Dröhnender Donner, grellweißes Blitzen, der Vorhang, der nach uns greifen will . . . Zweihundert Meter . . . dann hundertundfünfzig . . . genug!
Die untere Kante des Vorhangs pflügt, furcht sich schäumend dahin . . . Der feuchte Erdgeruch . . . Das Wiehern Stars . . . Ein Voranstürmen . . .
Kleine Wasserrinnsale, die sich vorwagen, einsinken, den Boden beflecken . . . Zuerst schlammig blubbernd, dann dahinrinnend . . . und schon ein gleichmäßiger Strom . . . Ringsum kleine plätschernde Bäche . . .
Vor uns eine Anhöhe, und Stars Muskeln spannen und entspannen, spannen und entspannen sich unter mir, während er die Spalten und Wasserläufe überspringt, sich durch die dahinrasende Wasserwand stürzt und den Hang erreicht, mit funkensprühenden Hufen auf Felsgestein, während wir höher klettern, während die Stimme des gurgelnden, dahinschäumenden Stroms zu einem gleichmäßigen Tosen absinkt . . .
Immer höher und schließlich Trockenheit, eine kurze Pause, um die Säume meines Umhangs auszuwringen . . . Unter und rechts von uns leckt ein graues, sturmzerzaustes Meer am Fuß der Klippe, auf der wir halten . . .
Ins Binnenland nun, auf die Kleefelder und den Abend zu, das Dröhnen der Brandung im Rücken . . .
Die Verfolgung von Sternschnuppen im dunkler werdenden Osten, nach einiger Zeit Stille und Nacht . . .
Klar ist der Himmel, hell die Sterne, bis auf einige feine Wolkenfetzen . . .
Eine heulende Schar rotäugiger Geschöpfe, die sich auf unserer Spur winden . . . Schatten . . . Grünäugig . . . Schatten . . . Gelb . . . Schatten . . . Und fort . . .
Doch dunkle Gipfel mit Schneerücken bedrängen sich gegenseitig ringsum . . . Festgefrorener Schnee, trocken wie Staub, von den eisigen Windstößen des Gebirges wogenhaft angehoben . . . Schneewogen, die über Felshänge getrieben werden . . . Ein weißes Feuer in der Nachtluft . . . Meine Füße, die in den nassen Stiefeln schnell zu erstarren beginnen . . . Star schnaubend und verwirrt, einen Huf vorsichtig vor den anderen setzend, den Kopf schüttelnd, als könne er das alles nicht fassen . . .
Schatten hinter den Felsen, ein leichterer Hang, ein ersterbender Wind, weniger Schnee . . . Ein sich windender Weg, immer wieder in die Kurve, ein Weg in die Wärme . . . Hinab, hinab in die Nacht, unter den sich verändernden Sternen . . .
Fern ist der Schnee der letzten Stunde; jetzt ausgetrocknete Pflanzen und eine Ebene . . . Weit ist der Schnee, und die Nachtvögel erheben sich taumelnd in die Luft, wirbeln über der Aasmahlzeit durcheinander, werfen heiseres Protestgeschrei ab, als wir vorbeireiten . . .
Wieder langsamer, zu dem Ort, wo das Gras wogt, bewegt von dem weniger kalten Wind . . . Das Fauchen einer jagenden Katze . . . Die schattenhafte Flucht eines hüpfenden rehähnlichen Wesens . . . Sterne, die ihre Plätze einnehmen, und das zurückkehrende Gefühl in meinen Füßen . . .
Star bäumt sich auf, wiehert, flieht im Galopp vor einer unsichtbaren Erscheinung . . . Es dauert lange, ihn zu beruhigen, und noch länger, bis das Zittern vergangen ist . . .
Eislichtzapfen des zunehmenden Mondes auf fernen Baumwipfeln . . . die feuchte Erde, die einen schimmernden Nebel ausatmet . . . Motten, die im Nachtlicht tanzen . . .
Der Boden momentan in pendelnder, sich wölbender Bewegung, als träten Berge von einem Bein aufs andere . . . Jedem Stern ein Double . . . Ein Lichtkranz um den runden Mond . . . Die Ebene, die Luft darüber, alles voller fliehender Umrisse . . .
Die Erde, eine abgelaufene Uhr, tickt und verstummt . . . Stabilität . . . Trägheit . . . Die Sterne und der Mond wieder eins mit ihrem Geist . . .
Ein Bogen um den Waldrand, nach Westen . . . Impression eines schlummernden Dschungels: Delirium von Schlangen unter Öltuch . . .
Nach Westen, nach Westen . . . Irgendwo ein Fluß mit breiten sauberen Ufern, die mir den Weg zum Meer erleichtern . . .
Hufschlag, wirbelnde, zuckende Schatten . . . Die Nachtluft in meinem Gesicht . . . Ein kurzer Blick auf Nachtwesen auf hohen, dunklen Mauern und schimmernden Türmen . . . Die Luft schmeckt plötzlich süßer . . . Die Szene verschwimmt vor den Augen . . . Schatten . . .
Zentaurenhaft sind Star und ich unter einer gemeinsamen Schweißschicht verschmolzen . . . Wir saugen die Luft ein und geben sie in gemeinsamen Explosionen der Anstrengung wieder von uns . . . Der Hals in Donner gehüllt, schrecklich ist die Pracht der Nüstern . . . Den Boden verzehrend . . .
