Выбрать главу

»Was das betrifft, lieber Robin«, sagte sie zögernd, führte aber den Satz nicht zu Ende, weil es klopfte. Würden der Señor und die Señora bitte sofort in den Bolivar-Raum kommen, por favor, weil es sich um einen äußerst dringlichen Notfall handelt.

Dieser dringliche Notfall war eine Polizeikontrolle. So eine Passkontrolle hatte ich noch nie erlebt. Der Bolivar-Raum war einer dieser Säle, die man für Konferenzen unterteilen und für Bankette erweitern konnte. Jetzt war ein abgetrennter Teil voll von Turistas wie wir, von denen viele auf ihrem Gepäck hockten. Alle blickten verärgert und verängstigt drein. Man ließ sie warten. Uns nicht. Der Page, der uns geholt hatte, trug eine Armbinde mit den Initialen »S.E.R.« über seiner Uniform. Er führte uns zu dem Podium, wo ein Polizeileutnant saß. Dieser warf einen Blick in unsere Pässe und gab sie zurück. »Señor Broadhead«, begann er auf Englisch. Sein fehlerfreier Akzent trug Spuren des amerikanischen Mittelwestens. »Ist Ihnen schon der Gedanke gekommen, dass dieser Gewaltakt der Terroristen in Wirklichkeit gegen Sie persönlich gerichtet war?«

Ich machte ein dummes Gesicht. »Nicht bis jetzt«, brachte ich mühsam hervor. Er nickte.

»Wie dem auch sei«, fuhr er fort und legte seine kleine, anmutige Hand auf die vom PV ausgedruckten Kopien vor ihm. »Wir haben von Interpol einen Bericht über ein Attentat auf Ihr Leben, das die Terroristen erst vor zwei Monaten durchgeführt haben. Und ausgezeichnet organisiert. Der Commissaire in Rotterdam hebt eigens hervor, dass es sich offensichtlich nicht um einen Zufall handelte und dass weitere Versuche wahrscheinlich sind.«

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Essie beugte sich vor. »Sagen Sie, Teniente«, fragte sie und schaute ihn an, »ist das Ihre Theorie?«

»Ah, meine Theorie! Ich wünschte, ich hätte eine Theorie«, rief er wütend. »Terroristen? Zweifellos. Gegen Sie gerichtet? Möglich. Gegen die Stabilität unserer Regierung gerichtet? Noch wahrscheinlicher, meiner Meinung nach, da es in ländlichen Gegenden zu weit verbreiteter Unzufriedenheit gekommen ist. Es gibt sogar Meldungen. Ich verrate Ihnen ganz im Vertrauen, dass gewisse militärische Einheiten vielleicht einen Putsch planen. Woher man das weiß? Ich bin es, der hier die Fragen stellt. Also, haben Sie jemanden hier gesehen, dessen Anwesenheit Ihnen verdächtig vorgekommen ist? Nein? Haben Sie einen Verdacht, wer versucht haben könnte, Sie in Rotterdam zu ermorden? Können Sie irgendetwas zur Klärung dieser schrecklichen Tat beitragen?«

Die Fragen kamen so schnell, dass er offensichtlich keine Antworten erwartete oder wollte. Das quälte mich fast so wie die Zerstörung der Schlaufe. Hier zeigte sich ganz deutlich, was ich auf der ganzen Welt gesehen und gespürt hatte: eine Art verzweifelter Resignation, als ob sich die Dinge zwangsläufig zum Schlechteren entwickeln müssten und es keinen Weg gab, sie zu verbessern. Es vermittelte mir ein ungutes Gefühl. »Wir möchten gern gehen und Sie Ihrer Arbeit überlassen«, sagte ich. »Wenn Sie also keine weiteren Fragen haben …«

Er machte eine Pause, ehe er antwortete. Jetzt sah er aus wie jemand, der seine Arbeit verstand, dies auch schon bewiesen hatte. »Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten, Señor Broadhead. Ist es möglich, dass Sie uns gestatten, Ihr Flugzeug für ein oder zwei Tage auszuleihen? Es ist für die Verwundeten«, erklärte er. »Da unser Krankenhaus hier unglücklicherweise direkt unter den Kabeln für die Schlaufe lag.«

Ich schäme mich, es zuzugeben; aber ich zögerte. Essie nicht. »Ganz gewiss, ja, Teniente«, antwortete sie spontan. »Wir müssen ja erst eine Reservierung für eine andere Schlaufe machen, ehe wir wissen, wohin wir fliegen.«

