gebunden war, und tippte eine Reihe von Kodezahlen ein. »Mit einigen habe ich mich richtig angefreundet«, gab er leicht verlegen zu. »Wenn im Geschäft nichts los ist, ruf’ ich sie, und wir plaudern ein bisschen. – Ah, Rex! Wie geht’s?«

»Ausgezeichnet«, entgegnete der gut aussehende, gebräunte ältere Herr, der auf dem PV erschien. »Wie nett, Sie wieder zu sehen! Ich glaube nicht, dass ich Ihre Freunde kenne.« Freundlich betrachtete er Walthers und Yee-xing. Wenn es ein ideales Aussehen für einen Mann gab, der über ein gewisses Alter hinaus ist, dann seines. Er hatte volles Haar und schien auch noch alle Zähne zu besitzen. In den Augenwinkeln zeigten sich Lachfältchen, ansonsten aber war sein Gesicht glatt. Die Augen strahlten warm. Er nahm die Namen der beiden Besucher höflich zur Kenntnis. Auf die Frage, was er so mache, meinte er nur bescheiden: »Ich singe die Carmina Catulli mit der Wiener Staatsoper.« Er zwinkerte. »Die erste Sopranistin ist bildhübsch. Ich glaube, diese sinnlichen Texte sind ihr bei den Proben ganz schön unter die Haut gegangen.«

»Erstaunlich«, gab Walthers zu und starrte ihn an. Janie Yee-xing war weniger hingerissen.

»Wir wollen Sie wirklich nicht von Ihrer Musik abhalten«, versuchte sie höflich, die Unterhaltung zu beenden. »Und wir müssen auch wieder weiter.«

»Die warten auf mich«, erwiderte Rex. »Das tun sie immer.«

Walthers war fasziniert. »Sagen Sie mir doch bitte«, fragte er. »Wenn Sie von Gesellschaft in … hm, diesem Zustand, sprechen, kann man sich dann jeden aussuchen, den man um sich haben will? Auch wenn der Betreffende noch lebt?«

Die Frage richtete sich eigentlich an den Verkäufer, aber Rex antwortete zuerst. Verschmitzt schaute er Walthers verständnisvoll an. »Jeden«, gab er Bescheid und nickte ihm zu, als wolle er ihn ins Vertrauen ziehen. »Jeden, ganz gleich, ob er lebt, tot ist oder nur in der Einbildung existiert. Und, Mr. Walthers, die Person tut alles, was Sie wollen!« Er lachte leise in sich hinein. »Wie ich schon immer gesagt habe: Das, was Sie ›Leben‹ nennen, ist nur eine Art Vorspiel zur wirklichen Existenz, die Ihnen hier geboten wird. Ich verstehe nicht, warum die Leute so lange damit warten.«

Die »Jetzt und Späters« waren mir von all den kleinen Unternehmen die liebsten, und nicht, weil sie viel Geld einbrachten. Als wir entdeckten, dass die Hitschi tote Gehirne in Maschinen lagern konnten, ging mir ein Licht auf. Hör mal, sagte ich zu meiner lieben Frau, wenn die das können, warum wir nicht auch? Hör mal, sagte meine liebe Frau zu mir, kein Problem, Robin. Gib mir nur etwas Zeit, damit ich es entschlüsseln kann. Ich war noch nicht entschlossen, ob oder wann ich es bei mir selbst durchführen lassen würde. Ich wusste aber ganz genau, dass ich es nicht für Essie wollte, wenigstens damals noch nicht. Daher war ich froh, dass die Kugel ihr nur einen Nasenstüber versetzt hatte.

Naja, ganz war die Angelegenheit damit nicht erledigt. Wir kamen dadurch mit der Polizei von Rotterdam in Berührung. Der uniformierte Sergeant stellte uns dem Brigadier vor, der uns mit Blaulicht auf die Wache fuhr und Kaffee anbot. Dann brachte uns Brigadier Zuitz ins Büro von Inspektor Van Der Waal, einer großen, stattlichen Frau mit altmodischen Kontaktlinsen, die ihre Augen weit heraustreten ließen. Sie zeigte viel Mitgefühl. Das war ja schrecklich für Sie, Mijnheer, und ich hoffe, Ihre Wunde schmerzt nicht zu sehr, Mevrouw! Sie führte uns eine Treppe – Treppe! – hinauf ins Büro von Commissaire Lutzlek, der wieder ein ganz anderer Vogel war. Nicht groß. Schlank. Blond, mit einem lieben Jungengesicht, obwohl er wenigstens fünfzig sein musste, um ein Principal Commissaire zu werden. Man konnte sich gut vorstellen, wie er seinen Daumen in den Deich steckte und – wenn es nötig war – ewig drinnen ließ, oder bis er ertrank. Man konnte sich aber nicht vorstellen, dass er aufgab. »Vielen Dank, dass Sie wegen dieses Vorfalls auf dem Stationsplein vorbeigekommen sind«, begrüßte er uns und bot uns Platz an.

