»Ich kann nicht.«
Pause. »Es ist nicht leicht«, gab er zu. »Aber überlege mal. Ich kann es. Und du glaubst nicht, dass du so viel zustande bringst wie ein armseliges Computerprogramm?«
»Reize mich nicht, Albert! Ich verstehe, was du sagst. Du glaubst, ich kann mich als Hologramm zeigen und in Realzeit mit lebenden Personen Kommunikation aufnehmen. Aber ich weiß nicht, wie!«
»Jetzt noch nicht, Robin. Diese Unterprogramme existieren noch nicht in deinem Programm. Aber ich kann es dir beibringen. Du wirst dich zeigen können. Vielleicht nicht mit solch natürlicher Grazie und Munterkeit wie ich«, protzte er, »aber du wirst zumindest erkennbar sein. Bist du bereit, mit dem Lernen anzufangen?«
Und Essies Stimme, oder die Stimme, die eine Zerrkopie Essies war, flüsterte: »Bitte, tu es, Robin! Ich warte schon so ungeduldig auf dich!«
Wie mühsam ist es, geboren zu werden! Mühsam für das Neugeborene und noch mühsamer für den Zuhörer, der die Geburt nicht selbst erlebt, sondern nur das endlose Jammern hört.
Es war endlos. Meine Hebammen spornten mich ständig an. »Du schaffst es«, versprach mir die Essie-Kopie von einer Seite (wenn ich einen Augenblick so tat, als hätte ich eine »Seite«). »Es ist leichter, als es aussieht«, machte mir Alberts Stimme von der anderen Seite Mut. Im ganzen Universum gab es keine zwei Leute, deren Wort ich bedingungsloser geglaubt hätte als diesen beiden. Aber ich hatte meinen Vorrat an Vertrauen aufgebraucht. Es war nichts mehr übrig, und ich verspürte Angst. Leicht? Es war einfach grotesk!
Ich sah nämlich die Kabine, wie Albert sie immer gesehen hatte. Ich hatte nicht die Perspektive zweier fokussierender Augen und ein Paar Ohren an bestimmten Plätzen im Raum. Ich sah und hörte alles gleichzeitig.
»Lass mich dir helfen, Robin!«, flüsterte die Entsprechung von Essie. »Siehst du mich, Robin? Im großen Bett schlafend? Ich war viele Tage wach, Robin, und habe dein altes organisches Ich in eine prima neue Fächerflasche eingefüllt. Jetzt bin ich völlig erschöpft. Aber, schau, ich habe gerade meine Hand bewegt, um mich an der Nase zu kratzen. Siehst du meine Hand? Siehst du die Nase? Erkennst du mich?« Dann das Geisterlachen. »Natürlich tust du das, Robin? Schließlich bin ich es ganz und gar.«
Da war immer noch Klara, an die man denken sollte, wenn ich damals nur genug gewusst hätte, um an sie zu denken – und nicht nur an Klara, auch an Wan (eigentlich war er keinen Gedanken wert) und der Kapitän und seine Hitschi, die alle Gedanken verdienten, die man ihnen schenkte. Aber das wusste ich auch nicht. Ich war zwar erweitert, aber noch nicht sehr viel gescheiter.
Und überdies wurde ich von meinen eigenen Problemen abgelenkt. Hätten allerdings der Kapitän und ich einander gekannt und wir unsere Probleme verglichen, wäre es interessant gewesen zu sehen, vor wem sich die schlimmeren auftürmten. Tatsächlich wäre es ein Unentschieden gewesen. Unser beider Probleme hatten einfach das Normalmaß überschritten und waren uns über den Kopf gewachsen.
Eines der Probleme des Kapitäns war die physische Nähe seiner beiden menschlichen Gefangenen. In seiner knochigen Nase stanken sie. Für ihn waren sie körperlich abstoßend. Loses, schwabbeliges, auf und ab hüpfendes Fett und hängendes Fleisch zerstörten die klaren Linien ihres Knochenbaues – die einzigen Hitschi, die je so grässlich anzusehen waren, waren die wenigen, die an der schlimmsten degenerativen Krankheit langsam starben, die man kannte. Selbst dann war der Gestank nicht so grauenvoll. Aufgrund der verwesenden Nahrung war der menschliche Atem widerlich. Die menschlichen Stimmen kreischten wie eine Kreissäge. Der Hals des Kapitäns schmerzte beim Versuch, die surrenden, rollenden Silben ihrer scheußlichen, minderwertigen Sprache zu formen.
Vom Standpunkt des Kapitäns aus waren die Gefangenen insgesamt grässlich, nicht zuletzt, weil sie sich einfach weigerten zu verstehen, was er sagte. Als er versuchte, ihnen mitzuteilen, in welch gefährliche Situation sie sich gebracht hatten – ganz zu schweigen von den Hitschi in ihrem Versteck –, lautete ihre erste Frage: »Bist du ein Hitschi?«
Trotz all seiner Probleme hatte der Kapitän noch Platz, sich darüber zu ärgern. (Tatsache ist, dass die Besatzung des Segelschiffs sich genauso ärgerte, als sie erfuhr, dass die Hitschi sie »Schlammbewohner« nannten. Das wusste der Kapitän, dachte aber nicht darüber nach.) »Hitschi!«, stöhnte er und zuckte wie üblich mit dem Abdomen. »Ja. Das ist nicht wichtig. Seid still! Bleibt ruhig!«
»Pfui!«, murmelte White-Noise, was sich auf mehr als nur den Körpergeruch bezog. Kapitän schaute ihn strafend an und wandte sich an Burst.