Er strahlte. »Aber, teuerste Señora, das können wir doch durch das militärische Nachrichtensystem erledigen. Und meinen tiefsten Dank für Ihre Großzügigkeit.«

In der Stadt brach die Versorgung zusammen; aber, als wir zurück ins Hotel kamen, standen in unserer Suite frische Blumen auf den Tischen und ein Obstkörbchen und Wein. Die Sachen waren vorher nicht da gewesen. Die Fenster waren geschlossen. Als ich sie öffnete, wusste ich, warum. Der Tehigualpa-See war kein See mehr. Er war der Hitzefänger für die Schlaufe, falls es zu dem katastrophalen Versagen käme, von dem niemand geglaubt hatte, dass es je einträfe. Jetzt war es eingetroffen. Der See war zu einer Schlammgrube verkocht. Die Schlaufe wurde von Nebel verhüllt. Der Gestank des gesottenen Schlamms ließ mich das Fenster sehr schnell wieder schließen.

Wir versuchten es mit dem Zimmerservice. Es klappte. Man brachte uns ein ausgezeichnetes Abendessen und entschuldigte sich, dass der Weinkellner nicht heraufkommen konnte, um unseren roten Bordeaux zu dekantieren – er gehörte zum »Los Servicios emergencias de la Republica« und musste zum Dienst antreten, wie auch die regulären Zimmermädchen. Obwohl man uns versprochen hatte, dass sich eine von ihnen um unser Gepäck kümmern würde, stand es noch immer im Foyer an der Wand.

Ich bin reich, aber nicht verwöhnt. Jedenfalls glaube ich nicht, dass ich es bin. Aber ich mag Service, vor allem den der guten Computerprogramme, die Essie im Laufe der Jahre für mich geschrieben hat. »Mir fehlt Albert«, sagte ich und schaute hinaus in den nächtlichen Nebel.

»Weißt nichts anzufangen ohne Spielzeug, hm?«, neckte mich Essie. Sie schien aber gewisse Vorstellungen zu haben. Na schön. Ich bin darin auch nicht verwöhnt. Wenn Essie etwas im Sinn hat, glaube ich oft, dass sie Lust auf Liebe verspürt, und von da aus ist es für mich auch nur ein kleiner Schritt, ebenfalls Lust zu haben. Ab und zu halte ich mir vor, dass während des größten Teils der menschlichen Geschichte Leute in unserem Alter sehr viel weniger sinnlich und überschwänglich waren – aber das ist deren Pech! Solche Gedanken halten mich nicht zurück. Besonders nicht bei einer Frau wie Essie. Außer ihrem Nobelpreis hat Essie auch noch andere Auszeichnungen erhalten. Sie erschien mehrmals auf der Liste der bestangezogenen Frauen. Der Nobelpreis war verdient. Der Preis für »bestangezogen«  – meiner Meinung nach – war Betrug. Das Aussehen von S. Ya. Broadhead hatte nichts damit zu tun, was sie anhatte, sondern mit dem, was darunter war. Im Augenblick trug sie einen hautengen Freizeitanzug, blassblau und ohne alle Verzierungen. Man konnte ihn in jedem Warenhaus kaufen. Trotzdem hätte sie auch darin gewonnen. »Warum kommst du nicht mal einen Moment rüber?«, fragte ich von der großen, langen Couch aus.

»Sittenstrolch! Ha!«

Aber das »Ha« klang ziemlich nachsichtig. »Ich hab’ nur gedacht«, erklärte ich. »Da ich Albert nicht erreichen kann und wir nichts anderes zu tun haben …«

»O Robin«, seufzte sie und schüttelte den Kopf. Aber sie lächelte. Dann spitzte sie die Lippen und dachte nach. Schließlich fuhr sie fort: »Ich sage dir etwas. Du holst die kleine Reisetasche aus dem Foyer. Ich habe ein kleines Geschenk für dich. Dann sehen wir weiter.«

Aus der Tasche holte sie eine in Silberpapier gewickelte Schachtel. Darin war ein Hitschi-Gebetsfächer. Natürlich stammte er nicht wirklich von den Hitschi. Die Größe stimmte nicht. Es war die Sorte, die Essie für den eigenen Gebrauch entwickelt hatte. »Du erinnerst dich an die Toten Menschen und Jetzt-und-Später?«, fragte sie. »Sehr gute Hitschi-Software, die ich gestohlen habe. Ich habe das alte Datenbeschaffungsprogramm verändert. Jetzt ist es der garantiert echte Albert Einstein.«