»Ein Unfall«, gab ich an.

»Nein. Leider kein Unfall. Wenn es ein Unfall gewesen wäre, hätte sich die Stadtpolizei damit zu befassen, nicht ich. So muss ich Sie aber um Ihre Mithilfe bitten.«

Ich wollte ihn in die Schranken weisen, daher sagte ich: »Unsere Zeit ist zu kostbar, um sie mit solch einer Lappalie zu vergeuden.«

Er ließ sich aber nicht zurechtweisen. »Ihr Leben ist noch kostbarer.«

»Nun machen Sie mal halblang! Einer der Soldaten in der Parade wirbelte sein Gewehr. Das war geladen, und ein Schuss ging los!«

»Mijnheer Broadhead«, belehrte er mich. »Erstens, keiner der Soldaten hatte sein Gewehr mit scharfer Munition geladen. Außerdem haben die Gewehre keine Schlagbolzen. Zweitens, die Soldaten sind gar keine Soldaten, sondern Studenten, die man für die Paraden in Kostüme steckt, wie die Wachen am Buckingham Palace. Drittens, der Schuss kam nicht aus der Parade.«

»Woher wissen Sie das?«

»Weil man die Waffe gefunden hat.« Er sah wütend aus. »In einem Polizeispind! Das ist mir außerordentlich peinlich, Mijnheer, wie Sie sich vorstellen können. Für die Parade hatte man eine Menge zusätzlicher Polizisten zusammengezogen. Sie benutzten einen Umkleidewagen. Der ›Polizist‹, der den Schuss abgefeuert hat, war den anderen in der Einheit nicht bekannt. Aber sie kamen aus allen möglichen Abteilungen. Da er nach der Parade schnell verschwinden wollte, zog er sich um und ließ in der Eile beim Weggehen die Tür des Spinds offen. Darin waren lediglich die Uniform – gestohlen, nehme ich an –, das Gewehr und ein Foto von Ihnen. Nicht von Mevrouw. Von Ihnen.«

Er lehnte sich zurück und wartete. Das nette Jungengesicht war friedlich.

Das war ich aber nicht. Es dauerte eine Minute, bis mein Verstand diese Eröffnung akzeptierte, dass jemand die feste Absicht hatte, mich umzulegen. Es jagte mir Angst ein. Die Vorstellung des Sterbens ist schon schrecklich genug, wie ich aufgrund meiner unvergessenen und sogar mehrmaligen Erfahrung bestätigen kann, wenn es so aussah, als stünde der Tod schon hinter einem. Der Gedanke, ermordet zu werden, war noch viel schlimmer. Ich sagte: »Wissen Sie, wie ich mir jetzt vorkomme? Schuldig! Ich muss doch irgendetwas getan haben, weswegen mich jemand so hasst.«

»Ganz genau, Mijnheer Broadhead. Was könnte das Ihrer Meinung nach gewesen sein?«

»Ich habe keine Ahnung. Ich nehme an, wenn Sie den Mann gefunden haben, werden Sie auch den Grund herausbekommen. Das sollte doch nicht so schwierig sein – es muss doch Fingerabdrücke geben oder sonst etwas. Ich sah die Kameras des Nachrichtenteams. Vielleicht ist jemand auf einem Film zu erkennen …«

Er seufzte. »Mijnheer, bitte, belehren Sie mich nicht, wie ich die polizeilichen Untersuchungen durchzuführen habe. Selbstverständlich gehen wir diesen Dingen nach, wir führen lange Vernehmungen aller Personen durch, die den Mann gesehen haben könnten; außerdem eine Schweißanalyse der Kleidung sowie alle anderen Möglichkeiten zur Identifizierung. Ich nehme an, dass der Mann ein Profi ist. Deshalb werden diese Methoden nicht zum Erfolg führen. Wir müssen es aus einer anderen Richtung angehen. Wer sind Ihre Feinde, und was machen Sie in Rotterdam?«