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Ich streichelte ihr die Hand. Ich wusste, dass sie versuchte, mich auf fröhlichere Gedanken zu bringen. »Sie haben gesagt, dass sie sehr beschäftigt sind«, erinnerte ich sie.

Also warteten wir.

Eine halbe Stunde später spürte ich, wie Essie ohne Vorwarnung plötzlich steif wurde. Ich hatte den Arm um ihre Schulter gelegt. Ihr Gesichtsausdruck war wütend, und sie schien dem Wahnsinn nahe. Auch ich fühlte einen schnellen, heftigen Ruck in meinem eigenen Gehirn …

Dann war es vorbei. Wir schauten einander an. Es hatte nur wenige Sekunden gedauert. Lange genug, um uns klar werden zu lassen, warum alle so beschäftigt waren und warum sie keine Waffen in den Pistolentaschen trugen.

Die Terroristen hatten wieder zugeschlagen – aber es war nur ein flüchtiger Schlag.

Als der Leutnant zurückkam, war er besser gelaunt. Das hieß aber nicht, dass er freundlich war. Er konnte Zivilisten nicht ausstehen. Er war uns wohlgesinnt genug, um uns ein breites Lächeln zu schenken, und so feindselig, dass er uns den Grund dafür nicht nannte. Es war viel Zeit verstrichen. Er entschuldigte sich nicht, sondern führte uns in das Büro des Kommandanten, wobei er dauernd lächelte. Als wir ankamen, lächelte auch Brigadegeneral Cassata in seinem Büro mit den pastellfarbenen Stahlwänden, der Abbildung von West Point und den Rauchverzehrern aus Sterling-Silber, die vergeblich gegen seine Zigarre ankämpften.

Es gab nicht viele plausible Erklärungen für die plötzlich ausgebrochene Heiterkeit. Ich stürzte mich kopfüber ins Dunkel und griff eine heraus. »Herzlichen Glückwunsch, General!«, sagte ich höflich. »Dass Sie die Terroristen gefangen haben.«

Das Lächeln zuckte, kam aber wieder. Cassata war ein kleiner Mann und korpulenter, als es den Militärärzten recht sein konnte. Aus den olivfarbenen kurzen Hosen quollen seine Oberschenkel hervor, als er vor uns auf der Kante des Schreibtischs saß und uns begrüßte. »Wenn ich recht verstehe, Mr. Broadhead«, begann er, »ist der Zweck Ihres Besuches ein Gespräch mit Mrs. Dolly Walthers. In Anbetracht der Anweisungen, die ich erhalten habe, können Sie das selbstverständlich tun. Aber zu Sicherheitsangelegenheiten kann ich Ihnen keine Frage beantworten.«

»Ich habe gar keine gestellt«, meinte ich. Dann spürte ich Essies Warum-verärgerst-du-diesen-Typ-Blick sich in meinen Nacken brennen. Schnell fügte ich hinzu: »Auf alle Fälle ist es sehr freundlich von Ihnen, uns empfangen zu haben.«

Er nickte und stimmte mir offensichtlich bei, dass es sehr freundlich von ihm war. »Ich möchte Ihnen aber doch eine Frage stellen. Macht es Ihnen etwas aus, mir zu sagen, warum Sie sie sehen wollen?«

Essies Blick brannte immer noch und hielt mich davon ab, ihm zu eröffnen, dass es mir durchaus etwas ausmachte. »Aber keineswegs«, log ich. »Mrs. Walthers verbrachte einige Zeit mit einer Person, die mir sehr nahe steht und die ich gern wieder sehen würde. Wir hoffen, dass sie uns einen Tipp geben kann, wie wir uns mit – hm – dieser Person in Verbindung setzen können.« Es half nichts, wenn ich von einer neutralen Person sprach. Sie hatten bestimmt die arme Dolly völlig ausgequetscht und wussten, dass ich nur zwei Leute meinen konnte und es höchst unwahrscheinlich war, dass ich Wan als eine mir nahe stehende Person bezeichnen würde. General Cassata sah erst mich, dann Essie verwundert an, bevor er sagte: »Walthers ist wirklich eine sehr beliebte junge Dame. Ich will Sie nicht länger aufhalten.« Damit übergab er uns dem Leutnant für die Besichtigungstour.

Als Fremdenführer war der Leutnant eine totale Pleite. Er beantwortete keine Fragen und rückte auch keine Informationen freiwillig heraus. Dabei erregte so viel unsere Neugier. Überall waren deutliche Anzeichen einer kürzlichen Störung zu sehen. Kein Personenschaden. Aber als die Station in der ersten Minute des Wahnsinns durchgedreht war, wurde der Arresttrakt schwer beschädigt. Die Wachposten hatten das Schließsystem demoliert, glücklicherweise in einem Moment, als die Türen geöffnet waren. Ansonsten hätten in den Zellen einige arme Teufel verhungern müssen und als Skelette herumgelegen.

