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»Nicht die Spur«, widersprach ich. »Und das ist auch nicht gerade das, was ich mit dir besprechen will.«

»Besprechen!«, meinte sie empört. »Ha, ich weiß, wie du es besprechen willst … Robin, wenn ich das Programm schreibe, werde ich einige Sachen ziemlich umschreiben!«

Das war ein Tag gewesen! Kein Wunder, dass ich mich an gewisse unwichtige Einzelheiten nicht mehr erinnerte. Mein Sekretariatsprogramm erinnerte mich aber selbstverständlich. Ich bekam einen kleinen Denkanstoß, als sich die Tür zum Anrichteraum des Butlers öffnete und eine Prozession aus Zimmerkellnern mit dem Abendessen erschien. Nicht für zwei. Für vier.

»O mein Gott!«, sagte Essie und schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Dein armer Freund mit dem Froschgesicht, Robin! Du hast ihn zum Abendessen eingeladen! Und schau nur! Barfuß sitzt du in Unterwäsche da! Nekulturnyj, wirklich, Robin! Geh und zieh dich an, gleich!«

Ich stand auf, weil es keinen Zweck hatte zu streiten.

Trotzdem maulte ich. »Na und? Ich bin in Unterhosen, was ist mit dir?«

Sie warf mir einen vernichtenden Blick zu. Zugegeben, sie trug keine Reizwäsche, sondern eines dieser chinesischen, seitlich geschlitzten Dinger. Es sah wie ein Kleid oder ein Nachthemd aus. Sie benutzte es abwechselnd als beides.

»Im Fall eines Nobelpreisträgers«, sagte sie tadelnd, »ist immer passend, was der Preisträger trägt. Ich habe auch geduscht, du nicht. Du riechst nach sexueller Aktivität – und, o mein Gott!« Sie lauschte Richtung Tür, wo man Geräusche hörte. »Ich glaube, sie sind schon da!«

Ich verzog mich ins Bad, sie ging zur Tür. Ich vernahm gerade noch, wie sich jemand stritt. Der Zimmerkellner draußen hörte ebenfalls mit gerunzelter Stirn zu und fasste unbewusst nach einer Ausbuchtung in seiner Achselhöhle. Ich seufzte, überließ alle ihrem Schicksal und ging ins Bad.

Eigentlich war es kein Badezimmer. Es war eine eigene Badesuite. Die Wanne war groß genug für zwei Personen. Vielleicht auch für drei oder vier; aber ich hatte mir bisher nicht mehr als zwei vorgestellt – jetzt machte ich mir doch so meine Gedanken, was diese arabischen Touristen wohl in ihren Bädern angestellt hatten. In der Wanne selbst gab es indirektes Licht. Aus den Statuen ringsherum floss kaltes oder heißes Wasser. Den Boden bedeckte ein dicker Teppich. All die vulgären Kleinigkeiten wie Toiletten waren in eigenen, reich verzierten Kabinen versteckt. Es war extravagant, aber hübsch. »Albert«, rief ich und zog mir ein Hemd über.

»Ja, Robin.«

Im Bad gab es kein Bild, nur die Stimme. Ich sagte: »Mir gefällt das hier. Schau mal zu, ob du mir die Pläne besorgen kannst, dass ich so etwas auch in das Haus am Tappan-See einbauen lassen kann.«

»Selbstverständlich, Robin«, erwiderte er. »Darf ich dich aber inzwischen daran erinnern, dass deine Gäste warten?«

»Darfst du, weil du es bereits getan hast.«

»Noch etwas, Robin. Überanstrenge dich nicht! Das Medikament, das ich dir gegeben habe, hat nur vorübergehende Wirkung. Anderenfalls …«

»Schalt dich aus!«, befahl ich und betrat den Empfangssalon, um die Gäste zu begrüßen. Ein Tisch war mit Kristall und feinem Porzellan gedeckt. Kerzen brannten, und im Kühler stand Wein. Alle Kellner hatten sich ehrerbietig in Reih und Glied aufgestellt, sogar der mit der Ausbuchtung unter der Achsel.

»Tut mir Leid, dass ich dich warten ließ, Audee«, entschuldigte ich mich und strahlte die beiden an. »Aber es war ein harter Tag.«

»Ich habe schon alles erzählt«, sagte Essie und reichte der jungen Asiatin einen Teller. »War auch nötig. Der blöde Polizist an der Tür hat gedacht, sie sind auch Terroristen.«

»Ich habe versucht, es ihm klar zu machen«, vervollständigte Walthers. »Aber er sprach kein Englisch. Mrs. Broadhead musste einspringen. Nur gut, dass Sie Deutsch sprechen.«

Essie wehrte liebenswürdig ab. »Deutsch sprechen, Holländisch sprechen! Alles das Gleiche. Die Hauptsache ist, laut zu sprechen. Es ist eine Sache der Einstellung«, erklärte sie. »Sagen Sie, Captain Walthers, wenn Sie zu jemand sprechen und die andere Person Sie nicht versteht, was denken Sie?«

