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Etliche Minuten später kam auf demselben Wege eine Antwort.

Schließlich brüllte der Wächter zu uns herab: »Tretet zurück! Wir lassen die Zugbrücke hinunter! Ihr dürft eintreten!«

Noch ehe er zu Ende gesprochen hatte, begann das laute Knirschen, und nach kurzer Zeit knallte das eisenbeschlagene Gebilde auf unserer Seite des Grabens auf den Boden. Ein letztesmal hob ich meinen Schützling auf und trug ihn hinüber.

So brachte ich Sir Lancelot du Lac in die Burg Ganelons, dem ich vertraute wie einem Bruder. Nämlich überhaupt nicht.

Überall bewegten sich Menschen, und ich fand mich von Bewaffneten eingekreist. Doch sie strahlten keine Feindseligkeit aus, sondern waren lediglich besorgt. Ich befand mich in einem großen kopfsteingepflasterten Innenhof, der voller Schlafsäcke lag. Fackeln verbreiteten ein unruhiges Licht. Ich roch Schweiß, Rauch, Pferde und Küchendünste. Eine kleine Armee hatte hier ihr Lager aufgeschlagen.

So mancher Mann war herbeigekommen und hatte mich mit aufgerissenen Augen murmelnd und flüsternd angestarrt, doch schließlich kamen zwei, die voll bewaffnet waren, als wollten sie in den Kampf ziehen. Einer berührte mich an der Schulter.

»Hier entlang«, sagte er.

Ich setzte mich in Bewegung, und sie nahmen mich in die Mitte. Der Menschenwall teilte sich. Die Zugbrücke bewegte sich bereits wieder rasselnd empor. Wir näherten uns dem düsteren Hauptgebäude.

Drinnen schritten wir durch einen Flur und passierten eine Art Empfangszimmer. Dann erreichten wir eine Treppe. Der Mann zu meiner Rechten bedeutete mir, daß ich emporsteigen solle. Im ersten Stockwerk blieben wir vor einer massiven Holztür stehen, und der Wächter klopfte an.

»Herein!« rief eine Stimme, die mir leider nur allzu bekannt vorkam.

Wir traten ein.

Er saß an einem schweren Holztisch vor einem breiten Fenster, durch das man auf den Hof hinabblicken konnte. Er trug eine braune Lederjacke über schwarzem Hemd; die Hosen waren ebenfalls schwarz und bauschten sich über den Schäften seiner dunklen Stiefel aus. Um die Hüften trug er einen breiten Gürtel, in dem ein Dolch mit Horngriff steckte. Ein Kurzschwert lag auf dem Tisch vor ihm. Sein Haar und Bart waren rot und zeigten erste graue Strähnen. Die Augen waren dunkel wie Ebenholz.

Er blickte mich an und wandte sich dann zwei Wächtern zu, die mit der Bahre eintraten.

»Legt ihn auf mein Bett«, sagte er und fuhr fort: »Roderick, kümmere dich um ihn.«

Roderick, sein Arzt, war ein alter Mann, der nicht den Eindruck machte, als könne er großen Schaden anrichten, was mich doch etwas erleichterte. Ich hatte Lance nicht die weite Strecke getragen, um ihn hier etwa unter den Händen eines Kurpfuschers verbluten zu lassen.

Schließlich wandte sich Ganelon wieder an mich.

»Wo habt Ihr ihn gefunden?« fragte er.

»Fünf Meilen südlich von hier.«

»Wer seid Ihr?«

»Ich werde Corey genannt«, erwiderte ich.

Er musterte mich ein wenig zu eingehend, und unter dem Schnurrbart deuteten seine wurmähnlich zuckenden Lippen ein Lächeln an.

»Was ist Eure Rolle bei dieser Sache?« wollte er wissen.

»Ich weiß nicht, was Ihr meint«, entgegnete ich.

