»Glaubst du das auch jetzt noch?«
»Ich hoffe es, Robin«, verbesserte er mich. »Die aktuellen Nachrichten sind dieser Hoffnung nicht gerade förderlich, das muss ich zugeben. Möchtest du noch den Rest der Nachrichten hören?«
»Ich sollte wohl«, erwiderte ich und sah zu, wie er wieder zu Essies Frisierkommode hinüberschlenderte und sich dort niederließ. Er spielte mit dem Parfümfläschchen und anderem weiblichem Schnickschnack, der dort zur Dekoration herumstand, während er sprach. Er benahm sich so normal, so menschlich, dass dies mich von dem, was er sagte, ablenkte. Das war auch gut so, denn die Nachrichten waren schlecht. Die Terroristen waren aktiver als je zuvor. Die Zerstörung der Lofstromschlaufe war tatsächlich der erste Schritt eines Aufstandes gewesen, und ein kleiner, blutiger Krieg tobte in dem Teil Südamerikas. Terroristen hatten Botulismustoxin4 ins Staines-Reservoir geschüttet, und jetzt musste ganz London Durst leiden. Solche Nachrichten wollte ich nicht hören. Das sagte ich ihm auch.
Er seufzte und stimmte mir zu. »Es waren freundlichere Tage, als ich noch lebte«, meinte er wehmütig. »Wenn auch nicht vollkommen, das steht fest. Vielleicht hätte ich Präsident des Staates Israel werden können, wusstest du das, Robin? Ja. Aber ich konnte nicht annehmen. Ich war immer für den Frieden gewesen, und ein Staat muss manchmal einen Krieg führen. Loeb5 vertraute mir einmal an, dass alle Politiker krank sein müssen, und ich fürchte, er hatte Recht.« Er setzte sich auf und strahlte. »Aber hier ist auch eine gute Nachricht, Robin! Die Broadhead Awards für Wissenschaftliche Entdeckungen …«
»Die was?«
»Aber erinnere dich doch, Robin«, verlangte er ungeduldig. »Das System der Preise. Du hast mich kurz vor deiner Operation bevollmächtigt, die Sache einzuleiten. Die Idee beginnt bereits, Früchte zu tragen.«
»Du hast das Geheimnis der Hitschi gelüftet?«
»Ach, Robin, ich stelle fest, dass du scherzt«, sagte er mit leichtem Tadel. »Natürlich nichts so Überwältigendes. Aber es gibt da einen Physiker in Laguna Beach – Beckfurt. Kennst du seine Arbeiten? Er hat ein System vorgeschlagen, um flachen Raum zu schaffen.«
»Nein. Ich weiß nicht einmal, was flacher Raum bedeutet.«
»Na schön«, sagte er und fand sich mit meiner Unwissenheit ab. »Das spielt jetzt auch keine Rolle. Er arbeitet zurzeit an einer mathematischen Analyse fehlender Masse. Es sieht so aus, Robin, als sei dieses Phänomen ganz jung! Irgendwie ist innerhalb der letzten paar Millionen Jahre Masse zum Universum hinzugefügt worden!«
»Na so was!«, bemerkte ich und versuchte ein Gesicht zu machen, als verstünde ich es. Ich konnte ihn aber nicht täuschen.
Ungeduldig forderte er mich auf: »Robin, erinnere dich doch an den Toten Menschen – das heißt die Tote Frau – auf der jetzigen S. Ya. Broadhead, die uns vor vielen Jahren zu der Auffassung bringen wollte, dass dieses Phänomen etwas mit einer Handlung der Hitschi zu tun hätte. Wir haben das seinerzeit verworfen, da kein Grund zu dieser Annahme zu bestehen schien.«
»Ich erinnere mich«, warf ich ein, was nur teilweise stimmte. Ich erinnerte mich: Albert hatte die wilde Vorstellung, dass aus einem nicht näher ausgeführten Grund die Hitschi das Universum kollabieren ließen, um einen neuen Urknall und damit ein neues Universum mit etwas anderen physikalischen Gesetzen zu schaffen. Aber dann hatte Albert seine Meinung geändert. Mit Sicherheit hatte er mir alle seine Gründe dafür vorgetragen, aber ich hatte nicht viel davon behalten. »Mach?«, fragte ich. »Irgendetwas mit diesem Mach? Und jemand, der Davies hieß?«
»Genau richtig, Robin!«, lobte er mich und strahlte vor Freude. »Machs Hypothese schlug einen Anlass für die Handlungen der Hitschi vor, aber Davies’ Paradoxon stellte dies als unwahrscheinlich hin. Jetzt hat Beckfurt analytisch nachgewiesen, dass Davies’ Paradoxon nicht unbedingt zutreffen muss, wenn man annimmt, dass die Zahl der Expansionen und Kontraktionen des Universums unendlich ist!« Er stand auf und ging hin und her. Er war mit sich so zufrieden, dass er nicht still sitzen konnte. Ich verstand nicht, worüber er sich so freute.
