Das ging alles zu schnell, auch für Dolly Walthers. »Nun«, sagte sie, »ich …«
»Also schön!«, unterbrach sie Essie und nickte. »Wir werden das in die Wege leiten. Leutnant! Bringen Sie uns zurück auf unser Schiff, die Wahre Liebe! Sofort, bitte!«
Der Leutnant machte schockiert den Mund auf. Ich kam ihm aber zuvor. »Essie, sollten wir nicht zuerst mit dem General sprechen?«
Sie drückte meine Hand und sah mich an. Der Blick war mitfühlend. Der Handdruck war eine Halt-die-Klappe-Robin-Warnung, die mir fast die Knöchel brach. »Mein armes Schäfchen«, erklärte sie schüchtern dem Leutnant, »hat gerade eine größere Operation hinter sich. Er ist verwirrt. Wir müssen zum Schiff wegen seiner Arznei, und zwar schnell!«
Wenn meine Frau Essie entschlossen ist, etwas zu tun, kann man nur mit ihr auskommen, indem man sie gewähren lässt. Ich wusste nicht, was sie vorhatte, wohl aber welche Rolle ich zu spielen hatte. Ich nahm die Haltung eines älteren Mannes an, der durch eine kürzliche Operation noch ganz benommen ist, und ließ mich von ihr hinter dem Leutnant durch die Korridore des Pentagons führen.
Wir kamen nicht schnell genug vorwärts, weil die Gänge des Pentagons ziemlich belebt waren. Der Leutnant blieb mit uns an einer Kreuzung stehen, als eine Abteilung Gefangener vorbeimarschierte. Aus irgendeinem Grund räumte man einen ganzen Zellenblock. Essie stieß mich an und zeigte auf die Monitore an den Wänden. Auf einem Teil sah man nur Wegweiser: Verpflegungsamt 7, Mannschaftslatrinen, Andockbereich V und so weiter. Aber auf dem anderen …
Auf dem anderen war der Andockbereich zu sehen. Etwas Riesiges lief dort ein. Groß, schwerfällig und von Menschen gebaut. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass es auf der Erde und nicht von den Hitschi konstruiert worden war. Das lag nicht so sehr an dem Design oder daran, dass es aus grauem Stahl statt aus dem blauen Hitschi-Metall gefertigt war. Der Beweis waren die bösartig aussehenden Schusswaffen, die ihre Mäuler aus dem glatten Bauch herausstreckten.
Das Pentagon hatte, wie ich wusste, sechs solcher Schiffe hintereinander bei dem Versuch verloren, den Hitschi Überlichtgeschwindigkeitsantrieb auf von Menschen gebaute Schiffe zu übertragen. Ich konnte mich darüber nicht aufregen. Durch diese Fehler hatte ich beim Bau der Wahren Liebe profitiert. Trotzdem war es nicht schön, die Waffen zu sehen. Auf einem Hitschi-Schiff sah man sie niemals.
»Weiter«, schnauzte uns der Leutnant an. »Sie sind nicht befugt, hier zu verweilen. Gehen Sie bitte weiter!« Er bog in einen relativ leeren Korridor ein, aber Essie hielt ihn zurück.
»Hier entlang geht es schneller«, schlug sie vor und zeigte auf das Schild.
»Betreten verboten!«, schnarrte er.
»Aber doch nicht für einen guten Freund des Pentagons, dem es schlecht geht«, sagte sie nur und nahm meinen Arm. Wir steuerten auf die dichteste und lärmendste Menschenansammlung geradewegs zu. Essie steckt voll von Geheimnissen. Aber dies klärte sich einen Augenblick später auf. Der Wirbel wurde durch die gefangenen Terroristen verursacht, die man vom Kreuzer brachte. Essie wollte sie sich nur mal aus der Nähe ansehen.
Der Kreuzer hatte das gestohlene Schiff abgefangen, als es aus der ÜLG kam, und abgeschossen. Anscheinend waren acht Terroristen an Bord gewesen – acht! Auf einem Hitschi-Schiff, das kaum fünf Personen Raum bot. Drei hatten überlebt und waren gefangen genommen worden. Einer lag im Koma. Einer hatte ein Bein verloren, war aber bei Bewusstsein. Der Dritte war wahnsinnig.
