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Eines der weniger komplizierten Artefakte, das die Hitschi zurückgelassen hatten, war der anisokinetische »Schubser« – ein einfaches Werkzeug, das einen ankommenden Stoß mit gleicher Kraft in jeden beliebigen Winkel zur Stoßkraft umwandeln und weiterleiten konnte. Die zugrunde liegende Theorie erwies sich nicht nur als begründet, sondern auch als elegant. Weniger im Sinne des Erfinders war der Nutzen, den die Menschen daraus zogen: Das beliebteste Erzeugnis aus anisokinetischem Material war eine Matratze mit »Federn«, deren Kraft wie ein Vektor nicht skalar verlief und dabei, wie man sagt, eine anregende Unterstützung bei sexueller Tätigkeit bewirkte. Sexuelle Aktivität! Wie viel Zeit fleischliche Intelligenz doch bei solchen Dingen verschwendet.

Ich dachte daher auch an nichts Besonderes, als ich durch die Luke in meine eigene, persönliche, von Menschen gebaute interstellare Raumjacht kletterte. Verdammt noch mal, ich war wirklich fast so gespannt, wie ich Essie gegenüber vorgegeben hatte. Ein Traum meiner Kindheit war in Erfüllung gegangen. Er war Wirklichkeit geworden. Und er gehörte mir. Es war alles vorhanden.

Nun beinahe alles. Das Schiff wies eine Eignerkabine mit einem phantastisch breiten anisokinetischen Bett auf und eine richtige Toilette im Nebenraum. Es hatte eine bis oben hin gefüllte Vorratskammer und eine beinahe richtige Küche. Es verfügte auch über Arbeitskabinen, eine für Essie und eine für mich, in denen sich versteckte Kojen befanden, falls wir Lust auf gegenseitigen Besuch verspürten. Es war mit dem ersten von Menschenhand gebauten Antriebssystem ausgerüstet, das als Zivilfahrzeug erfolgreich den Testflug mit Überlichtgeschwindigkeit bestanden hatte – zugegeben, einige Teile waren Hitschi. Man hatte sie aus kaputten Erkundungsschiffen geborgen, aber das meiste stammte von Menschenhand. Und es war kraftvoll, mit einem größeren und schnelleren Triebwerk. Es war auch an ein Heim für Albert gedacht worden: einen Fächerhalter, über dem sein Name eingraviert war. Ich steckte ihn an seinen Platz, schaltete ihn aber nicht ein, weil ich mich lieber ganz allein umsehen wollte. Es gab auch Datenfächer mit Musik und PV-Theaterstücken, Nachschlagewerken und Expertenprogrammen, um alles zu tun, wozu ich oder Essie Lust hatten. Auch einen Bildschirm wie den auf dem großen S. Ya.-Transporter gab es hier, zehnmal so groß wie die kleinen verschmierten Scheiben auf den Erkundungsschiffen. Es war alles vorhanden, was ich mir auf einem Schiff wünschen konnte. Nur etwas fehlte. Es hatte noch keinen Namen.

Ich setzte mich auf die Kante des großen anisokinetischen Betts. Der Schub fühlte sich merkwürdig an meinem Hintern an, weil er ganz nach oben gerichtet war, nicht wie bei normalen Matratzen, die einen von den Seiten einengten. Es war ein guter Ort, um über das Namensproblem nachzudenken, da die Person, nach der ich das Schiff nennen wollte, das Bett mit mir teilen würde. Allerdings hatte ich schon das Transportschiff nach ihr genannt.

Natürlich gab es Möglichkeiten, dieses Problem zu lösen. Ich konnte das Schiff Semya nennen. Oder Essie. Oder die Mrs. Broadhead, obwohl Letzteres ziemlich dumm klang.

Die Sache war eilig. Wir waren aufbruchbereit. Uns hielt nichts auf Gateway außer der Tatsache, dass ich es nicht über mich bringen konnte, mit einem Schiff loszufahren, das keinen Namen hatte. Ich ging hinüber in die Steuerkabine und ließ mich auf den Pilotensitz fallen. Dieser war für ein menschliches Unterteil gebaut und allein dadurch schon eine immense Verbesserung gegenüber den alten Modellen.

Als Kind in den Nahrungsgruben pflegte ich oft auf einem Küchenstuhl vor dem Radarherd zu sitzen und mir vorzustellen, dass ich ein Gateway-Schiff in die entferntesten Ecken des Universums steuerte. Jetzt tat ich genau das Gleiche. Ich streckte meine Hand aus und berührte die Räder für den Kurs und bildete mir ein, die Startwarze zu drücken und … und … nun, ich phantasierte. Ich sah mich durchs All rasen auf genau die gleiche sorglose, abenteuerliche, straffreie Art, wie ich es mir als Kind vorgestellt hatte, Quasare umkreisen. Hinauseilen zu den benachbarten, fremden Galaxien. Eindringen in den Silikonstaubschleier um den Kern. Einem Hitschi begegnen! In ein Schwarzes Loch eindringen …

Meine Phantasien brachen an diesem Punkt zusammen. Das war zu persönlich, zu echt. Aber da fiel mir plötzlich ein Name für das Schiff ein. Er passte vollkommen zu Essie.

