»Sei nicht albern!«, schrie er sie an. »Warte! Stopp! Was machst du denn?«
»Ist das der Schalter?«, fragte sie. Sein Aufschrei war Antwort genug. Er sprang durch die winzige Kabine. Aber Klara war größer und stärker als er. Sie wehrte ihn ab. Das Zirpen des Signals hörte auf. Dann ging das goldene Licht aus. Wan entspannte sich plötzlich und lachte laut auf.
»Haha! Was bist du nur für ein Idiot! Ist gar keiner da!«, rief er.
Aber er irrte sich. Einen Augenblick lang kam ein Zischen aus dem Lautsprecher, dann verständliche Worte – zumindest beinahe verständliche. Eine schrille Stimme mit merkwürdiger Betonung war zu vernehmen:
»Iss fill euss niss ssaden.«
Klara musste ziemlich lange nachdenken. War es ein Fremder mit einem schrecklichen Sprachfehler, der sagen wollte: »Ich will euch nicht schaden?« Und warum würde er das sagen? Die Versicherung, nicht in Gefahr zu sein, zu einem Zeitpunkt, da man keinen Grund zu dieser Annahme hat, ist keineswegs beruhigend.
Wan schaute finster vor sich hin. »Was ist es?«, rief er schrill und fing an zu schwitzen. »Wer ist da? Was willst du?«
Es kam keine Antwort. Der Grund dafür war, dass der Kapitän sein gesamtes Vokabular aufgebraucht hatte und beschäftigt war, die nächste Mitteilung einzuüben. Für Klara und Wan allerdings hatte das Schweigen mehr Bedeutung als die Worte. »Der Schirm!«, rief Wan. »Blödes Weib, setz den Schirm ein, um rauszufinden, was das ist!«
Klara brauchte eine Weile, um die Armaturen zu bedienen. Sie hatte erst auf dieser Fahrt angefangen zu lernen, wie man mit dem Hitschi-Bildschirm umging, da zu ihrer Zeit niemand gewusst hatte, wie man das machte. Es zeichnete sich deutlich ein Schiff ab, ein großes. Das größte, das Klara je gesehen hatte, sehr viel größer als einer der Fünfer, die von Gateway aus gestartet waren. »Was … was … was …«, wimmerte Wan vor sich hin. Erst beim vierten Mal gelang es ihm herauszubringen: »Was ist das?«
Klara versuchte nicht, ihm zu antworten. Sie wusste es nicht. Sie hatte allerdings ihre Befürchtungen. Sie befürchtete, dass dies der Augenblick war, den jeder Gateway-Prospektor herbeigesehnt und vor dem er Angst gehabt hatte. Als der Kapitän mit seiner Einstudierung fertig war und seine nächste Mitteilung machte, war sie sicher.
»Iss ko-o-me an Bo-o-rd.«
An Bord kommen! Es war nicht unmöglich, dass ein Schiff an einem anderen bei voller Fahrt andockte, wie Klara wusste. Es war schon praktiziert worden. Aber kein Erdpilot hatte viel Erfahrung, ein solches Manöver auszuführen.
»Lass ihn nicht rein!«, schrie Wan. »Renn weg! Versteck dich! Mach irgendwas!« Er sah Klara voll Entsetzen an und sprang dann auf die Konsole zu.
»Sei kein Idiot!«, brüllte sie und warf sich dazwischen, um ihn aufzuhalten. Klara war eine kräftige Frau, konnte ihn aber jetzt kaum bändigen. Wahnwitzige Angst machte ihn stark. Er schlug nach ihr, sodass sie zurücktaumelte. Dann stürzte er sich heulend vor Angst auf die Instrumente.
Trotz des Schreckens über diese unerwartete Begegnung blieb in Klara noch Raum für eine andere bohrende Furcht. Sie hatte über Hitschi-Schiffe gelernt, dass man nie, nie versuchen durfte, den Kurs zu ändern, nachdem er einmal eingegeben war. Eine neuere Erkenntnis hatte das zwar jetzt möglich gemacht, wie sie wusste. Aber sie wusste auch, dass es keine leichte Sache war, sondern sorgsame Berechnung und Planung erforderte. Und Wan war für keines von beiden in der nötigen Verfassung.
Und trotzdem – es war ganz egal. Das große haifischförmige Schiff kam näher.
Ohne es zu wollen, sah Klara bewundernd zu, wie der Pilot des anderen Schiffes Kursveränderung und Geschwindigkeitszunahme ohne Schwierigkeiten abstimmte und anglich. Es war ein technisch faszinierender Vorgang. Wan erstarrte zur Salzsäule an den Instrumenten. Mit offenem Mund schaute er zu. Als das andere Schiff sich riesig über ihnen auftürmte und nach unten aus dem Blickfeld der Sensoren entschwand und als von der Luke des Landefahrzeuges ein kratzendes Geräusch erklang, schrie er vor Furcht auf und hechtete in die Toilette. Klara war allein, als sich die Bodenluke zum Landefahrzeug öffnete und zurückklappte. So kam es, dass Gelle-Klara Moynlin das erste menschliche Wesen war, das einem Hitschi begegnete.
