Wer würde die Sprache auf das Thema bringen?
Ich zog mehrmals kräftig an meiner Pfeife, leerte den Becher, schenkte mir nach, rauchte weiter. Ich lauschte auf die Geräusche des Lagers, auf den Wind . . .
»Was hast du langfristig vor?« fragte er mich dann fast beiläufig.
Ich konnte antworten, ich hätte mich noch nicht entschlossen, ich sei es zufrieden, frei zu sein, zu leben, sehen zu können . . . Ich konnte ihm weismachen, das wäre mir im Augenblick genug, ich hätte keine speziellen Pläne . . .
. . . Und er hätte gewußt, daß ich ihm Lügen auftischte. Denn er kannte mich besser.
»Du kennst meine Pläne«, sagte ich also.
»Wenn du mich um Hilfe bitten würdest«, sagte er, »müßte ich sie dir verweigern. Amber ist auch ohne einen neuen Machtkampf übel genug dran.«
»Eric ist ein Usurpator«, sagte ich.
»Ich betrachte ihn eher als Regenten. Im Augenblick ist jeder von uns ein Usurpator, der Anspruch auf den Thron erhebt.«
»Dann nimmst du also an, daß Vater noch am Leben ist?«
»Ja. Am Leben und ziemlich mitgenommen. Er hat mehrmals versucht, Verbindung aufzunehmen.«
Es gelang mir, mein Gesicht unbewegt zu halten. Ich war also nicht der einzige. Jetzt meine eigenen Erfahrungen zu offenbaren, hätte sich heuchlerisch, opportunistisch und geradezu unwahr angehört – hatte er mir doch bei unserem Kontakt vor fünf Jahren den Weg zum Thron freigegeben. Allerdings konnte er auch eine Regentschaft gemeint haben . . .
»Als Eric den Thron übernahm, hast du ihm nicht geholfen«, sagte ich. »Würdest du ihn jetzt unterstützen, da er auf dem Thron sitzt, wenn ein Versuch unternommen würde, ihn zu stürzen?«
»Ich habe es schon gesagt«, erwiderte er. »Ich betrachte ihn als Regenten. Das soll nicht heißen, daß ich die Situation billige, doch ich möchte in Amber keine weiteren Unruhen erleben.«
»Du würdest ihn also unterstützen?«
»Ich habe gesagt, was ich in dieser Sache sagen wollte. Du bist herzlich eingeladen, mein Avalon zu besuchen, doch nicht, es als Ausgangspunkt für einen Angriff auf Amber zu benutzen. Klärt das die Lage hinsichtlich der Dinge, die du vielleicht in deinem Köpfchen bewegst?«
»Allerdings«, sagte ich.
»Und möchtest du uns noch immer besuchen?«
»Ich weiß nicht recht«, sagte ich. »Wirkt sich dein Wunsch, in Amber Unruhen zu vermeiden, auch zur anderen Seite hin aus?«
»Was meinst du damit?«
»Ich meine, wenn man mich etwa gegen meinen Willen nach Amber zurückbrächte, würde ich dort natürlich denkbar viel Unruhe schaffen, um eine Rückkehr in meine frühere Lage zu verhindern.«
Sein Gesicht entspannte sich, und er senkte langsam den Kelch.
»Ich wollte nicht andeuten, daß ich dich verraten würde. Glaubst du etwa, ich hätte keine Gefühle, Corwin? Ich möchte nicht, daß du wieder in Gefangenschaft gerätst und erneut geblendet wirst – oder daß etwas Schlimmeres mit dir passiert. Als Gast bist du mir stets willkommen, und du kannst an unseren Grenzen außer deinem Ehrgeiz auch deine Ängste zurücklassen.«
»Dann möchte ich dir meinen Besuch nach wie vor abstatten«, sagte ich. »Ich habe keine Armee und bin auch nicht in der Absicht gekommen, Soldaten auszuheben.«
»Dann bist du herzlich willkommen, das weißt du.«
»Vielen Dank, Benedict. Ich habe zwar nicht erwartet, dich hier vorzufinden – doch ich bin froh darüber.«
Sein Gesicht rötete sich etwas, und er nickte.
»Ich freue mich ebenfalls«, sagte er. »Bin ich der erste aus der Familie, den du – nach deiner Flucht zu sehen bekommst?«
Ich nickte. »Ja, und ich bin natürlich neugierig, wie es den anderen geht. Irgendwelche wichtigen Neuigkeiten?«
»Es hat keine neuen Todesfälle gegeben«, sagte er.
Wir lachten leise vor uns hin, und ich wußte, daß ich den Familienklatsch auf anderem Wege in Erfahrung bringen mußte. Der Versuch hatte sich aber gelohnt.