Wahre Liebe.

Es war der perfekte Name!

Wenn das stimmte, warum hinterließ er bei mir ein Gefühl unbestimmter Rührseligkeit, Liebeskummer und Schwermut?

Aber diesen Gedanken wollte ich nicht weiterverfolgen.

Auf alle Fälle hatte ich jetzt einen Namen gefunden. Nun galt es, einige Dinge zu erledigen: Die Registrierung musste ergänzt werden, die Versicherungspolicen mussten geändert  – die Welt musste von meiner Entscheidung in Kenntnis gesetzt werden. Der beste Weg, das alles zu bewerkstelligen, war, es Albert zu übertragen. Ich rüttelte seinen Datenfächer, um sicherzugehen, dass er fest saß, und schaltete ihn ein.

Ich hatte mich an den neuen Albert noch nicht gewöhnt und war daher sehr überrascht, als er nicht in seiner holographischen Kiste, ja nicht einmal in der Nähe seines Datenfächers auftauchte, sondern im Gang zur Hauptkabine. Er stand da und hielt mit der einen Hand seinen Ellenbogen umschlossen, eine Pfeife in der anderen, und schaute sich friedlich alles an, sodass die ganze Welt geglaubt hätte, er sei eben erst hereingekommen. »Ein wunderschönes Schiff, Robin«, sagte er. »Herzlichen Glückwunsch.«

»Ich wusste nicht, dass du so herumhüpfen kannst.«

»Ich hüpfe keineswegs herum, mein lieber Robin«, klärte er mich freundlich auf. »Es gehört zu meinem Programm, eine größtmögliche Simulation der Wirklichkeit zu bieten. Wie ein Geist aus der Flasche zu erscheinen, würde doch nicht realistisch aussehen, oder?«

»Du bist ein prima Programm, Albert«, musste ich zugeben.

Er lächelte und ergänzte: »Und auch sehr wachsam, Robin, wenn ich das sagen darf. Zum Beispiel, ich glaube, dass deine liebe Frau soeben kommt.« Er trat beiseite – völlig überflüssigerweise –, als Essie hereintrat. Sie keuchte und sah aus, als versuche sie, ihre Bestürzung nicht zu zeigen.

»Was ist los?«, fragte ich und war selbst plötzlich aufgeregt.

Sie antwortete nicht gleich. »Du hast also nichts gehört?«, fragte sie endlich.

»Was gehört?«

Sie schaute mich überrascht und gleichzeitig erleichtert an. »Albert? Du hast noch keine Verbindung mit dem Datennetz aufgenommen?«

»Das wollte ich gerade tun, Mrs. Broadhead«, gab er höflich Bescheid.

»Nein! Nicht! Da ist … äh … da sind noch einige Änderungen in der Vorspannung durchzuführen, eine Anpassung an die Gateway-Bedingungen.« Albert spitzte nachdenklich die Lippen, sagte aber nichts. Ich war nicht so schweigsam.

»Essie, spuck’s aus! Was ist los?«

Sie setzte sich auf die Bank des Kommunikators und fächelte sich Kühlung zu.

»Dieser Schurke Wan ist hier!«, sagte sie. »Der ganze Asteroid redet darüber. Ich bin erstaunt, dass du es noch nicht gehört hast. Puh! Ich bin so gerannt! Ich hatte Angst, dass du dich furchtbar aufregst.«

Ich lächelte nachsichtig. »Die Operation ist schon einige Wochen her, Essie«, erinnerte ich sie. »Ich bin nicht so schwächlich – und über Wan würde ich mich schon gar nicht so aufregen. Hab doch ein bisschen Vertrauen in mich!«

Sie sah mich genau an und nickte dann. »Stimmt«, gab sie zu. »War dumm von mir. Gut, ich geh’ wieder an die Arbeit«, fuhr sie fort. Damit stand sie auf und trat zur Tür. »Aber, denk dran, Albert – keine Schnittstellen mit dem Netz, bis ich zurückkomme!«

»Warte!«, rief ich. »Du hast ja noch gar nicht meine Neuigkeiten gehört.« Sie blieb lange genug stehen, dass ich stolz verkünden konnte: »Ich habe einen Namen für das Schiff gefunden. Wahre Liebe. Was meinst du?«