»Aber das klingt ja wie Gewehrfeuer«, stellte Essie erstaunt fest. »Und was sind das für große Dinger auf dem Parkplatz? Scheinen Autos wegzuschieben? Eines hat den Hydranten zerstört, jetzt schießt Wasser raus. Kann es das sein, was ich denke?«
Ich schob sie ins Flugzeug. »Kann es«, bestätigte ich. »Falls du es für Panzer hältst. Nichts wie weg von hier!«
Das taten wir auch. Keine Probleme. Jedenfalls nicht für uns. Albert hörte im Gigabit-Netz mit, das wieder offen war, und berichtete, dass sich die schlimmsten Befürchtungen des Teniente bewahrheitet hatten. Eine Revolution kam gerade richtig ins Rollen. Wir waren wenigstens nicht mit von der Partie. Aber an anderen Stellen im großen Universum geschahen Dinge, die uns vor große und äußerst schmerzhafte Probleme stellen sollten.
Als Gelle-Klara Moynlin aufwachte, war sie nicht tot, wie sie zuversichtlich erwartet hatte. Sie befand sich in einem Hitschi-Erkundungsschiff. Allem Anschein nach handelte es sich um einen gepanzerten Fünfer. Es war aber nicht derselbe, auf dem sie gewesen war und an den sie sich zuletzt erinnerte.
Chaos, Furcht, schreckliche Schmerzen und nacktes Grauen waren in ihrem Gedächtnis haften geblieben, alles war ihr glasklar gegenwärtig. Aber dieser hagere, dunkle, finster blickende Mann, der nur einen Tanga und ein Halstuch trug, war nicht dabei gewesen. Auch nicht die fremde junge Blondine, die sich die Augen ausheulte. Klara entsann sich, dass auch damals zum Schluss die Leute geweint hatten, sicher! Geweint, geschrien, geflucht und sich in die Hosen gemacht, weil sie innerhalb der Schwarzschild-Barriere eines Schwarzen Lochs gefangen saßen.
Aber keiner der Leute war einer von denen hier gewesen.
Die junge Frau beugte sich besorgt über sie. »Alles in Ordnung, Schätzchen? Sie haben eine schreckliche Zeit hinter sich.« Diese Behauptung war nicht gerade neu für Klara. Sie wusste, wie schlimm es gewesen war. »Sie ist wach«, rief die junge Frau über die Schulter.
Der Mann trat näher und stieß die Frau beiseite. Er verschwendete keine Minute damit, sich nach Klaras Gesundheit zu erkundigen. »Dein Name? Dann Orbit- und Missionsnummer – schnell!« Als sie ihm diese genannt hatte, verschwand er wortlos, und die blonde junge Frau kam wieder.
»Ich bin Dolly«, stellte sie sich vor. »Tut mir Leid, dass ich so furchtbar aussehe. Aber, ehrlich, ich hab’ mich zu Tode gefürchtet. Alles in Ordnung? Sie waren in furchtbarer Verfassung, und wir haben hier kein besonderes medizinisches Programm.«
Klara setzte sich auf und musste zugeben, dass sie wirklich in grauenvoller Verfassung war. Jeder Teil ihres Körpers schmerzte, beim Kopf angefangen, der offensichtlich gegen irgendetwas gestoßen war. Sie sah sich um. Noch nie war sie in einem Schiff gewesen, das so voll gestopft mit Werkzeug und Spielsachen war oder das so angenehm nach Essen duftete. »Sagen Sie, wo bin ich?«, fragte sie.
»Sie befinden sich in seinem Schiff.« Sie deutete mit dem Finger. »Er heißt Wan. Er ist umhergezogen und hat in Schwarzen Löchern rumgestochert.« Dolly sah aus, als würde sie gleich wieder anfangen zu weinen. Aber sie wischte sich nur die Nase und fuhr fort: »Und noch was, Schätzchen: All die anderen Leute, die mit Ihnen zusammen waren, sind tot. Sie sind die Einzige, die überlebt hat.«
Klara hielt die Luft an. »Alle? Auch Robin?«
»Ich weiß nicht, wie sie heißen«, entschuldigte sich die Frau. Sie war auch nicht überrascht, als ihr unerwarteter Gast das geschundene Gesicht abwandte und zu schluchzen begann. Von der gegenüberliegenden Seite knurrte Wan die Frauen wütend an. Er war schwer mit eigenen Problemen beschäftigt. Er wusste nicht, welchen Schatz er geborgen hatte oder wie sehr dieser geborgene Schatz mein Leben durcheinander brachte.
