Höflich schaute er mich an und klopfte mit dem Pfeifenstiel gegen die Zähne. »Wieso ›komisch‹, Robin?«, fragte er.
»Verdammt noch mal! Hör auf damit! Dein ganzes Benehmen! Weißt du nicht …« Ich zögerte und versuchte mich höflich auszudrücken. »Weißt du nicht, dass du nur ein Computerprogramm bist?«
Er lächelte traurig. »Daran muss ich nicht erinnert werden, Robin. Ich existiere nicht wirklich, stimmt’s? Aber die Wirklichkeit, in der du steckst, möchte ich nicht haben.«
»Albert!«, rief ich. Aber er gebot mir mit einer Handbewegung Schweigen.
»Gestatte mir, Folgendes festzustellen«, erwiderte er. »Für mich ist Realität eine gewisse große Quantität parallelbetriebener Ein- und Ausschalter in heuristischer Anordnung. Wenn man es analysiert, wird das Ganze nur zu einem Trick, den man dem Betrachter vorspielt. Aber bei dir, Robin? Ist die Realität für eine organische Intelligenz so völlig anders? Oder handelt es sich lediglich um gewisse chemische Transaktionen, die sich in einem Kilogramm fettiger Materie ohne Augen, ohne Ohren und ohne Geschlechtsorgane abspielen? Alles, was sie weiß, kennt sie vom Hörensagen, weil irgendein Wahrnehmungssystem ihr davon berichtet hat. Jedes Gefühl wird ihr durch den Draht eines Nervs übermittelt. Besteht zwischen uns wirklich so viel Unterschied, Robin?«
»Albert!«
Er schüttelte den Kopf. »Ah!«, sagte er bitter. »Ich weiß. Du lässt dich durch meinen Trick nicht hereinlegen, weil du die Urheberin kennst – sie ist hier unter uns. Aber fällst du nicht auf dich selbst herein? Solltest du mir nicht die gleiche Wertschätzung und Toleranz entgegenbringen? Ich war ein sehr wichtiger Mann, Robin. Viele hochgestellte Persönlichkeiten schätzten mich sehr. Könige. Königinnen. Bedeutende Wissenschaftler. Was waren das für nette Leute. Zu meinem siebzigsten Geburtstag gaben sie mir zu Ehren eine Party – Robertson, Wigner, Kurt Goedel, Rabi, Oppenheimer …« Er wischte sich tatsächlich eine richtige Träne ab – und damit war Essies Geduld erschöpft.
Sie stand auf. »Liebe Freunde, lieber Robin«, wandte sie sich an uns. »Offensichtlich haben wir es mit einer ernsten Störung zu tun. Ich bitte dafür um Verzeihung. Ich muss ihn für eine komplette Überprüfung ausschalten. Entschuldigen Sie mich, bitte.«
»Das ist nicht deine Schuld, Essie«, erklärte ich so freundlich wie möglich. Sie nahm es aber gar nicht freundlich auf. Sie warf mir einen Blick zu, den ich seit der Zeit unserer ersten Verabredungen nicht mehr gesehen hatte, als ich ihr von all den lustigen Streichen erzählte, die ich meinem Psychoanalyseprogramm, Sigfrid Seelenklempner, gespielt hatte. »Robin«, sagte sie kalt, »das ist viel zu viel Gerede über Schuld und schlechtes Gewissen. Wir werden später darüber sprechen. Liebe Gäste, ich muss mein Arbeitszimmer eine Zeit lang in Anspruch nehmen. Albert! Zeig dich dort sofort zum Entstören!«
Eine der Plagen, reich und berühmt zu sein, ist es, dass einen jede Menge Leute einladen, ihr Gast zu sein, und fast alle eine Gegeneinladung erwarten. Ich bin kein sehr guter Gastgeber. Essie dagegen ist darin fabelhaft. Im Laufe der Jahre haben wir eine gute Methode ausgearbeitet, mit unseren Gästen fertig zu werden. Es ist ganz einfach. Ich leiste ihnen Gesellschaft, so lange es mir Spaß macht – das kann mehrere Stunden, manchmal aber auch nur fünf Minuten sein. Dann verschwinde ich in mein Arbeitszimmer und überlasse die gastgeberischen Pflichten Essie. Das tue ich besonders dann, wenn aus irgendeinem Grund Spannungen unter den Gästen bestehen. Es funktioniert prima – für mich.
Aber manchmal klappt es nicht, und dann bin ich in der Klemme. Dies war eine derartige Gelegenheit. Ich konnte die Gäste nicht Essie überlassen, weil sie beschäftigt war. Ich wollte sie auch nicht allein lassen, weil wir das bereits über Gebühr lange getan hatten. Und Spannungen gab es viele.
