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»Zwischen den Galaxien?«, rief Walthers und war gleich wieder still, als Essies Blick ihn traf.

»Bitte, Albert, bitte mach weiter«, ermunterte sie ihn.

»Ich weiß nicht, wie viele Schwarze Löcher existieren. Mehr als zehn. Wahrscheinlich alle zusammen mehr als zehn mal zehn.« Er warf mir einen flehenden Blick zu. »Robin, kannst du dir überhaupt vorstellen, wie außergewöhnlich das ist? Wie kann man sich das erklären?«

»Ich kann es bestimmt nicht. Ich weiß ja nicht einmal, was ein Kugelblitz ist.«

»Ach du lieber Himmel, Robin« stöhnte er ungeduldig. »Wir haben doch über solche Sachen schon geredet. Ein Schwarzes Loch resultiert daraus, dass Materie zu außergewöhnlicher Dichte kollabiert. John Wheeler war der erste Mensch, der die Existenz einer anderen Form von Schwarzem Loch vorhersagte, das keine Materie, sondern Energie enthält – so viel Energie, so dicht gepackt, dass seine eigene Masse den Raum vollständig um das Schwarze Loch wickelt. Das nennt man einen ›Kugelblitz‹.«

Er seufzte. Dann fuhr er fort: »Ich habe zwei Spekulationen. Erstens, dass das ganze Gebilde ein Artefakt ist. Der Kugelblitz ist von Schwarzen Löchern umgeben. Ich nehme an, um lose Materie anzuziehen – von der es allerdings hier nicht viel gibt –, damit sie nicht in den Kugelblitz hineinfällt. Und zweitens, dass wir meiner Meinung nach die fehlende Masse vor uns sehen.«

Ich habe Robin mehrmals erklärt, was ein Kugelblitz ist – ein Schwarzes Loch, das durch das Zusammenstürzen einer großen Menge Energie, nicht Materie, verursacht worden war –, aber da niemand jemals einen gesehen hatte, hörte er mir nicht richtig zu. Ich habe ihm auch von dem allgemeinen Zustand des intergalaktischen Raumes erzählt – sehr wenig freie Materie oder Energie, abgesehen von einem spärlichen Photonenfluss aus entfernten Galaxien und natürlich der überall anzutreffenden 3,7 K-Strahlung –, deshalb war das auch ein so guter Ort, einen Kugelblitz hinzusetzen, wenn man nicht wollte, dass irgendetwas anderes hineinfiel.

Ich sprang auf. »Albert!«, rief ich. »Weißt du, was du da sagst? Willst du behaupten, jemand hat das Ding da gemacht? Du meinst …« Ich beendete den Satz nicht.

Ich beendete ihn nicht, weil ich nicht konnte.

Ich kippte um, weil meine Beine mich aus irgendeinem Grund nicht mehr trugen. Direkt über dem Ohr war ein stechender Schmerz an einer Seite meines Kopfes. Alles wurde grau und verschwamm.

Ich hörte Alberts Stimme rufen: »O Robin! Ich habe nicht auf deinen physischen Zustand geachtet!«

»Meinen was?«, fragte ich. Oder versuchte zu fragen. Es kam aber nicht richtig heraus. Meine Lippen schienen die Worte nicht formen zu wollen. Plötzlich fühlte ich mich sehr schläfrig. Die erste schnelle Explosion eines lokal begrenzten Schmerzes war gekommen und wieder gegangen. Aber es blieb ein entfernter, dumpfer Schmerz. O ja, Schmerz, der jetzt nicht mehr weit entfernt war, sondern sich sehr schnell näherte.

Jetzt erinnere ich mich ganz genau. Die Vorgänge in meinem Kopf hatten für ihre eigene Amnesie gesorgt. Es war mir nicht klar, was ich durchmachte. Aber ich erinnere mich an diese Unklarheit ganz genau. Ich erinnere mich an das aufgeregte Gespräch und dass ich auf das Sofa geschleppt wurde. Ich erinnere mich an die langen Unterhaltungen und die winzigen Nadelstiche, als Albert mich medizinisch versorgte und Proben nahm. Und ich erinnere mich, dass Essie weinte.

Sie hielt meinen Kopf im Schoß. Obwohl sie an mir vorbei mit Albert redete, meist in Russisch, hörte ich doch meinen Namen so oft, dass ich wusste, sie sprach über mich. Ich versuchte nach oben zu langen, um ihr die Wange zu streicheln. »Ich sterbe«, sagte ich – oder versuchte, es zu sagen.