Das fand ich heraus, als wir an einer Reihe von Zellen vorbeikamen, bei denen die Türen offen standen. Davor hockten gelangweilt bewaffnete MPs auf den Gängen und passten auf, dass die Insassen drin blieben. Der Leutnant blieb stehen, um mit dem Wachoffizier zu sprechen. Während wir warteten, flüsterte Essie: »Wenn er die Terroristen nicht erwischt hat, warum ist der General dann so freundlich zu dir?«

»Gute Frage«, antwortete ich. »Hier ist eine für dich: Was hat er damit gemeint, dass Dolly eine so beliebte junge Dame ist?«

Der Leutnant war empört, dass wir es wagten, ohne Aufforderung zu sprechen. Er brach die Unterhaltung mit dem Kollegen ab und trieb uns weiter. Dann blieb er vor einer Zelle stehen, bei der wie bei den anderen auch die Tür offen stand. Er deutete hinein. »Da ist die Gefangene«, sagte er. »Sie können sich mit ihr unterhalten, so lange Sie wollen; aber sie weiß nicht viel.«

»Das ist mir klar«, sagte ich. »Denn andernfalls würden Sie uns sicher nicht zu ihr lassen, oder?« Dafür bekam ich wieder einen von Essies heißen Blicken zu spüren. Sie hatte Recht. Wenn ich den Leutnant nicht so dumm angeredet hätte, wäre er vielleicht anständig genug gewesen, etwas zurückzutreten, damit wir allein mit Dolly Walthers sprechen konnten. So aber postierte er sich ungeniert im Türrahmen.

Vielleicht auch nicht. Ich stimme für die zweite Annahme.

Dolly Walthers war eine Frau mit kindlicher Figur, kindlich hoher Stimme und schlechten Zähnen. Sie war nicht in bester Verfassung. Sie war verängstigt, erschöpft, wütend und verstockt.

Mir ging es nicht viel besser. Ich war vollkommen durcheinander und aufgewühlt von dem Bewusstsein, dass diese junge Frau vor mir einige Wochen in Gesellschaft der Liebe meines Lebens – oder einer der Lieben meines Lebens – verbracht hatte. Ich sage das so leichthin. Aber es war ganz und gar nicht leicht. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte.

»Sag ›Hallo‹, Robin!«, belehrte mich Essie.

»Mrs. Walthers«, brachte ich gehorsam hervor. »Hallo. Ich bin Robin Broadhead.«

Sie hatte noch Manieren. Wie ein gutes Kind streckte sie mir die Hand entgegen. »Ich weiß, wer Sie sind, Mr. Broadhead. Außerdem habe ich ja Ihre Frau neulich getroffen.« Höflich schüttelten wir uns die Hände. Sie lächelte sogar ganz flüchtig. Erst viel später, als ich ihre Robinette-Broadhead-Handpuppe sah, wusste ich, warum sie gelächelt hatte. Sie schien aber auch verwundert zu sein. »Ich dachte, dass mich vier Leute sehen wollten. Das hat man mir angekündigt«, meinte sie und suchte mit den Augen den Gang hinter dem sturen Leutnant ab.

»Nur wir beide«, sagte Essie und wartete darauf, dass ich mich dazu äußerte.

Aber ich brachte kein Wort heraus. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht, was ich fragen sollte. Vielleicht hätte ich es fertig gebracht, Dolly Walthers zu erklären, was Klara mir bedeutet hatte, und sie um Hilfe zu bitten – jede Art von Hilfe, wenn Essie allein dabei gewesen wäre. Oder wäre es nur der Leutnant gewesen, dann hätte ich ihn wie ein Möbelstück übersehen können. Jedenfalls bildete ich mir ein, es gekonnt zu haben. Aber sie waren beide anwesend, und ich stand still und stumm da, während Dolly Walthers mich neugierig und Essie erwartungsvoll anschauten. Selbst der Leutnant drehte sich um und starrte mich an.

Essie seufzte. Es klang verzweifelt und mitfühlend. Dann fällte sie ihre Entscheidung. Sie nahm die Sache in die Hand und sprach Dolly Walthers an. »Dolly«, sagte sie lebhaft, »Sie müssen meinen Mann entschuldigen. Es ist für ihn ein traumatisches Erlebnis. Die Gründe sind so kompliziert, dass ich sie Ihnen jetzt nicht erklären kann. Sie müssen mir auch verzeihen, dass ich nicht verhindert habe, dass die MPs Sie verhaftet haben. Ich habe ebenfalls ein Trauma, aus Gründen, die mit denen meines Mannes zusammenhängen. Wichtig ist, was wir jetzt machen! Ich schlage Folgendes vor: Zuerst erwirken wir Ihre Freilassung von hier. Dann laden wir Sie ein, uns zu begleiten und uns zu helfen, Wan und Gelle-Klara Moynlin aufzufinden. Ist Ihnen das recht?«