»Albert«, fragte ich unsicher. »Willst du andeuten, dass das Universum uns um die Ohren fliegen wird und wir alle zu – wie nennst du das? – Phloem zermalmt werden?«
»Ganz genau, mein lieber Junge!«
»Und darüber bist du glücklich?«
»Allerdings! Ach«, sagte er und blieb an der Tür stehen. »Ich sehe wo du Schwierigkeiten hast. Das wird nicht bald geschehen, sondern ist eine Angelegenheit von wenigstens einigen Milliarden Jahren, das steht fest.«
Ich lehnte mich zurück und schaute ihn an. Es war nicht so leicht, sich an diesen neuen Albert zu gewöhnen! Er schien nichts dabei zu finden, fröhlich über all die halbgaren Vorstellungen zu plaudern, die seit der Ausschreibung der Preise eingegangen waren. Unbekümmert äußerte er auch, was er sich dabei gedacht hatte. Gedacht?
»Moment mal«, unterbrach ich ihn und runzelte die Stirn. Da war etwas, das ich nicht kapierte. »Wann?«
»Wann was, Robin?«
»Wann hast du darüber nachgedacht? Du warst doch ausgeschaltet, wenn wir uns nicht unterhalten haben.«
»Stimmt genau, Robin. Als ich ›ausgeschaltet war‹, wie du es nennst.« Seine Augen funkelten verschmitzt. »Jetzt hat mich Mrs. Broadhead mit einer fest installierten, umfangreichen Datenbank ausgestattet. Ich höre jetzt nicht mehr auf zu existieren, wenn du mich ausschaltest.«
»Das wusste ich nicht.«
»Und es macht mir so viel Freude, wie du dir gar nicht vorstellen kannst! Einfach denken! Mein ganzes Leben habe ich mir das sehnlichst gewünscht. Als junger Mann habe ich vor Freude geweint, wenn ich die Möglichkeit hatte, still dazusitzen und zu denken – zum Beispiel, wie man für bekannte mathematische und physikalische Theoreme die Beweise wiederherstellen konnte. Jetzt kann ich das sehr oft tun, und noch viel schneller als damals, als ich noch lebte! Ich bin deiner Frau dafür zu tiefstem Dank verpflichtet.« Er spitzte ein Ohr. »Da kommt sie zurück, Robin«, sagte er. »Mrs. Broadhead? Mir ist gerade eingefallen, dass ich Ihnen für diese neue Programmierung noch meinen Dank aussprechen muss.«
Sie sah ihn leicht verwundert an und schüttelte den Kopf. »Liebster Robin«, begann sie. »Ich muss dir etwas mitteilen. Einen Moment.« Sie wandte sich an Albert und warf ihm einige schnelle Sätze auf Russisch zu. Er nickte und machte ein ernstes Gesicht. Manchmal brauche ich sehr lange, um etwas mitzubekommen. Aber jetzt hatte sogar ich kapiert, dass etwas vorging, das ich wissen sollte. »Raus mit der Sprache, Essie!«, verlangte ich. Ich war sehr in Unruhe, vor allem, weil ich den Grund meiner Unruhe nicht kannte. »Was ist los? Hat Wan etwas verbrochen?«
Robin verstand Davies’ Paradoxon nicht ganz, aber er verstand ja nicht einmal das viel berühmtere Olbers-Paradoxon, das den Astronomen damals im 19. Jahrhundert so viel zu schaffen gemacht hatte. Olbers sagte: Wenn das Universum unendlich ist, muss es auch eine unendliche Zahl von Sternen geben. Das bedeutet, dass wir nicht einzelne Sterne am schwarzen Himmel sehen können, sondern eine feste, strahlend weiße Kuppel aus Sternenlicht. Er wies das mathematisch nach. (Er wusste allerdings nicht, dass die Sterne zu Galaxien zusammengeschlossen waren, was die mathematischen Gegebenheiten veränderte.) Dann argumentierte ein Jahrhundert später Paul Davies: Wenn es stimmt, dass das Universum zyklisch ist und sich immer wieder ausweitet und zusammenzieht, dann ist es einem winzigen Teil aus Materie oder Energie möglich, sich aus dem Druck herauszuhalten und ins nächste Universum überzuwechseln. Eine unendliche Zeitspanne später würde dieses Restlicht unendlich anwachsen und wieder zu einem Olbers-Himmel führen. Er wusste aber nicht, dass die Zahl der Schwingungen, denen ein kleines Energieteilchen draußen ausgesetzt war, nicht unendlich war.