Ich drehte den Fächer in der Hand. »Der echte Albert Einstein?«
»Ach, Robin, nicht so wörtlich! Nicht echt-echt. Ich kann nicht Tote aufwecken, besonders, wenn sie schon lange tot sind. Aber echt in Persönlichkeit, Erinnerungen, Gedanken, jedenfalls beinahe. Ich habe ihn programmiert, nach jedem Fetzen Einstein-Information zu suchen. Bücher. Zeitungen. Korrespondenz. Biographien. Interviews. Bilder. Alles. Sogar brüchige Schnitte von dem, was du ›Wochenschau‹ nennst, wo ein Schiff in New York ankommt. 1932 von Pathé News. Alles hier drin. Wenn du jetzt mit Albert Einstein redest, ist es auch Albert Einstein, der antwortet!« Sie beugte sich vor und küsste mich auf die Stirn. »Dann, um sicher zu sein«, brüstete sie sich, »habe ich noch ein paar Dinge hinzugetan, die der echte Albert Einstein nie hatte. Vollständige Steuerung von Hitschi-Schiffen. Alle neuen Daten aus Wissenschaft und Technik seit 1955, als die Zeit des echten Einstein abgelaufen war. Auch ein paar einfache Funktionen von Koch-, Sekretär-, Anwalt- und Medizinprogrammen. Leider war kein Platz für Sigfrid Seelenklempner«, entschuldigte sie sich. »Aber du brauchst keinen Seelenklempner, Robin, oder? Außer für eine unerklärliche Lücke in deinem Gedächtnis.«
Sie schaute mich mit einem Ausdruck an, den ich während der letzten beiden Jahrzehnte zu verstehen gelernt hatte. Ich streckte die Arme aus und zog sie an mich. »Na schön, Essie. Raus mit der Sprache!«
Sie kuschelte sich in meinen Schoß und fragte unschuldig: »Raus womit, Robin? Du sprichst schon wieder von Sex?«
»Nun mach schon!«
»Ach … ist nichts, bestimmt! Ich habe dir schon dein Silbergeschenk gegeben.«
»Was? Das Programm?« Stimmt, sie hatte es in Silber gewickelt – die Erleuchtung explodierte. »O mein Gott! Ich habe unseren silbernen Hochzeitstag vergessen! Wann …« Ich musste scharf nachdenken, ehe ich die Frage formulieren konnte.
»Wann der war?«, beendete sie meinen angefangenen Satz. »Heute, Robin. Alles Gute und noch viele schöne Jahre, Liebes.«
Ich gab ihr einen Kuss, wobei ich zugeben muss, dass ich Zeit schinden wollte. Sie küsste mich auch, ganz ernst. Mit schlechtem Gewissen entschuldigte ich mich: »Essie, Liebste, es tut mir so Leid! Wenn wir zurückkommen, werde ich dir etwas schenken, das dir die Sinne raubt. Das verspreche ich.«
Sie aber drückte ihre Nase gegen meinen Mund, um mich am Sprechen zu hindern. »Du brauchst mir nichts zu versprechen, Robin«, sagte sie etwa in der Höhe meines Adamsapfels. »Du hast mir reichlich Geschenke gegeben, jeden Tag, fünfundzwanzig Jahre lang. Ich zähle dabei nicht die Jahre, in denen wir uns herumgetrieben haben. Natürlich«, fügte sie hinzu und hob den Kopf, um mich anzusehen, »sind wir allein im Augenblick, nur du und ich und das Bett im nächsten Zimmer. Das wird auch mehrere Stunden so bleiben. Wenn du mir wirklich die Sinne rauben willst mit einem Geschenk, nehme ich es gern an. Ich bin sicher, du hast was für mich, sogar in meiner Größe.«
Die Tatsache, dass ich kein Frühstück wollte, ließ bei Essie sämtliche Alarmsysteme aufheulen. Ich erklärte es ihr damit, dass ich mit meinem neuen Spielzeug spielen wollte. Das stimmte. Es war auch wahr, dass ich nicht immer frühstückte. Mit diesen beiden Wahrheiten schickte ich Essie allein in den Speisesaal. Die entscheidende Wahrheit, die, welche zählte, war aber, dass mein Bauch Schwierigkeiten machte.
Ich steckte also den neuen Albert in den Prozessor. Ein schnelles rosa Aufflackern – und da war er und strahlte mich an. »Hallo, Robin«, begrüßte er mich. »Alles Gute zum Hochzeitstag.«
»Der war gestern«, korrigierte ich ihn etwas enttäuscht. Ich hatte nicht erwartet, den neuen Albert bei so lächerlichen Fehlern zu ertappen.
