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Tragisches kann nur für eine gewisse Zeit tragisch sein, und wir hatten das nun dreieinhalb Jahre lang immer wieder gehört. Das Band spielten wir regelmäßig ab und betrachteten die Szenen, die sie mit ihrer Handkamera aufgenommen hatte. Nicht, weil wir glaubten, mehr daraus zu erfahren, als die Leute von der Gateway-Gesellschaft bereits entnommen hatten, sondern weil wir uns noch einmal vergewissern wollten, dass sich alles lohnte. Die wahre Tragödie war die, dass Trish nicht wusste, was sie gefunden hatte.

»Hier ist Flugbericht Null. Vierundsiebzig D Neunzehn«, begann sie, noch ganz ruhig. Ihr trauriges, armes Gesicht versuchte sogar zu lächeln. »Ich scheine in Schwierigkeiten zu sein. Ich bin bei einer Art Hitschi-Gebilde herausgekommen und habe angedockt, und jetzt kann ich nicht mehr weg. Die Raketen der Landekapsel funktionieren, aber die Hauptkonsole nicht. Und ich will nicht hier bleiben, bis ich verhungere.« Verhungern! Nachdem die großen Wissenschaftler Trishs Aufnahmen durchgesehen hatten, erkannten sie, was das für ein »Gebilde« war – die CHON-Nahrungsfabrik, nach der sie immer schon gesucht hatten.

Aber ob es sich lohnte, war immer noch eine offene Frage, und Trish glaubte ganz sicher nicht, dass es sich lohnte. Sie glaubte vielmehr, dass sie dort sterben würde; dass sie nicht einmal ihren Lohn für den Flug kassieren konnte. Und ganz am Ende versuchte sie, mit der Landekapsel zurückzugelangen.

Sie stieg in die Kapsel und richtete sie auf die Sonne, schaltete die Motoren ein und nahm eine Pille. Nahm viele Pillen; alle, die sie hatte. Dann stellte sie die Kühlanlage auf höchste Leistung, setzte sich hin und schloss die Tür hinter sich.

»Taut mich auf, wenn ihr mich findet«, sagte sie, »und vergesst meine Belohnung nicht.«

Und vielleicht würde man das wirklich nicht vergessen. Sobald man sie fand. Falls man sie fand. Vielleicht in zehntausend Jahren. Bis ihre schwache Funkbotschaft von jemandem gehört wurde – vielleicht bei der fünfhundertsten automatischen Wiederholung –, war es viel zu spät, als dass das für Trish noch eine Rolle gespielt hätte; sie antwortete nie.

Vera spielte das Band bis zu Ende ab und verstaute es dann wieder in ihrem Archiv; der Bildschirm wurde dunkel.

»Wäre Trish eine richtige Pilotin gewesen, statt eine von diesen wilden Gateway-Sucherinnen, die reinspringen, auf den Knopf drücken und das Raumschiff machen lassen, was es will«, sagte Lurvy, übrigens nicht zum ersten Mal, »hätte sie sich besser ausgekannt. Sie hätte den schmalen Delta-Vektor der Landekapsel genutzt, um einen Teil des Massenträgheitsmoments zu verringern, statt den Rest zu vergeuden, indem sie schnurgerade zielte.«

»Danke, Pilotenexpertin«, sagte ich, auch nicht zum ersten Mal. »Dann hätte sie damit rechnen können, viel früher im Asteroidengürtel zu sein, nicht? Vielleicht schon in sechs- oder siebentausend Jahren.«

Lurvy zog die Schultern hoch.

»Ich gehe zu Bett«, sagte sie und bediente sich ein letztes Mal aus der Flasche. »Und du, Paul?«

»Ach, seid doch nicht so«, sagte Janine. »Ich wollte Paul bitten, dass er mir hilft, die Zündabläufe für die Ionentriebwerke durchzugehen.«

Lurvy war sofort auf der Hut.

»Bist du sicher, dass er nur das mit dir durchgehen soll? Schmoll nicht, Janine. Du weißt, du bist das oft genug durchgegangen, und außerdem ist das Pauls Aufgabe.«

»Und was ist, wenn Paul ausfällt?«, gab Janine sofort zurück. »Woher wissen wir, dass wir nicht gerade dann in die irre Zeit geraten, wenn wir dabei sind?«

Das konnte nun wirklich niemand wissen, und ich war im Übrigen schon zu der Meinung gelangt, dass uns das passieren würde. Dieses Phänomen trat regelmäßig in Abständen von ungefähr hundertdreißig Tagen auf, ein Dutzend Tage hin oder her. Wir kamen knapp hin.

»Ich bin eigentlich ein bisschen müde, Janine«, erklärte ich. »Ich verspreche dir, dass wir das morgen machen.«

Oder eben dann, wenn gleichzeitig einer von den anderen wach war – es kam vor allem darauf an, mit Janine nicht allein zu sein in einem Schiff mit dem Gesamtrauminhalt eines Motelzimmers. Man würde sich wundern, wie schwer es ist, sich in einem Raumschiff mit dem Gesamtrauminhalt eines Motelzimmers einzurichten. Praktisch unmöglich.

Aber in Wirklichkeit war ich nicht müde, und als Lurvy neben mir eingeschlafen war – ihre Atmung war zu leise, als dass man sie irgendwie ein Schnarchen hätte nennen können  –, reckte ich mich im Bett. Ich war hellwach und zählte auf, was positiv war. Das musste ich mindestens einmal am Tag tun. Wenn ich etwas zum Aufzählen finden konnte.

