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Das zweite Lied war präziser. Es datierte Millionen Jahre später – beinahe innerhalb unserer historischen Zeitrechnung. Es berichtete ebenfalls von Besuchern von außerhalb der dichten heimatlichen Welt, aber diesmal waren es nicht nur Touristen. Sie waren auch keine Eroberer. Sie waren Flüchtlinge. Sie tauchten hinunter zur schwammigen Oberfläche, doch waren sie offensichtlich schlecht für das Überleben in einer Umwelt ausgerüstet, die kalt war und deren Dichte sie vergiftete.

Sie versteckten sich hier. Sie blieben – ihrer eigenen Rechnung nach sehr lange – über hundert Jahre. Lange genug, dass die Schlammbewohner sie entdeckten und mit ihnen eine Art Verständigung erreichen konnten. Sie waren von fremden Assassinen angegriffen worden, die wie Feuer aufflammten und Waffen trugen, die zermalmten und verbrannten. Ihr Heimatplanet war leer gebrannt, jedes Fahrzeug, das sie im Raum besaßen, war verfolgt und zerstört worden.

Nachdem mehrere Generationen der Flüchtlinge es geschafft hatten, zu überleben und sich sogar zu vermehren, ging alles zu Ende. Die flammenden Assassinen spürten sie auf und legten mit ihren Feuern eine große, seichte Fläche des schlammigen Methanmeeres trocken, um sie zu vernichten.

Als die Hitschi dieses Lied hörten, hätten sie es vielleicht für eine Sage gehalten, wenn da nicht ein Begriff gewesen wäre. Dieser Begriff war nicht leicht zu übersetzen. Schließlich hatte er die lückenhafte Verständigung mit den Flüchtlingen und zweitausend Jahre zu überstehen gehabt. Aber er hatte überlebt.

Diese Tatsache bewog die Hitschi, alles, was sie taten, liegen zu lassen, damit sie sich nur auf eine einzige Aufgabe konzentrieren konnten: den Echtheitsnachweis der Jüngeren Edda. Sie suchten nach der Heimat der Flüchtlinge und fanden sie auch – einen Planeten, der von einer explodierenden Sonne kahl gebrannt war. Sie suchten und fanden dort Artefakte früherer raumfahrender Zivilisationen. Nicht viele und nicht in gutem Zustand. Etwa vierzig verschiedene Stücke und Teile halb geschmolzener Maschinen, die sich isotopisch auf zwei verschiedene Epochen datieren ließen. Eine davon entsprach der Zeit der Flüchtlinge, die auf den Schlammplaneten geflohen waren. Die andere war viele Millionen Jahre älter.

Sie schlossen daraus, dass die Geschichten wahr waren. Es hatte solch ein Volk von Assassinen gegeben, das jede raumfahrende Zivilisation, die es entdeckte, über zwanzig Millionen Jahre lang erbarmungslos ausgelöscht hatte.

Die Hitschi kamen ferner zu dem Schluss, dass sie sich noch irgendwo herumtrieben. Der Begriff, der so schwierig zu übersetzen war, beschrieb nämlich die Ausdehnung der Himmel und die Umkehrung dieses Prozesses durch die Flammenträger, bei der alle Sterne und Sonnensysteme wieder zusammenstürzen würden. Und zu einem ganz bestimmten Zweck.

Es war kaum anzunehmen, dass diese Titanen, wer immer sie auch sein mochten, nicht in der Nähe blieben, um die Resultate des Prozesses zu sehen, den sie in Gang gesetzt hatten.

Da zerbröckelte der helle Hitschi-Traum, und die Schlammbewohner sangen eine neue Edda: Das Lied über die Hitschi, die sie besucht, Angst bekommen hatten und weggelaufen waren.

Da stellten die Hitschi ihre warnenden Fallen auf, versteckten die meisten Zeugnisse ihrer Existenz und zogen sich in ihren Unterschlupf im Kern der Galaxis zurück.