Da war ich nun und versuchte mich an meine guten Manieren zu erinnern und liebenswürdig zu sein, ohne dass mir jemand den Rücken stärkte. »Möchte jemand einen Drink?«, erkundigte ich mich herzlich. »Etwas zu essen? Wir haben auch noch einige gute Programme, wenn Essie nicht alles abgeschaltet hat, damit sie an Albert arbeiten kann …«
Janie Yee-xing unterbrach mich mit einer Frage: »Wohin fliegen wir, Mr. Broadhead?«
»Nun«, entgegnete ich strahlend – jovial, ganz guter Gastgeber, der bestrebt ist, dass seine Gäste sich wohl fühlen, selbst wenn sie ihm eine durchaus berechtigte Frage stellen, auf die er keine Antwort weiß, weil er bisher an sehr viel dringlichere Sachen gedacht hat. »Ich nehme an, die Frage ist: Wohin möchten Sie denn gerne? Meiner Meinung nach ist es sinnlos, dem Segelschiff hinterher zu jagen.«
»Nein«, gab mir Yee-xing Recht.
»Dann liegt es wohl ganz bei Ihnen. Ich glaube kaum, dass Sie länger in Haft bleiben wollten …«, erinnerte ich sie, dass ich ihnen allen schließlich einen Gefallen erwiesen hatte.
»Nein«, wiederholte Yee-xing.
»Also zurück zur Erde? Wir könnten Sie an einem der Schlaufenpunkte absetzen. Oder Gateway, wenn Sie wollen. Oder – warte mal, Audee, du kommst doch ursprünglich von der Venus, nicht wahr? Willst du dahin zurück?«
Jetzt war Walthers an der Reihe, »Nein« zu sagen. Damit ließ er es bewenden. Ich fand es von meinen Gästen sehr rücksichtslos, mir nur negative Antworten zu geben, wo ich mich doch bemühte, so gastfreundlich zu sein.
Dolly Walthers half mir aus der Patsche. Sie hob die rechte Hand mit einer ihrer Puppen. Es war die, welche wie ein Hitschi aussehen sollte. »Das Problem ist, Mr. Broadhead«, formulierte sie, ohne ihre Lippen zu bewegen, mit einer sirupartigen, schleppenden Stimme, »dass keiner von uns irgendeinen Ort hat, den er aufsuchen könnte.«
Da das offensichtlich stimmte, hatte keiner etwas hinzuzufügen. Dann stand Audee auf. »Ich nehme jetzt gern einen Drink, Broadhead«, brummte er. »Dolly? Janie?«
Das war die beste Idee, die einer von uns seit langer Zeit hatte. Wir stimmten alle zu und benahmen uns wie Gäste, die zu früh zu einer Party gekommen waren und sich mit etwas beschäftigten, damit man nicht merkte, dass sie eigentlich nichts taten. Es gab viel zu tun. So viel war sicher. Dabei war für mich keineswegs vorrangig, freundlich zu meinen Gästen zu sein. Es war nicht einmal am wichtigsten, die Tatsache aufzunehmen, dass wir (vielleicht) ein richtiges Hitschi-Schiff mit Hitschi darin in Betrieb gesehen hatten. Nein, es war wieder einmal mein Bauch. Die Ärzte hatten mir versichert, dass ich ein normales Leben führen könnte. Sie hatten aber nichts über ein anormales gesagt. Jetzt spürte ich mein Alter und meine Gebrechlichkeit. Ich war froh, mich mit Gin und Wasser neben dem imitierten Kamin mit den imitierten Flammen hinzusetzen und darauf zu warten, dass jemand anderer die Initiative ergriff.
Wie sich herausstellte, war das Audee Walthers. »Broadhead, ich bin dir wirklich dankbar, dass du uns aus dem Schlamassel herausgeholt hast, und ich weiß, dass ein Haufen unerledigter Dinge auf dich wartet. Ich halte es für das Beste, wenn du uns alle drei an einem Ort, der dir am wenigsten Umstände macht, absetzt und dich dann um deine Geschäfte kümmerst.«
»Schön. Aber es gibt sehr viele solcher Orte, Audee. Gibt es nicht einen, der dir lieber als die anderen wäre?«
»Was ich wirklich möchte«, führte er aus, »was wir wirklich alle möchten, glaube ich, wäre eine Gelegenheit, nur unter uns herausfinden zu können, was wir tun wollen. Ich nehme an, dir ist aufgefallen, dass wir persönliche Probleme haben, mit denen wir fertig werden müssen.« Einer solchen Aussage kann man schlecht zustimmen, aber ich konnte sie auch keinesfalls verneinen. Also lächelte ich nur. »Was wir brauchen, ist die Möglichkeit, uns zurückzuziehen und uns auszusprechen.«