Sie verstand mich. Sie beugte sich herunter, ihr langes Haar strich über mein Gesicht. »Lieber, lieber Robin«, schluchzte sie. »Es stimmt. Ja, du stirbst. Jedenfalls dein Körper. Aber das bedeutet doch nicht das Ende für dich.«

In den Jahrzehnten, die wir zusammen verbracht hatten, war die Rede auch ab und zu auf Religion gekommen. Ich kannte ihre Überzeugung. Ich kannte sogar meine eigene. Essie, wollte ich sagen, du hast mich nie angelogen. Das musst du auch jetzt nicht tun, um mir das Sterben leichter zu machen. Ist schon in Ordnung. Aber alles, was ich herausbrachte, war so ähnlich wie:

»Ist es doch.«

Tränen tropften auf mein Gesicht, als sie mich in den Armen wiegte und flüsterte: »Nein. Wirklich nicht, liebster Robin. Es gibt eine Chance, eine sehr gute Chance …«

Ich machte eine übermäßige Anstrengung. »Es … gibt … kein … Nachher«, beharrte ich und stieß die Worte in der mir bestmöglichen Artikulation aus. Es mag nicht ganz deutlich gewesen sein, aber sie verstand mich. Sie beugte sich herunter und küsste mich auf die Stirn. Ich spürte ihre Lippen auf meiner Haut, als sie widersprach:

»Doch. Es gibt ein Später, jetzt.«

Vielleicht hatte sie auch »ein Jetzt und Später« gesagt.

Und die Sterne zogen weiter. Ihnen war es egal, was mit einem intelligenten zweifüßigen Säugetier passierte – nun, halb intelligenten –, nur weil es mit mir passierte. Ich habe immer einen egozentrischen Standpunkt in Sachen Kosmologie eingenommen. Ich befinde mich in der Mitte, und alles andere liegt auf der einen oder anderen Seite von mir. »Normal« ist, was ich bin. »Wichtig« ist, was mich angeht. »Bedeutsam« ist, was mir wichtig erscheint. Diesen Standpunkt hatte ich, nicht aber das Universum. Es ging weiter, als ob ich überhaupt keine Rolle spielte.

Um die Wahrheit zu sagen, ich spielte in diesem Augenblick nicht einmal für mich eine Rolle, weil ich weggetreten war. Einige tausend Lichtjahre hinter uns jagte General Manzbergen auf der Erde einen Haufen Terroristen, die eine Landefähre entführt hatten. Und der Commissaire hat den Mann erwischt, der auf mich geschossen hatte. Ich wusste es nicht. Und hätte ich es gewusst, wäre es mir gleichgültig gewesen. Sehr viel näher, aber immer noch so weit entfernt wie Antares von der Erde, bemühte sich Gelle-Klara Moynlin einen Sinn in das zu bringen, was die Hitschi ihr erzählten. Auch davon hatte ich keine Ahnung. In meiner unmittelbaren Nähe versuchte meine Frau Essie etwas zu tun, was sie noch nie gemacht hatte, obwohl sie das Verfahren erfunden hatte. Albert half ihr dabei. Er hatte das Verfahren in seinen Datenspeichern, aber keine Hände, um es durchzuführen. Dies nun hätte mich ganz und gar nicht gleichgültig gelassen, hätte ich gewusst, was sie taten.

Aber das konnte ich nicht wissen, weil ich tot war.

Allerdings blieb ich es nicht.

Als ich klein war, las mir meine Mutter oft Geschichten vor. Da gab es eine, in der ein Mann nach einer Gehirnoperation verwirrt war. Ich entsinne mich nicht, wer sie geschrieben hatte – Verne, Wells, eine der Größen aus dem Goldenen Zeitalter – irgendjemand. Ich erinnere mich nur an die Pointe. Der Mann wacht nach der Operation auf und sieht Geräusche, hört Berührungen und fragt am Ende der Geschichte: »Was riecht lila?«

Diese Geschichte wurde mir in meiner Kindheit erzählt. Jetzt war ich erwachsen. Es war keine Geschichte mehr.

Es war ein Albtraum.

Sinneseindrücke stürmten auf mich ein, und ich konnte sie nicht beschreiben! Ich kann es jetzt auch nicht. Ich kann sie ebenso wenig beschreiben wie … Smerglitsch. Wissen Sie, was Smerglitsch ist? Nein. Ich auch nicht. Ich habe das Wort frei erfunden. Es ist nur ein Wort. Es hat keine Bedeutung, außer man gibt ihm eine, ebenso wenig wie die Farben, Geräusche, der Druck, das Kältegefühl, das Zerren, Zucken, Jucken, das Sich-Krümmen, das Brennen, die Sehnsucht – die Milliarde von Quanteneinheiten an Eindrücken, die auf mein nacktes und zartes Ich einstürmten.

Aber ich überlebte.

Ich überlebte aus einem einzigen Grund: Es war unmöglich für mich, es nicht zu tun. Wie es schon seit Urzeiten geschrieben steht: Man kann eine schwangere Frau nicht schwängern und jemanden, der bereits tot ist, nicht mehr umbringen. Ich »überlebte«, weil alle Teile, die man hätte töten können, bereits tot waren.