»Ich gedenke noch eine Zeitlang im Felde zu bleiben«, sagte er; »und die Patrouillenritte fortzusetzen, bis ich sicher bin, daß von den Angreifern niemand mehr im Freien unterwegs ist. Es dauert vielleicht noch eine Woche, bis wir uns endgültig zurückziehen.«
»Oh? War euer Sieg denn nicht total?«
»Ich glaube schon – doch ich gehe niemals unnötige Risiken ein. Es lohnt sich, ein wenig mehr Zeit aufzuwenden, um ganz sicherzugehen.«
»Klug gehandelt«, sagte ich und nickte.
». . . Wenn du also nicht unbedingt bei uns im Lager bleiben möchtest, sehe ich keinen Grund, warum du nicht zur Stadt vorausreiten und dich dem Kern der Dinge nähern solltest. Ich besitze mehrere Wohnungen in Avalon und denke daran, dir ein kleines Landhaus zur Verfügung zu stellen, das ich ganz hübsch finde. Es liegt nicht weit von der Stadt.«
»Ich freue mich darauf.«
»Ich gebe dir morgen früh eine Karte und einen Brief an meinen Hausverwalter.«
»Vielen Dank, Benedict.«
»Ich stoße zu dir, sobald ich hier fertig bin«, fuhr er fort. »Außerdem schicke ich täglich Boten in die Stadt. Durch sie bleibe ich mit dir in Verbindung.«
»Einverstanden.«
»Dann such dir ein bequemes Plätzchen«, sagte er. »Ich bin sicher, du wirst den Gong zum Frühstück nicht verschlafen.«
»Das passiert mir selten«, erwiderte ich. »Ist es dir recht, wenn wir dort schlafen, wo unsere Sachen liegen?«
»Aber ja«, sagte er, und wir leerten unsere Becher.
Als wir das Zelt verließen, packte ich den Vorhang beim Öffnen ganz oben und vermochte ihn ein Stück zur Seite zu zerren, als ich ihn beiseite stieß. Benedict wünschte uns eine gute Nacht und wandte sich ab, während ich die Plane zurückfallen ließ. Er übersah den mehrere Zoll breiten Schlitz, den ich an einer Seite geschaffen hatte.
Ich schlug mein Lager ein Stück rechts von unseren Besitztümern auf, wobei ich zu Benedicts Zelt hinübersah, und ich stapelte die Sachen um, während ich sie durchsah. Ganelon warf mir einen fragenden Blick zu, doch ich nickte nur und machte mit den Augen eine Bewegung zum Zelt. Er blickte in die Richtung, gab mir das Nicken zurück und machte sich daran, seine Decke weiter rechts auszulegen.
Ich maß die Entfernung mit den Augen, ging zu ihm und sagte: »Wißt Ihr, ich möchte doch lieber hier schlafen. Hättet Ihr etwas dagegen, mit mir zu tauschen?« Ich unterstrich meine Worte mit einem Augenzwinkern.
»Mir egal«, sagte er achselzuckend.
Die Lagerfeuer waren ausgegangen oder brannten nieder, und die meisten Soldaten hatten sich schlafen gelegt. Der Posten kümmerte sich kaum um uns. Im Lager war es sehr still, und keine Wolke verdeckte den Glanz der Sterne. Ich war müde und empfand den Geruch nach Rauch und feuchter Erde als sehr angenehm, fühlte ich mich doch an frühere Zeiten und ähnliche Orte erinnert, an die Rast am Ende eines langen Tages.
Doch anstatt die Augen zu schließen, nahm ich mein Bündel und stellte es mir in den Rücken. Ich füllte meine Pfeife erneut und entzündete sie.
Zweimal mußte ich die Stellung wechseln, während Benedict im Zelt hin und her schritt. Einmal verschwand er aus meinem Blickfeld und war einige Sekunden lang nicht zu sehen. Doch dann bewegte sich das hintere Licht, und ich erkannte, daß er seine Truhe geöffnet hatte. Im nächsten Augenblick kam er wieder in Sicht und räumte den Tisch ab. Er trat einen Augenblick zurück, kehrte zurück und setzte sich an seinen alten Platz. Ich schob mich so zurecht, daß ich seinen linken Arm im Auge behalten konnte.
Er blätterte in einem Buch oder sortierte etwas, das ungefähr die gleiche Größe hätte.
Etwa Karten?
Natürlich!
Ich hätte viel gegeben für einen Blick auf den Trumpf, den er schließlich auswählte und vor sich hinhielt. Ich hätte viel dafür gegeben, Grayswandir in meiner Hand zu fühlen, für den Fall, daß plötzlich eine weitere Person in dem Zelt erschienen wäre – und zwar nicht durch den Eingang, durch den ich die Szene verfolgte. Meine Handflächen und Fußsohlen begannen zu kribbeln in Erwartung des Kampfes.