»Hoffentlich«, sagte ich zweifelnd. »Bis später.« Er winkte und packte das Abwärtskabel, ohne sich noch einmal umzusehen. Offenbar war ich damit einverstanden, das Glas, das er mir schuldig war, bei der Party zu trinken. Wo es ihn nichts kosten würde.
Ich überlegte wieder, ob ich Sheri suchen sollte, und entschied mich dagegen. Ich war in einem Teil von Gateway, den ich nicht kannte, und meine Karte hatte ich natürlich im Zimmer gelassen. Ich wanderte ziellos umher, vorbei an Sternpunkten, wo manche Tunnels staubig und muffig rochen und es nicht viele Leute gab, dann durch einen bewohnten Sektor, in dem das osteuropäische Element vorzuherrschen schien. Die Sprachen kannte ich nicht, aber an dem allgegenwärtigen Efeu hingen Mitteilungen und Wandschilder mit Buchstaben, die kyrillisch oder noch fremdartiger aussahen. Ich kam zu einem Fallschacht, überlegte kurz und griff nach dem Aufwärts-Kabel. Die Gefahr, sich in Gateway zu verirren, ist am geringsten, wenn man sich ständig aufwärts bewegt, bis man die Spindel erreicht, wo ›aufwärts‹ aufhört.
Aber diesmal kam ich am Central Park vorbei und ließ plötzlich das Kabel los, um mich eine Weile unter einen Baum zu setzen.
Central Park ist nicht wirklich ein Park. Es ist ein großer Tunnel, nicht weit vom Rotationszentrum des Asteroiden entfernt, der ganz der Vegetation gewidmet ist. Dort fand ich Orangenbäume (was den Saft erklärte) und Weinreben, Farnkraut und Moos, aber kein Gras. Ich weiß nicht genau, warum nicht. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass man nur Arten anpflanzt, die für das verfügbare Licht empfindlich sind, für das blaue Leuchten des Hitschi-Metalls überall, und vielleicht konnte man kein Gras finden, das dieses Licht für seine Photosynthese wirksam zu nutzen vermochte. Der Hauptgrund für das Bestehen von Central Park war, dass er CO2 schluckte und Sauerstoff abgab; das war in der Zeit wichtig gewesen, bevor man alle Tunnels bepflanzt hatte. Aber er tötete auch Gerüche oder sollte es wenigstens tun, ein bisschen, und er erzeugte eine gewisse Menge Nahrung. Das Ganze war etwa achtzig Meter lang und doppelt so hoch wie ich. Es war breit genug, um Platz für ein paar geschlängelte Wege zu bieten. Das Zeug, in dem die Pflanzen wuchsen, sah der guten alten irdischen Erde sehr ähnlich. In Wirklichkeit war es Humus aus dem Abwasserschlamm von den zweitausend Leuten, die Gateway-Toiletten benutzt hatten, aber das war nicht zu sehen, nicht einmal zu riechen.
Der erste Baum, der groß genug war, damit man sich darunter setzen konnte, taugte nicht für diesen Zweck; es war ein Maulbeerbaum, und man hatte engmaschige Netze darunter aufgespannt, um die Früchte aufzufangen. Ich ging daran vorbei, und ein paar Meter weiter stieß ich auf eine Frau und ein Kind.
Ein Kind! Ich hatte nicht gewusst, dass es auf Gateway überhaupt Kinder gab. Es war ein winziges Dingelchen, vielleicht eineinhalb Jahre alt, und spielte mit einem so großen und bei der niedrigen Schwerkraft so trägen Ball, dass er wie ein Luftballon wirkte.
»Hallo, Bob.«
Das war die zweite Überraschung; die Frau, die mich begrüßte, war Gelle-Klara Moynhin. Ohne zu überlegen, sagte ich: »Ich wusste nicht, dass Sie ein kleines Mädchen haben.«
»Stimmt auch nicht. Das ist Kathy Francis; ihre Mutter borgt sie mir manchmal aus. Kathy, das ist Bob Broadhead.«
»Hallo, Bob«, rief das kleine Ding und betrachtete mich aus drei Metern Entfernung. »Bist du ein Freund von Klara?«
»Das hoffe ich. Sie ist meine Lehrerin. Willst du Fangen spielen?«
Kathy schloss ihre Betrachtung ab und sagte klar verständlich und präzise wie eine Erwachsene: »Ich weiß nicht, wie Fangen geht, aber ich hole dir sechs Maulbeeren. Das ist alles, was du kriegen kannst.«
»Danke.« Ich setzte mich zu Klara, die die Hände um ihre Knie geschlungen hatte und das Kind beobachtete. »Sie ist süß.«
»Na ja, stimmt wohl. Schwer zu beurteilen, wenn es sonst nicht viele Kinder gibt.«
»Sie ist doch kein Prospektor, oder?«
Ich wollte nicht direkt einen Witz machen, aber Klara lachte hell.