»Bist du ihr Fahrzeug losgeworden?«, wollte er wissen.
»Selbstverständlich«, antwortete Burst. »Ist auf dem Weg zu einem Außenhafen. Aber was ist mit dem Kugelblitz?« (Er benutzte natürlich nicht das Wort »Kugelblitz«.)
Der Kapitän zuckte mürrisch mit seinem Bauch. Er war müde. Das Segelschiff war außer Sicht verstaut worden. Diese herumzigeunernden menschlichen Wesen waren aus der allerschlimmsten Gefahrenzone, der des Kugelblitzes, weggebracht und ihr automatisch gesteuertes Schiff war versteckt worden. Soweit hatte er seines Wissens nach alles getan, was man von ihm erwarten konnte. Es war nicht ohne Verluste geschehen, dachte er und trauerte um Twice. Es war kaum vorstellbar, dass er bei normalem Ablauf der Ereignisse jetzt noch immer ihre jährlich einmal auftretende Liebe genießen würde.
Aber es war nicht genug.
Es war durchaus möglich, überlegte der Kapitän, dass es zu diesem Zeitpunkt kein »Genug« mehr gab. Es könnte durchaus schon zu spät für alles sein, was er oder die gesamte Hitschi-Rasse tun konnten. Aber das durfte er nicht zugeben. Solange es noch eine Chance gab, musste er handeln. »Entfaltet die Karten von ihrem Schiff!«, ordnete er an und wandte sich erneut diesen unverschämten, ungehobelten Fettklößen zu, die er gefangen genommen hatte. Wie zu einem Kind sagte er in ganz einfachen Worten: »Schau mal die Karte an!«
Es war eine der kleineren Widerwärtigkeiten in der Situation des Kapitäns, dass der hagere und daher körperlich weniger abstoßende seiner Gefangenen der widerlichere war. »Du bist still!«, befahl er und deutete mit seiner hageren Faust auf ihn, dessen Schimpfereien fast noch unsinniger als die Worte der Frau waren. »Du! Weißt du, was das ist?«
Wenigstens hatte die weibliche Gefangene so viel Einsicht, langsam zu sprechen. Es waren nur wenige Wiederholungen nötig, bis er Klaras Antwort verstand: »Das ist das Schwarze Loch, das wir aufsuchen wollten.«
Dem Kapitän lief es kalt über den Rücken. »Ja«, bestätigte er und versuchte die fremdartigen Konsonanten zusammenzusetzen. »Stimmt.« Burst übersetzte es den anderen. Der Kapitän konnte sehen, wie sich ihre Sehnen aus Schock zusammenzogen. Er wählte seine Worte sehr sorgsam und machte eine Pause, um sich mit den Gehirnen der Vorväter zu beraten, ehe er weitersprach.
»Hör genau zu!«, sagte er. »Das ist sehr gefährlich. Vor langer, langer Zeit haben wir entdeckt, dass ein Volk von Mördern, die Assassinen, jede technologisch fortgeschrittene Zivilisation im Universum umgebracht hat – zumindest in unserer eigenen Galaxis und in einigen benachbarten …«
Da Robin verständlicherweise mit anderen Dingen mehr beschäftigt war, konnte ich mich mit ihm damals über den Kugelblitz nicht so detailliert unterhalten, wie ich es gern getan hätte. Die statistischen Angaben waren hochinteressant. Ich berechnete die Temperatur eines Kugelblitzes auf etwa drei Millionen Kelvin, was aber nicht weiter beunruhigend war. Mich störte vielmehr die Dichte der Energie. Die Energiedichte der Schwarzkörperstrahlung steigt in der dritten Potenz zur Temperatur – das ist das alte Stefan-Bolzmann-Gesetz –, die Zahl der Photonen aber steigt ebenfalls linear mit der Temperatur, sodass es tatsächlich zu einer Steigerung in der vierten Potenz innerhalb eines Kugelblitzes kommt. Bei einem Kelvin ist das 4,72 Elektronenvolt pro Liter. Bei drei Millionen heißt das drei Millionen hoch vier mal das – na, sagen wir, etwa 382 320 000 000 000 000 000 000 000 EV/Liter. Und in dem Ding steckten eine Menge Liter! Wozu das alles wichtig ist? Weil diese Energiemenge organisierte Intelligenzen darstellte. Assassinen. Ein Universum voll davon, alle in einem Kugelblitz gelagert. Und alle warteten nur darauf, dass ihre Pläne ausreiften und das Universum nach ihren Wünschen umgemodelt werden konnte.