Das war ganz neu für Klara und gefiel ihr gar nicht. In der »guten alten Zeit« – wie lange diese auch subjektiv gesehen zurücklag – sah man vielleicht ein oder zwei Uniformen pro Tag. Das waren meist Leute, die auf den Beobachtungsschiffen der Vier Mächte Dienst taten. Mit Sicherheit sah man keinen, der eine Waffe trug. Das war jetzt nicht mehr so. Uniformierte waren überall, und sie waren bewaffnet.
Auch das Anmelden hatte sich wie alles andere verändert. Es war schon immer eine schwachsinnige Prozedur gewesen. Man kam dreckig und erschöpft auf Gateway an, die Angst steckte einem immer noch in den Knochen, weil man bis zur letzten Minute nicht sicher war, ob man es schaffen würde. Dann musste man sich auf Anordnung der Gateway AG mit den Auswertern und den Datensammlern und den Buchhaltern zusammensetzen. Was haben Sie gefunden? Was war daran neu? Was war es wert? Die Prospektoren mussten Fragen wie diese beantworten. Von der Beurteilung des Fluges durch die Abmeldekommission hing es ab, ob dieser eine totale Pleite oder – was nur selten vorkam – nie erträumten Reichtum bedeutete. Ein Gateway-Prospektor brauchte gewisse Fähigkeiten, um lediglich zu überleben, wenn er sich einmal in einem dieser unberechenbaren Schiffe eingeschlossen hatte und zu seiner Fahrt auf der Geisterbahn aufgebrochen war. Um reich zu werden, brauchte er mehr als diese Fähigkeiten. Er brauchte einen günstigen Bericht der Kommission.
Anmelden war schon immer übel gewesen, aber jetzt war es noch schlimmer. Es gab keine einzelnen Beamten von der Gateway AG, sondern vier Teams, eines von jeder der vier Schutzmächte. Die Befragung erfolgte jetzt dort, wo früher der beliebteste Nachtclub des Asteroiden und das Spielcasino gewesen waren, die »Blaue Hölle«. Jetzt gab es dort vier getrennte Zimmer mit den entsprechenden Fahnen auf der Tür. Die Brasilianer bekamen Dolly. Die Volksrepublik China griff sich Wan. Der amerikanische MP nahm Klara am Arm. Als der Leutnant vor der sowjetischen Tür die Stirn runzelte und den Kolben seiner Kalaschnikoff streichelte, warf ihm der Amerikaner ebenfalls einen finsteren Blick zu und legte die Hand an den Colt.
Eigentlich war die Reihenfolge egal, denn sobald Klara bei den Amerikanern durch war, übernahmen sie die Brasilianer. Und wenn man von einem jungen Soldaten mit einer Waffe eingeladen wird mitzukommen, spielt es keine Rolle, ob Colt oder Paz.
Auf dem Weg von den Brasilianern zu den Chinesen kreuzten sich Klaras und Wans Wege. Er schwitzte und war wütend von den Chinesen zu den Russen unterwegs. Es wurde ihr klar, dass sie wirklich dankbar sein sollte. Die Vernehmungsbeamten waren grob, angeberisch und gemein zu ihr. Aber bei Wan schienen sie noch schlimmer zu sein. Sie kannte die Gründe nicht, warum seine Vernehmungen immer doppelt so lange wie ihre dauerten. Und die dauerten schon lange. Jede Kommission wies sie darauf hin, dass sie eigentlich tot sein müsste, dass ihr Bankkonto schon vor langer Zeit von der Gateway AG eingezogen worden war, dass ihr keine Bezahlung für den Flug mit Juan Henriquette Santos-Schmitz zustand, da das keine autorisierte Gateway-Mission gewesen sei. Und was ihre Bezahlung für die Fahrt zum Schwarzen Loch betraf, auf die sie eigentlich ein Anrecht hatte, nun, sie war ja nicht mit dem Schiff zurückgekehrt, oder? Bei den Amerikanern hatte sie zumindest eine Wissenschaftsprämie beantragen können – wer außer ihr war schon jemals in einem Schwarzen Loch gewesen? Man teilte ihr mit, dass man sich die Angelegenheit überlegen wolle. Die Brasilianer beschieden ihr, dass dies ein Punkt sei, über welchen die Vier Mächte verhandeln müssten. Die Chinesen sagten, alles hänge von der Interpretation eines Preises ab, der Robinette Broadhead verliehen worden war, und die Russen waren an der Sache überhaupt nicht interessiert. Sie wollten nur wissen, ob sie bei Wan Anzeichen für terroristische Neigungen festgestellt habe.