»Nun, dass ich mich nicht richtig ausgedrückt habe.«

»Ha! Genau! Aber ich, ich denke, er hat mich nicht richtig verstanden! Das ist die Grundregel, um eine fremde Sprache zu sprechen!«

Ich rieb mir den Bauch. »Lasst uns essen!«, schlug ich vor und ging als Erster zum Tisch. Ich hatte den Blick nicht übersehen, den mir Essie zugeworfen hatte. Ich gab mir daher größte Mühe, gesellig zu sein. »Na, wir sind schon ein trauriger Haufen«, stellte ich freundlich fest und machte Bemerkungen über den Gips an Walthers’ Handgelenk, den blauen Fleck in Yee-xings Gesicht und Essies immer noch geschwollene Nase. »Habt euch wohl ordentlich geprügelt, was?«

Wie sich ergab, war das nicht sehr taktvoll gewesen, da Walthers mir sogleich erzählte, dass sie sich tatsächlich unter dem Einfluss des TPSE der Terroristen geprügelt hatten. Dann unterhielten wir uns eine Zeit lang über die Terroristen. Danach beklagten wir die traurige Lage, in die sich die menschliche Rasse gebracht hatte. Es war nicht gerade eine aufmunternde Unterhaltung, besonders nicht, als Essie sich entschloss, philosophisch zu werden.

»Was ist das menschliche Wesen doch für ein verkommenes Ding«, fing sie an, nahm das jedoch wieder zurück. »Nein! Ich bin ungerecht. Ein menschliches Wesen kann sehr gut sein, sogar so fein wie wir vier hier. Nicht perfekt, aber statistisch gesehen kann man sagen, dass von hundert Chancen, Freundlichkeit, Nächstenliebe und Anständigkeit zu zeigen – Eigenschaften, die wir Menschen hoch schätzen –, weniger als fünfundzwanzig davon wahrgenommen werden. Aber Nationen? Politische Gruppen? Terroristen?« Sie schüttelte den Kopf. »Von hundert Chancen  – null!«, behauptete sie. »Oder vielleicht eine, aber dann – du kannst sicher sein – mit Tricks im Ärmel. Schlechtigkeit ist additiv. Vielleicht ist nur ein Gramm in jedem Menschen vorhanden. Aber addiere mal die Summe von, sagen wir, zehn Millionen Menschen, in einem kleinen Land oder einer Gruppe, dann kommt genug Böses heraus, um die ganze Welt zu zerstören!«

»Ich wäre jetzt für den Nachtisch bereit«, wechselte ich das Thema und winkte den Kellnern.

Man sollte meinen, dass das nun wirklich ein Wink mit dem Zaunpfahl für jeden Gast war, vor allem nachdem sie wussten, was für einen scheußlichen Tag wir hinter uns hatten. Aber Walthers war hartnäckig. Er ließ sich beim Nachtisch unendlich Zeit. Er bestand darauf, mir seine Lebensgeschichte zu erzählen, und schaute dauernd zu den Kellnern hin. Mir wurde immer ungemütlicher und nicht nur im Bauch.

Essie behauptet, ich hätte keine Geduld mit Leuten. Vielleicht stimmt’s. Am besten komme ich mit den Freunden aus, die Computerprogramme sind und nicht aus Fleisch und Blut bestehen. Sie haben auch keine Gefühle, die man verletzen kann – naja, ich bin mir nicht sicher, ob das auch auf Albert zutrifft. Aber mit Sicherheit auf mein Sekretariatsprogramm und meinen Küchenchef. Es stimmte, dass ich mit Audee Walthers die Geduld verlor. Sein Leben war eine langweilige Schnulze gewesen. Er hatte seine Frau und seine Ersparnisse verloren. Er hatte unbefugt Geräte an Bord der S. Ya. benutzt, wobei Yee-xing ihm geholfen hatte. Dafür waren sie rausgeworfen worden. Er hatte den letzten Pfennig ausgegeben, um nach Rotterdam zu kommen. Der Grund war unklar. Es hatte aber eindeutig etwas mit mir zu tun.

Nun, ich bin ja gern bereit, einem Freund, den das Glück verlassen hat, Geld zu »leihen«. Aber heute war ich nicht in Stimmung. Es war nicht nur die Sorge um Essie oder der ganze verkorkste Tag oder die nagende Angst, ob der nächste Irre mit einem Gewehr mich erwischen würde. Es war mein verdammter Bauch, der mir zusetzte. Schließlich befahl ich den Kellnern abzutragen, obwohl Walthers noch immer über seiner vierten Tasse Kaffee hockte. Dann stampfte ich hinüber zu dem Tisch mit den Likören und Zigarren. Auf dem Weg dorthin funkelte ich ihn wütend an. »Was ist los, Audee?«, fragte ich keineswegs mehr höflich. »Geld? Wie viel brauchst du?«