»Ihre Eltern sind dauernd hier. Die meiste Zeit jedenfalls. Im Augenblick ist ihre Mutter unterwegs. Manchmal machen sie das, viele von den Ständigen. Man kann nur eine gewisse Zeit damit zubringen, sich auszurechnen, was die Hitschi trieben, bevor man seine eigenen Lösungen der Rätsel ausprobieren will.«
»Klingt gefährlich.«
Sie machte ›Pst‹. Kathy kam zurück, in jeder offenen Hand drei Maulbeeren, um sie nicht zu zerquetschen. Sie hatte eine komische Gangart, bei der Waden- und Schenkelmuskeln kaum gebraucht zu werden schienen; sie schob sich abwechselnd sozusagen auf den Fußballen hoch und schwebte einen Schritt weit. Nachdem ich das beobachtet hatte, probierte ich es selbst aus, und es erwies sich als sehr praktische Gehweise bei nahezu völlig fehlender Schwerkraft, aber meine Reflexe kamen mir immer wieder dazwischen. Man muss wohl auf Gateway geboren sein, um sich ganz natürlich so bewegen zu können.
Dieser Park wird
ÜBERWACHT
durch eine eigene PV-Anlage.
Sie sollen sich an ihm erfreuen. Pflücken Sie keine Blumen oder Früchte. Beschädigen Sie keine Pflanzen. Bei einem Besuch können Sie Fallobst essen bis zu folgenden Höchstgrenzen:
Trauben, Kirschen 8 pro Person Andere Kleinfrüchte oder Beeren 6 pro Person Orangen, Limonen, Birnen 1 pro Person
Von den Wegen darf kein Kies entfernt werden.
Jede Art von Abfall in die Behälter werfen.
DIE GATEWAY-GESELLSCHAFT
ABT. INSTANDHALTUNG
Klara im Park war viel entspannter und weiblicher als Klara, die Ausbilderin. Die Brauen, die männlich und zornig gewirkt hatten, wurden sportlich und freundlich. Sie roch noch immer sehr gut.
Es war sehr angenehm, sich mit ihr zu unterhalten, während Kathy um uns herum Ball spielte. Wir sprachen über Gegenden, die wir beide kannten, und fanden nichts Gemeinsames. Das Einzige, was wir gemeinsam hatten, war, dass ich fast am selben Tag geboren war wie ihr zwei Jahre jüngerer Bruder.
»Mögen Sie Ihren Bruder?«, fragte ich, ins Blaue hinein.
»Aber sicher. Er war das Baby. Aber er war Widder, unter dem Merkur und dem Mond geboren. Das machte ihn natürlich launisch und unbeständig. Ich glaube, er hätte ein kompliziertes Leben vor sich gehabt.«
Ich war weniger daran interessiert, sie danach zu fragen, was ihm zugestoßen war, als daran zu fragen, ob sie an den Quatsch wirklich glaubte, aber das schien nicht sehr taktvoll zu sein, und außerdem sprach sie weiter: »Ich bin Schütze. Und Sie – oh, natürlich, Sie müssen auch Widder sein, wie Davie.«
»Nehme ich an«, sagte ich höflich. »Ich, äh, halte nicht viel von Astrologie.«
»Nicht Astrologie, Nativitätskunde. Das eine ist Aberglauben, das andere Wissenschaft.«
»Hm.«
Sie lachte.
»Ich sehe schon, Sie sind ein Spötter. Macht nichts. Wenn man daran glaubt, gut; wenn nicht – nun, man braucht nicht ans Gravitationsgesetz zu glauben, um zerschmettert zu werden, wenn man von einem zweihundertstöckigen Gebäude fällt.«
Kathy setzte sich zu uns und fragte höflich: »Streitet ihr?«
»Nicht richtig, Schatz.« Klara streichelte sie.
»Das ist gut, Klara, weil ich auf die Toilette muss, und ich glaube nicht, dass ich das hier kann.«
»Es ist ohnehin Zeit, dass wir gehen. War nett, Sie zu sehen, Bob. Vorsicht vor Melancholie, ja?« Und sie gingen Hand in Hand davon, während Klara sich bemühte, den seltsamen Gang der Kleinen nachzuahmen. Sah gut aus.
Am Abend begab ich mich mit Sheri zu Dane Metschnikows Abschiedsfeier. Klara war auch da und sah in nabelfreiem Hosenanzug noch besser aus.
»Ich wusste nicht, dass Sie Dane Metschnikow kennen«, sagte ich.