Er fuhr sich mit dem Pfeifenstiel über die Nase und zwinkerte mir unter den buschigen, weißen Augenbrauen zu. »Nach der Ortszeit von Hawaii«, verteidigte er sich, »ist es, warte mal …« Er tat so, als schaue er auf seine Digital-Armbanduhr, die anachronistisch unter dem Ärmel seiner Schlafanzugjacke hervorlugte. »Zweiundvierzig Minuten nach elf Uhr abends, Robin. Dein fünfundzwanzigster Hochzeitstag dauert noch fast zwanzig Minuten.« Er beugte sich vor und kratzte sich am Knöchel. »Ich habe eine ganze Reihe neuer Eigenschaften«, erklärte er stolz. »Darunter auch Schaltkreise für Zeit und Ortung, die immer laufen, auch wenn ich nicht sichtbar bin. Deine Frau ist darin wirklich ausgezeichnet.«
Auch wenn ich mir bewusst bin, dass Albert Einstein nur ein Computerprogramm ist, war es trotzdem, als ob ich einen alten Freund begrüßte. »Du siehst außergewöhnlich gut aus«, schmeichelte ich ihm. »Ich bin mir aber nicht sicher, ob du eine Digitaluhr tragen solltest. Ich glaube kaum, dass du so ein Ding vor deinem Tode hattest, weil es sie damals noch gar nicht gab.«
Er sah etwas beleidigt aus, erwiderte aber mein Kompliment. »Du hast wirklich außergewöhnlich gute Kenntnisse in Geschichte und technischer Entwicklung, Robin. Aber, auch wenn ich Albert Einstein bin, so nahe, wie man eben an die Realität herankommen kann, so bin ich doch nicht auf die Fähigkeiten des echten Albert Einstein begrenzt. Mrs. Broadhead hat zum Beispiel für mein Programm alle bekannten Hitschi-Aufzeichnungen ausgewertet und eingebaut. Dabei wusste mein Fleisch-und-Blut-Selbst nicht einmal, dass Hitschi existierten. Ferner habe ich in mich die Programme der meisten unserer Kollegen aufgenommen, ferner Schaltkreise, die im Augenblick dabei sind, mit dem Gigabit-Netz Verbindung aufzunehmen. Dabei habe ich jedoch noch keinen Erfolg gehabt«, gab er kleinlaut zu. »Aber ich habe mich in die örtlichen Militärleitungen eingeklinkt. Dein Start von Lagos, Nigeria, ist für morgen Mittag bestätigt worden. Dein Flugzeug wird rechtzeitig zurückgebracht.« Er runzelte die Stirn. »Stimmt irgendetwas nicht?«
Ich hatte Albert nicht genau zugehört, sondern ihn mehr angesehen. Essie hatte phantastische Arbeit geleistet. Es gab nicht mehr diese kleinen Pannen, bei denen er einen Satz mit der Pfeife in der Hand angefangen und mit einem Stück Kreide in der Hand beendet hatte. »Du kommst mir noch echter vor, Albert.«
»Danke«, sagte er und öffnete aus reiner Angabe eine Schreibtischschublade, um ein Streichholz zum Anzünden der Pfeife herauszuholen. In früheren Zeiten wäre einfach eine Streichholzschachtel in seiner Hand materialisiert. »Vielleicht möchtest du gern mehr über dein Schiff hören?«
Ich wurde munter.
»Irgendein Fortschritt seit unserer Landung?«
»Wenn ja«, entschuldigte er sich, »kann ich darüber nichts wissen, weil ich, wie ich schon erwähnte, noch keinen Kontakt mit dem Netz herstellen konnte. Ich habe aber eine Kopie des Auftragsformulars der Gateway AG. Es ist als Zwölfer eingestuft – das heißt, es könnte zwölf Passagiere befördern, wenn man es für einen einfachen Forschungsauftrag ausrüstet …«
»Ich weiß, was ein Zwölfer ist, Albert.«
»Nur, um sicherzugehen! Auf alle Fälle ist es für vier Personen ausgestattet, obwohl man noch zwei weitere unterbringen könnte. Der Testflug ging nach Gateway Zwei und zurück. Die Leistung war die ganze Zeit optimal. Guten Morgen, Mrs. Broadhead.«
Ich blickte über die Schulter. Essie war mit dem Frühstück fertig und gesellte sich zu uns. Sie beugte sich über mich, um ihre Schöpfung genauer betrachten zu können. »Gutes Programm!«, beglückwünschte sie sich selbst. »Albert! Woher hast du das Popeln?«
Albert nahm nachsichtig den Finger aus einem Nasenloch. »Aus unveröffentlichten Briefen Enrico Fermis an Verwandte in Italien. Sie sind authentisch, das kann ich Ihnen versichern. Haben Sie sonst noch Fragen? Nein? Dann, Robin und Mrs. Broadhead, schlage ich vor, dass Sie packen. Ich habe nämlich gerade über Polizeiverbindung die Nachricht erhalten, dass Ihr Flugzeug gelandet ist und gewartet wird. Sie können in zwei Stunden starten.«
So war es auch. Wir waren heilfroh und glücklich – oder beinahe glücklich. Das letzte Stück weniger glücklich. Wir gingen gerade an Bord unseres Flugzeuges, als aus der Passagierhalle hinter uns Lärm kam. Wir drehten uns um, um zu sehen, was es gäbe.