In gewissem Sinn waren die Schlammbewohner nur eine der Alarmanlagen. LaDzhaRi wusste das. Alle wussten es. Deshalb hatte er auch dem Gebot seiner Vorväter gehorcht und die erste Berührung eines anderen Gehirns mit dem seinen gemeldet. Er erwartete eine Antwort, obwohl es selbst nach LaDzhaRis Zeitrechnung schon Jahre her war, dass von den Hitschi ein Lebenszeichen gekommen war, und das war höchstens der schnelle Schlag einer routinemäßigen TPSE-Überprüfung gewesen. Er hatte auch damit gerechnet, dass ihm die Antwort nicht zusagen würde. Das ganze heldenhafte Ringen um den Bau und Start eines interstellaren Schiffes, die Jahrhunderte, die bereits in diese jahrtausendlange Reise investiert worden waren  – alles umsonst! Sicher, ein Flug von tausend Jahren bedeutete für LaDzhaRi nicht mehr als eine ganz gewöhnliche Walfangfahrt für einen Kapitän aus Nantucket. Aber auch ein Walfischer wäre nicht gern mitten im Pazifik aufgegriffen und leer nach Hause geschickt worden. Die ganze Mannschaft war außer sich. Die Erregung auf dem Segelschiff war so groß, dass einige Besatzungsmitglieder unfreiwillig auf eine schnellere Lebensweise umstiegen. Die glitschige Flüssigkeit wurde so durcheinander gewirbelt, dass sich Blasen bildeten. Eines der Weibchen starb. Eines der Männchen, TsuTsuNga, war so außer Rand und Band, dass es die überlebenden Weibchen betätschelte. »Bitte, lass den Unsinn!«, flehte LaDzhaRi. Wenn ein Männchen ein Weibchen schwängerte – und das hatte TsuTsuNga offensichtlich vor –, musste es dazu so viel Energie aufbringen, dass es für ihn lebensgefährlich sein konnte. Den Weibchen drohte keine Gefahr – ihre Leben waren ganz einfach nach dem Austragen eines Männchens verwirkt. Natürlich hatten sie davon keine Ahnung. Von anderen Dingen hatten sie eigentlich auch keinen Schimmer. Aber TsuTsuNga erklärte bündig: »Wenn ich nicht durch eine Reise zu einem anderen Stern unsterblich werden kann, will ich wenigstens einen Sohn zeugen.«

»Nein! Bitte! Denke nach, mein Freund!«, bat ihn LaDzhaRi. »Wir können zu Hause sein, wenn wir es wollen. Können als Helden zu unseren Arcologien zurückkehren, können unsere Eddas singen, dass die gesamte Welt uns hören wird …« Der Schlamm ihrer Behausungen leitete den Schall so gut wie das Meer, und ihr Lied reichte so weit wie der Ruf der großen Wale.

Robin erklärt nicht sehr gut, wovor die Hitschi Angst hatten. Sie waren zu dem Schluss gekommen, dass das Ziel der eingeleiteten Kontraktion des Universums war, es wieder auf das Uratom zurückzuführen – worauf es zu einem neuen Urknall und dem Anfang eines neuen Universums kommen würde. Sie schlossen weiter, dass in diesem Fall die physikalischen Gesetze, die das Universum regieren, sich in eine andere Richtung entwickeln würden.

Am meisten jagte ihnen die Vorstellung Angst ein, dass es Wesen gab, die sich in einem Universum mit anderen physikalischen Gesetzen wohler fühlen könnten.

TsuTsuNga berührte LaDzhaRi kurz, beinahe verächtlich, zumindest abweisend.

»Wir sind keine Helden!«, erklärte er. »Geh weg und lass mich’s diesem Weibchen besorgen!«

Widerstrebend ließ ihn LaDzhaRi los und hörte, wie die Geräusche schwächer wurden, als er wegging. Es stimmte. Sie waren bestenfalls gescheiterte Helden.

Die Segelschiffleute waren nicht ohne solch menschliche Eigenschaften wie Stolz. Es gefiel ihnen ganz und gar nicht, für die Hitschi … was? Sklaven zu sein? Nicht genau. Denn der einzige Dienst, den sie zu leisten hatten, war, via eines Kommunikators mit versiegeltem Strahl jeden Hinweis auf eine andere raumfahrende Intelligenz zu melden. Das taten sie gern. Mehr um ihrer selbst willen als für die Hitschi. Wenn nicht Sklaven – was dann?

Dafür gab es nur eine Bezeichnung: Haustiere.

Damit war der Glanz der rassischen Seele der Schlammbewohner an einer Stelle getrübt. Sie konnten ihn nie wieder ganz aufpolieren, ganz gleich, welche Heldentaten sie bei interstellaren Abenteuern in ihren riesigen, langsamen Sternenjammern auch vollbrachten. Sie wussten, dass sie Haustiere waren. Sie erlebten das auch nicht zum ersten Mal. Lange ehe die Hitschi gekommen waren, hatten sie als Leibeigene auf fast die gleiche Art Wesen gedient, die weder den Hitschi noch den Menschen noch ihnen selbst in irgendeiner Weise ähnlich waren. Als dann vor einigen Generationen ihre Barden die alten Eddas den Hitschi-Maschinen vorgesungen hatten, mussten auch die Schlammbewohner zur Kenntnis nehmen, dass die Hitschi weggelaufen waren. Es gab Schlimmeres, als ein Haustier zu sein.