Lachend, der Geruch des Wassers ringsum, die Bäume links schon sehr nahe . . .
Dann dazwischen . . . Schmale Stämme, Hängeranken, breite Blätter, tropfende Feuchtigkeit . . . Spinngewebe im Mondlicht, sich mühende Schatten darin . . . Schwammhafter Boden . . . Phosphoreszierender Fungus auf umgestürzten Bäumen . . .
Eine freie Stelle . . . Raschelnde lange Grashalme . . .
Mehr Bäume . . .
Wieder der Flußgeruch . . .
Später Geräusche . . . Laute . . . das glasige Lachen von Wasser . . .
Näher, lauter, endlich daneben herreitend . . . Der Himmel, der sich aufbäumt und seinen Bauch einzieht, und die Bäume . . . Sauber, mit einem kühlen, feuchten Duft . . .
Im gleichen Tempo links daneben her . . . Leicht und schwebend, folgen wir . . .
Trinken . . . In den Untiefen herumplätschernd, dann bauchhoch mit gesenktem Kopf. Star im Wasser, trinkend wie eine Pumpe, Gischt aus den Nüstern prustend . . . Flußaufwärts plätschert es gegen meine Stiefel, tropft mir aus dem Haar, läuft an meinen Armen herab. Stars Kopf wendet sich beim Klang des Lachens . . .
Dann wieder flußabwärts, langsam, gewunden . . . Zuletzt gerade, sich ausbreitend, langsamer werdend . . .
Bäume dichter, dann gelichtet . . .
Lang, gleichmäßig, gemächlich . . .
Ein schwaches Licht im Osten . . .
Jetzt nach unten geneigt und weniger Bäume . . . Felsiger, die Dunkelheit wieder komplett . . .
Der erste schwache Hinweis auf die See, ein verlorener Dufthauch . . . Klappernd weiter, in der Kühle der späten Nacht . . . Wieder ein flüchtiger Salzgeschmack der Luft . . .
Gestein, das Fehlen von Bäumen . . . Hart, steil, kahl, abwärts . . . Immer unzugänglicher . . .
Ein Blitzen zwischen Felswänden . . . Losgetretene Steine in der jetzt dahinrasenden Strömung, das Plätschern vom Echo des Dröhnens verschluckt . . . Immer tiefer der Schlund, dann sich ausbreitend . . .
Hinab, hinab . . .
Und weiter . . .
Jetzt wieder Helligkeit im Osten, sanfter der Hang . . . Wieder der Hauch von Salz, diesmal stärker . . .
Schiefer und Dreck . . . Um eine Ecke, hinab, immer heller.
Vorsicht, weich und locker der Boden . . .
Windhauch und Licht, Windhauch und Licht . . . Hinter einem Felsvorsprung . . .
Zügel anziehen.
Unter mir lag die öde Küste, endlose Reihen gerundeter Dünenrücken, gegeißelt vom Wind, der aus Südwesten herandrängt, Sandstreifen emporschleudert, den Umriß des fernen kahlen, düsteren Morgenmeeres teilweise verwischt.
Ich sah zu, wie sich die rosa Schicht von Osten her über das Wasser legte. Da und dort entblößte der sich bewegende Sand düstere Kiesflecken. Über den anrennenden Wellen erhoben sich zerklüftete Felsmassen. Zwischen den mächtigen Dünen, die Hunderte von Fuß hoch waren, und mir, der ich hoch über der abweisenden Küste hockte, befand sich eine wilde, zerschmetterte Ebene aus zerklüfteten Felsen und Kies, im ersten Schimmer des Morgens aus der Hölle oder der Nacht emportauchend, belebt von Schatten.
Ja. Hier war ich richtig.
Ich stieg ab und sah zu, wie die Sonne die Szene mit einem trostlosen grellen Tag belegte. Dies war das harte weiße Licht, das ich gesucht hatte. Hier, ohne Menschen, war der richtige Ort, wie ich ihn Jahrzehnte zuvor auf der Schatten-Erde meines Exils gesehen hatte. Keine Bulldozer, keine Siebe, keine besenschwingenden Farbigen, keine hermetisch abgeriegelte Stadt Oranjemund. Keine Röntgenmaschinen, kein Stacheldraht, keine bewaffneten Posten. Hier gab es nichts von alledem. Nein. Denn dieser Schatten hatte niemals einen Sir Ernest Oppenheimer erlebt, und es hatte auch nie eine Firma ›Consolidated Diamond Mines of South West Africa‹ gegeben, auch keine Regierung, die eine solche Anhäufung von Küstenschürfinteressen gutgeheißen hätte. Hier erstreckte sich die Wüste, die Namib hieß, etwa vierhundert Meilen nordwestlich von Kapstadt, ein Streifen Dünen und Felsgestein, bis zu etlichen Dutzend Meilen breit und etwa dreihundert Meilen lang an dieser elenden Küste, an der meerwärts gelegenen Flanke der Richtersveld-Berge, in deren Schatten ich stand. Hier lagen Diamanten wie Vogelkot im Sand. Natürlich hatte ich eine Harke und ein Sieb mitgebracht.