Diesmal fand ich etwas Gutes. Viertausend AE. Mehr als viertausend AE stellen eine lange Reise dar – und das in Luftlinie. Oder eigentlich in Photonenlinie, weil es im interstellaren Raum nur sehr wenig Luft gibt. Sagen wir, eine halbe Billion Kilometer, da fehlte nicht viel. Und wir flogen in einer Spirale hinaus, was fast einen ganzen Umlauf um die Sonne ausmachte, bevor wir ans Ziel kamen. Unsere Bahn erstreckte sich nicht bloß über 25 Lichttage, es waren schon eher 60. Und bei gleichmäßigem Antrieb während des gesamten Weges kamen wir an die Lichtgeschwindigkeit nicht einmal heran. Dreieinhalb Jahre … und die ganze Zeit über dachten wir: Mensch, was ist, wenn einer sich mit dem Hitschi-Antrieb auskennt, bevor wir dort sind? Geholfen hätte uns das gar nichts. Es wäre viel mehr Zeit vergangen als dreieinhalb Jahre, bevor man dazu hätte kommen können, all das zu tun, was man tun wollte, wenn es einmal so weit war. Und rate mal einer, wo auf der Liste das Vorhaben gestanden hätte, uns nachzufliegen.

Das Schöne, worüber ich also nachdenken konnte, war, dass wir wenigstens nicht vor der Erkenntnis stehen würden, der Flug sei umsonst gewesen, weil wir fast schon an Ort und Stelle waren.

Alles, was noch übrig blieb, war, die großen Ionentriebwerke an der Fabrik festzumachen … nachzuprüfen, ob das funktionierte … den langsamen Rückflug anzutreten, das Ding zurück zur Erde zu schieben … und auf irgendeine Weise zu überleben, bis wir dort waren. Sagen wir, na ja, noch einmal vier Jahre.

Ich befasste mich lieber wieder mit der tröstlichen Tatsache, dass wir fast am Ziel waren.

Der Gedanke, Kometen zur Nahrungsgewinnung auszubeuten, war nicht neu, er ging mindestens zurück auf Krafft Ehricke in den 1950-ern, nur hatte er vorgeschlagen, die Menschen sollten sie kolonisieren. Das ergab Sinn. Bring ein bisschen Eisen und Spurenelemente mit – das Eisen, um etwas zu bauen, in dem du unterkommen kannst, die Spurenelemente, um CHON-Nahrung in Zwiebelkuchen oder Hamburger zu verwandeln –, und du kannst auf unbestimmte Zeit von dem Angebot ringsum leben. Denn daraus bestehen Kometen. Ein bisschen Staub, etwas Gestein und enorm viel gefrorene Gase. Und was sind das für Gase? Sauerstoff. Stickstoff. Wasserstoff. Kohlendioxyd. Wasser. Methan. Ammoniak. Immer wieder dieselben vier Elemente. CHON. Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff, Stickstoff, und was kommt heraus, wenn man ihre Symbole in dieser Reihenfolge aufführt? CHON, gesprochen »Chon«.

Die Oort’sche Wolke bestand aus Millionen megatonnengroßer Portionen Essen. Zu Hause auf der Erde blickten zehn oder zwölf Milliarden hungriger Menschen zu ihr hinauf und leckten sich die Lippen.

Es wurde immer noch viel darüber gestritten, was Kometen dort draußen in der Wolke zu suchen hatten. Man konnte sich sogar darüber streiten, ob sie überhaupt in Gruppen auftraten. Öpik erklärte vor hundert Jahren, mehr als die Hälfte aller gesichteten Kometen passten in genau definierte Gruppen, und seine Anhänger glauben das bis heute. Whipple sagte, Quatsch, es gibt keine Gruppe, in der mehr als drei Kometen unterzubringen wären. Dasselbe sagten seine Anhänger. Dann kam Oort daher und versuchte dem Ganzen einen Sinn zu geben. Er stellte sich vor, dass es da eine riesige Schale von Kometen rund um das Sonnensystem gab, und hier und da pickte sich die Sonne einen heraus, der dann bis zum Perihel hereinsauste. Und wir sahen daraufhin den Halleyschen Kometen oder jenen, der als Stern von Bethlehem gilt, oder irgendeinen anderen. Anschließend befasste sich eine ganze Gruppe von Leuten damit und fragte, warum das eigentlich so sei. Es stellte sich heraus, dass es gar nicht sein konnte – jedenfalls dann nicht, wenn man für die Oort’sche Wolke von der Maxwell’schen Geschwindigkeitsverteilung ausgeht. Unterstellt man normale Verteilung, dann muss man nämlich auch davon ausgehen, dass es überhaupt keine Oort’sche Wolke gibt. Man kann aus einer Oort’schen Wolke die beobachteten beinahe parabolischen Bahnen nicht ableiten; das behauptete R. A. Lyttleton. Aber dann erklärte ein anderer: »Na, vielleicht ist die Verteilung auch eine nicht Maxwell’sche!« Und so erwies es sich. Das ist alles zusammengeklumpt. Es gibt Kometenhaufen und riesige Raumvolumina, in denen fast gar keine auftreten.