Er stieg aus der Luke, richtete sich auf und stand vor ihr. Nicht so groß wie sie. Etwas nach Salmiak riechend. Die Augen waren rund, da diese Form am besten geeignet ist für ein Organ, das sich in alle Richtungen drehen muss. Es waren aber keine menschlichen Augen. Die zentrale Pupille umgaben keine konzentrischen Pigmentringe. Es war auch keine Pupille, sondern ein dunkles Kreuz auf einer rosa Murmel, das ihr entgegenblickte. Das Becken war ausladend. Unter diesem – zwischen dem, was Schenkeln entsprochen hätte, wären die Beine nach menschlicher Art ausgebildet gewesen – hing eine Kapsel aus leuchtend blauem Metall. Wenn man den Hitschi mit irgendetwas vergleichen konnte, dann nur mit einem Kleinkind in Windeln, das gerade hineingemacht hatte.
Diese Vorstellung drang durch Klaras Schrecken und linderte ihn – einen kurzen Augenblick lang, aber nicht ganz. Als sich die Kreatur vorwärts schob, sprang sie zurück.
Der Hitschi folgte ihr, als sich etwas in der Luke bewegte und ein zweiter heraufkam. Aus den zögernden, angespannten Bewegungen schloss Klara, dass er beinahe so viel Angst wie sie hatte. Obwohl sie nicht erwartete, verstanden zu werden, es für sie aber andererseits unmöglich war, gar nichts zu sagen, rief Klara:
»Hallo.«
Die Kreatur betrachtete sie aufmerksam. Eine gespaltene Zunge leckte die glänzenden schwarzen Falten im Gesicht. Dann gab sie einen merkwürdigen, schnurrenden Ton von sich, als ob sie nachdächte. Schließlich sagte sie in etwas, das verständlichem Englisch zumindest nahe kam: »Iss pin Hissi. Iss fill euss niss ssaden.«
Mit Abscheu, aber auch mit Faszination schaute der Hitschi Klara an. Dann plapperte er lebhaft mit dem anderen, der begann, das Schiff zu untersuchen. Sie fanden Wan ohne weiteres. Ebenso mühelos transportierten sie Klara und Wan durch die Luke, über die Verbindungsleitern in das Hitschi-Schiff. Klara hörte, wie sich die Luken knarrend schlossen. Einen Augenblick später spürte sie den Ruck, der anzeigte, dass die Trennung von Wans Schiff erfolgt war.
Sie war Gefangene der Hitschi auf einem Hitschi-Schiff.
Sie taten ihr nichts. Falls sie es vorhatten, beeilten sie sich zumindest damit nicht. Sie waren zu fünft und alle sehr beschäftigt.
Klara hatte keine Ahnung, was sie taten, und offensichtlich war der mit dem begrenzten englischen Wortschatz viel zu sehr von seiner Arbeit beansprucht, um sich der zeitraubenden Aufgabe zu unterziehen, etwas zu erklären. Alles, was sie von Klara zu diesem Zeitpunkt wollten, war, dass sie ihnen aus dem Weg ging. Sie hatten kein Problem, ihr das klarzumachen. Ohne Förmlichkeit nahmen sie Klara am Arm, mit einem ledernen und schmerzhaften Griff, und schoben sie dorthin, wo sie sie haben wollten.
Wan machte ihnen überhaupt keine Schwierigkeiten. Er lag mit fest geschlossenen Augen zusammengerollt in einer Ecke. Als er entdeckte, dass Klara in seiner Nähe war, lugte er mit einem Auge herüber, stupste sie in den Rücken, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen, und flüsterte: »Was meinst du, hat er wirklich nicht die Absicht, uns zu schaden?«
Sie zuckte mit den Achseln. Er wimmerte fast unhörbar und zog sich wieder in seine Embryostellung zurück. Mit Ekel sah sie, wie aus einem Mundwinkel Speichel floss. Er war fast in einem katatonischen Zustand.
Wenn ihr irgendjemand helfen konnte, dann bestimmt nicht Wan. Sie würde den Hitschi allein gegenübertreten müssen – was sie auch vorhaben mochten.
Aber die Vorgänge um sie herum waren faszinierend. So viel war ganz neu für Klara! Sie hatte die Jahrzehnte, in denen immer mehr Hitschi-Technologie entdeckt wurde, damit verbracht, mit beinahe Lichtgeschwindigkeit um den Kern des Schwarzen Lochs zu wirbeln. Ihre Bekanntschaft mit Hitschi-Schiffen beschränkte sich auf die uralten Modelle, die sie, ich und die anderen Prospektoren von Gateway aus benutzt hatten.