Die Anmeldung dauerte ewig. Danach kam noch eine medizinische Untersuchung, die beinahe ebenso viel Zeit in Anspruch nahm. Die Diagnoseprogramme waren noch nie auf ein lebendes Wesen gestoßen, das den Drehkräften hinter einer Schwarzschild-Barriere ausgesetzt war. Sie ließen sie nicht eher gehen, als bis sie jeden Knochen und jede Sehne genau untersucht hatten. Sie bedienten sich auch großzügig mit Proben ihrer Körpersäfte. Erst danach entließen sie Klara in die Hände der Buchhaltungsabteilung, damit sie sich dort ihren Kontoauszug holen konnte. Auf dem Plastikkärtchen stand lediglich:
MOYNLIN, Gelle-Klara
Kontostand: 0
Fällige Prämien: noch nicht berechnet
Vor der Buchhaltung wartete Dolly Walthers. Sie sah bekümmert und gelangweilt aus. »Wie geht’s denn, Schätzchen?«, fragte sie. Klara verzog das Gesicht. »Ach, das tut mir Leid. Wan ist immer noch da drin«, erklärte sie, »weil sie ihn eine gottverdammte Ewigkeit bei der Anmeldung behalten haben. Ich sitze schon seit Stunden hier herum. Was haben Sie jetzt vor?«
»Ich weiß es nicht genau«, gab Klara zu und dachte an die sehr begrenzten Möglichkeiten auf Gateway, wenn man kein Geld hatte.
»Ja. Mir geht’s genauso.« Dolly seufzte. »Wissen Sie, bei Wan weiß man nie. Er kann nirgends lange bleiben, weil sie ihm sonst Fragen über das Zeug auf seinem Schiff stellen, und ich glaube nicht, dass er alles ganz legal bekommen hat.« Sie schluckte und fügte schnell hinzu: »Vorsicht! Er kommt.«
Zu Klaras Überraschung strahlte Wan sie an, nachdem er von den Auszügen aufsah, die er studiert hatte. »Ah«, sagte er, »meine liebe Gelle-Klara, ich habe mich mit Ihrer rechtlichen Position befasst. Sehr aussichtsreich, glaube ich.«
Aussichtsreich! Sie blickte ihn mit deutlicher Verachtung an. »Wenn Sie damit zum Ausdruck bringen wollen, dass man mich wahrscheinlich innerhalb der nächsten achtundvierzig Stunden wegen nichtbezahlter Rechnungen ins All jagt, finde ich das gar nicht so aussichtsreich.«
Er warf ihr einen prüfenden Blick zu, entschied sich dann anzunehmen, dass sie nur scherzte. »Haha! Das ist ein guter Witz! Da Sie nicht gewohnt sind, mit großen Summen umzugehen, erlaube ich mir, Ihnen einen Bankmenschen zu empfehlen, den ich recht brauchbar finde …«
»Hören Sie auf, Wan! Ich finde es ganz und gar nicht komisch.«
»Natürlich ist es nicht komisch!« Er brüllte, wie man es von ihm gewohnt war. Dann wechselte sein Gesichtsausdruck. Ungläubig fragte er: »Kann es sein … ist es möglich … haben die Ihnen nichts von Ihrem Anspruch erzählt?«
»Was für ein Anspruch?«
»Ihre Forderung gegen Robinette Broadhead. Mein Rechtsverdreher sagt, dass Sie fünfzig Prozent seines Vermögens bekommen müssten.«
»Reden Sie keinen Scheiß, Wan!«, fuhr sie ihn an.
»Das ist kein Scheiß! Ich habe ein ausgezeichnetes juristisches Programm. Es geht nach dem Prinzip des Kalbs, das der Kuh folgt. Verstehen Sie? Sie sollten den vollen Anteil der Überlebensprämie für seine letzte Mission bekommen. Dieser Anteil steht Ihnen zu, außerdem noch eine Beteiligung an allem, was er später hinzuerworben hat, weil er es ja mithilfe dieses Startkapitals erworben hat.«
»Aber … aber … ach, das ist ja albern!«, stieß sie hervor. »Ich werde ihn nicht verklagen.«
»Aber natürlich müssen Sie klagen! Was sonst? Wie kommen Sie sonst an das, was Ihnen gehört? Schauen Sie, ich verklage mindestens zweihundert Leute pro Jahr, Gelle-Klara. Und bei Ihnen steht eine Riesensumme auf dem Spiel. Wissen Sie, wie viel Broadheads Reingewinn beträgt? Eine Menge, sogar viel mehr als meiner.« Dann sagte er mit der betont herzlichen, kumpelhaften Art, die unter Geldleuten üblich ist: »Es könnten natürlich für Sie Schwierigkeiten auftreten, während über die Sache entschieden wird. Gestatten Sie mir, dass ich ein kleines Darlehen von meinem Konto auf Ihres überweise – einen Augenblick …« Er machte die notwendigen Eintragungen auf seiner Kontokarte. »So, das hätten wir. Viel Glück!«