Es ist fast wahr, dass ich meine liebe Frau Essie aus Enttäuschung über den Verlust von Klara Moynlin geheiratet habe. Zumindest unter dem Ansturm der Gefühle, die mich überfielen, als ich meine Schuldgefühle – jedenfalls die meisten – wegen Klara verloren hatte.
Als ich schließlich erfuhr, dass Klara lebte, war das ein Schock. Aber, mein Gott, nichts – nichts – im Vergleich zu Klaras Schock! Sogar jetzt und unter diesen Umständen kann ich mich des Gefühls nicht erwehren, das ich gegen alle Logik nur als körperlichen Schmerz bezeichnen kann, wenn ich an meine weiland so geliebte Klara denke, als sie sich wieder unter den Lebenden fand. Nicht nur, weil sie es war oder wegen ihrer Beziehung zu mir. Sie verdiente das Mitleid von uns allen. Gefangen, verängstigt, verletzt, den Tod vor Augen – und einen Augenblick später wie durch ein Wunder gerettet. Gott sei der armen Frau gnädig! Gott weiß, dass sie mir Leid tat. Die Dinge entwickelten sich auch nicht so schnell besser für sie. Die Hälfte der Zeit war sie ohne Bewusstsein, weil ihr Körper so schrecklich zerschunden war. War sie wach, konnte sie sich nicht sicher sein, ob sie wirklich wach war. Aufgrund des Prickelns und des Wärmegefühls und des Summens in den Ohren wusste sie, dass man sie mit schmerzstillenden Mitteln voll gepumpt hatte. Trotzdem litt sie unter scheußlichen Schmerzen. Nicht nur im Körper. Vielleicht hatte sie im wachen Zustand auch nur halluziniert. Der Soziopath Wan und die am Boden zerstörte Dolly waren keine stabilen Persönlichkeiten, an die man sich halten konnte. Wenn sie Fragen stellte, bekam sie merkwürdige Antworten. Als sie Wan mit einer Maschine sprechen sah und Dolly danach fragte, ergab deren Antwort auch wenig Sinn. »Oh, das sind seine Toten Menschen. Er hat sie mit allen Daten über seine Expeditionen gefüttert, und jetzt will er Auskünfte über Sie einholen.« Was konnte jemand damit anfangen, der noch nie von Toten Menschen gehört hatte? Und was sollte sie davon halten, als eine dünne, zittrige Stimme aus dem Lautsprecher zu sprechen begann? »… nein, Wan. Bei dieser Mission gibt es niemanden mit dem Namen Schmitz. Es waren zwei Schiffe, die gemeinsam hinausgefahren sind und …«
Ich war Gelle-Klara Moynlin vor ihrem Missgeschick mit dem Schwarzen Loch nie begegnet. Damals konnte sich Robin kein so hoch entwickeltes Datenbeschaffungssystem wie mich leisten. Im Laufe der Jahre habe ich aber sehr viel von Robin über sie erfahren. Häufig hörte ich, wie schuldig er sich an ihrem Tod fühlte. Die beiden waren zusammen mit anderen zu einer wissenschaftlichen Mission für die Gateway AG hinausgeflogen, um ein Schwarzes Loch zu erkunden. Die meisten Schiffe waren stecken geblieben.
Robin war es gelungen, sich zu befreien. Es gab natürlich keinen logischen Grund, sich schuldig zu fühlen. Überdies war Gelle-Klara Moynlin zwar ein normal leistungsfähiges, weibliches menschliches Wesen, aber keineswegs unersetzbar. Robin ersetzte sie in der Tat sehr bald durch eine Reihe anderer Frauen, ehe er schließlich mit S. Ya. Laworowna eine Langzeitbindung einging. Sie war nicht nur eine sehr tüchtige Frau, sondern auch die, welche mich entwarf. Obwohl ich auf menschliche Triebe und Motivationen sehr gut programmiert bin, gibt es im menschlichen Verhalten Dinge, die ich nie verstehen werde.
»Es ist mir scheißegal, wie viele Schiffe hinausgefahren sind!«
Die Stimme machte eine Pause. Dann hörte man unsicher: »Wan?«
»Natürlich bin ich Wan! Wer sollte es denn sonst sein, wenn nicht Wan?«
»Oh … Nun, nein, da ist niemand, auf den die Beschreibung deines Vaters passt. Und wer war das, den du gerettet hast?«
»Sie behauptet, sie heiße Gelle-Klara Moynlin. Weiblich. Nicht besonders hübsch. Etwa vierzig«, gab Wan zur Antwort. Er schaute sie nicht einmal an, um seinen Irrtum zu erkennen. Klara erstarrte. Aber dann überlegte sie, dass die Strapazen sie zweifellos älter aussehen ließen, als sie war.