Diese wahnsinnige Person zog die Aufmerksamkeit auf sich. Es handelte sich um eine junge Negerin – aus Sierra Leone, sagte man –, die unaufhörlich schrie. Sie trug eine Zwangsjacke, in der sie schon länger steckte, wie es den Anschein hatte. Die Jacke stank und wies Flecken auf. Die Haare der jungen Frau waren verfilzt, ihr Gesicht leichenblass. Jemand rief meinen Namen; aber ich schob mich mit Essie nach vorn, um besser sehen zu können. »Sie spricht Russisch«, stellte Essie fest, »aber nicht sehr gut. Georgischer Akzent, sehr stark. Sagt, sie hasst uns.«
»Das hätte ich auch so mitbekommen«, sagte ich. Ich hatte genug gesehen. Als sich der Leutnant einen Weg durch die Menge gebahnt hatte, indem er die Leute mit wütenden Befehlen wegscheuchte, ließ ich mich von ihm zurückziehen. Da hörte ich wieder meinen Namen.
Dann war es nicht der Leutnant gewesen, der mich gerufen hatte. Nein, es war eine Frauenstimme. Sie kam aus dem Haufen der Gefangenen, die aus ihren Zellen geführt wurden. Jetzt sah ich, wer es war. Das Chinesenmädchen, Janie. »Du lieber Himmel«, wandte ich mich an den Leutnant. »Warum haben Sie sie festgenommen?«
Er wurde wütend. »Das ist eine militärische Angelegenheit und geht Sie gar nichts an, Broadhead. Kommen Sie! Sie haben hier nichts zu suchen!«
Es hatte keinen Sinn, mit jemandem auf einem Gespräch zu bestehen, der fest entschlossen war, keines zu führen. Ich fragte nichts mehr, sondern ging hinüber zu der Menschenschlange und fragte Janie selbst. Die anderen Gefangenen waren alle weibliche Militärangehörige, wahrscheinlich festgenommen, weil sie ihren Ausgang überzogen oder jemanden wie den Leutnant auf die Schnauze geschlagen hatten – alles liebe, gute Menschen; da war ich sicher. Sie waren still und hörten zu. »Audee wollte hier heraufkommen, weil sie seine Frau festhielten«, sagte sie mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, als meinte sie ›seinen Fall von Syphilis im dritten Stadium‹. »Wir nahmen also eine Fähre. Sobald wir ankamen, haben sie uns in den Bau gesteckt.«
»Broadhead«, brüllte der Leutnant, »jetzt reicht’s aber! Kommen Sie sofort her, oder Sie sind selbst verhaftet!« Seine Hand lag am Holster, in dem jetzt wieder eine Waffe steckte. Höflich lächelnd schwebte Essie heran.
»Sie brauchen sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen, Leutnant«, sagte sie. »Da liegt die Wahre Liebe und wartet schon auf uns. Jetzt sind Sie uns los. Sie müssen nur noch den General herschicken, damit wir die übrigen Fragen erledigen können.«
Dem Leutnant trieb es die Augen heraus. »Madam«, stotterte er, »Madam, Sie können den General nicht herholen lassen.«
»Natürlich kann ich! Mein Mann braucht medizinische Hilfe, also muss er herkommen. Brigadegeneral Cassata ist ein höflicher Mann, nicht wahr? West Point? Viele Kurse in Zwangsverschickung, Höflichkeit und Verhütung von Husten und Schnupfen. Und richten Sie bitte dem General aus, dass wir hervorragenden Bourbon haben, bei dem mein kranker Mann dringend Hilfe braucht, um ihn zu vernichten.«
Der Leutnant stolperte fassungslos davon. Essie sah mich an und ich sie. »Und was nun?«, fragte ich.
Sie lächelte und streichelte meinen Kopf. »Zuerst gebe ich Albert Bescheid wegen des Bourbon – und anderer Sachen«, vertröstete sie mich und gab einige schnelle Sätze auf Russisch von sich. »Und dann warten wir, dass der General sich zeigt.«
Es dauerte nicht lange, bis der General eintraf. Aber inzwischen hatte ich ihn schon beinahe vergessen. Essie unterhielt sich lebhaft mit dem Wachposten, den der Leutnant zurückgelassen hatte. Ich war tief in Gedanken versunken. Worüber dachte ich nach? Diesmal zur Abwechslung nicht über Klara, sondern über diese wahnsinnige Afrikanerin und ihre beinahe wahnsinnigen Gefährten. Sie machten mir Angst. Terroristen machten mir Angst. In früheren Zeiten hatte es eine PLO, eine IRA und Nationalisten in Puerto Rico, serbische Sezessionisten und deutsche, italienische und amerikanische reiche Kinder gegeben, die ihre Verachtung für Papi ausdrücken wollten, aber sie agierten alle gesondert. Jetzt hatten sie sich verbündet. Diese Tatsache machte mir Angst. Die Armen und die Wütenden hatten gelernt, ihre Wut und ihren Nachschub zu vereinigen. Da war es keine Frage: Sie würden es schaffen, dass die Welt auf sie hörte. Das Kapern eines Schiffes würde sie nicht aufhalten. Es würde lediglich ihre Umtriebe eine Zeit lang erträglich machen – oder beinahe erträglich.