Ich ließ absichtlich die Schultern hängen und sprach langsam und stockend. Mein Bart war länger als der seine und völlig verschmutzt. Ich bildete mir ein, daß ich wie ein alter Mann aussehen müßte. Seine Haltung deutete darauf hin, daß er ebenfalls diesen Eindruck hatte.

»Ich möchte wissen, warum Ihr ihm geholfen habt«, sagte er.

»Nächstenliebe und so weiter«, erwiderte ich.

»Ihr seid Ausländer?«

Ich nickte.

»Nun, Ihr seid hier willkommen, solange Ihr bleiben möchtet.«

»Vielen Dank. Ich werde wahrscheinlich schon morgen weiterziehen.«

»Zunächst setzt Euch aber auf ein Glas Wein zu mir und erzählt mir von den Umständen, unter denen Ihr ihn gefunden habt.«

Und das tat ich.

Ganelon unterbrach mich nicht, und die ganze Zeit über waren seine stechenden Augen auf mich gerichtet. Während mir der Vergleich ›Blicke wie Dolchspitzen‹ bisher immer recht töricht vorgekommen war, belehrte mich dieser Abend doch eines anderen. Sein Blick war tatsächlich stechend.

Ich fragte mich, was er über mich wissen mochte oder welche Vermutungen er anstellte.

Schließlich fiel mich urplötzlich die Müdigkeit an und ließ mich nicht mehr los. Die Anstrengung, der Wein, das warme Zimmer – all diese Dinge wirkten zusammen, und ich hatte plötzlich den Eindruck, irgendwo in einer Ecke zu stehen, mir selbst zuzuhören und mich zu beobachten, als sei ich ein anderer Mensch. Zwar vermochte ich kurzzeitig schon wieder einiges zu leisten, doch wurde mir klar, daß mein Durchhaltevermögen noch nicht wieder das alte war. Auch bemerkte ich, daß meine Hand zu zittern begonnen hatte.

»Es tut mir leid«, hörte ich mich sagen. »Die Mühen des Tages machen sich bemerkbar . . .«

»Natürlich«, sagte Ganelon. »Wir unterhalten uns morgen weiter. Geht zu Bett. Schlaft gut.«

Dann rief er einen Wächter und gab Befehl, mich in einen Gästeraum zu führen. Ich muß unterwegs getaumelt haben, denn ich erinnere mich an die stützende Hand des Wächters an meinem Ellbogen.

In jener Nacht schlief ich den Schlaf eines Toten. Es war ein großes schwarzes Gebilde, das auf mir lastete, etwa vierzehn Stunden lang.

Am Morgen tat mir der ganze Körper weh.

Ich wusch mich. Auf der Kommode stand ein Becken, und ein aufmerksamer Bediensteter hatte Seife und Handtuch daneben zurechtgelegt. Ich hatte das Gefühl, Sägemehl im Hals zu haben und Sand in den Augen.

Ich nahm Platz und überdachte meine Lage.

Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da ich Lance die ganze Strecke hätte tragen können, ohne hinterher schlappzumachen. Es hatte eine Zeit gegeben, da ich mich am Hang Kolvirs emporgekämpft hatte und ins Zentrum Ambers vorgestoßen war.

Doch diese Zeiten waren vorbei. Plötzlich fühlte ich mich so mitgenommen, wie es meinem Äußeren entsprach.

Es mußte etwas geschehen.

Ich hatte bisher nur langsam an Gewicht und Kräften zugenommen. Das mußte nun beschleunigt werden.

Eine oder zwei Wochen vernünftiges Leben und mit ausreichend Bewegung mochten mir guttun. Ganelon hatte eigentlich nicht den Eindruck gemacht, als ob er mich erkannt hätte.

Also gut, dann wollte ich die angebotene Gastfreundschaft ausnutzen.

Diesen Entschluß im Herzen suchte ich die Küche auf und verschaffte mir ein herzhaftes Frühstück. Nun, eigentlich hatten wir bereits die Mittagsstunde, aber wir wollen doch die Dinge beim richtigen Namen nennen. Ich hatte große Lust auf ein Pfeifchen und empfand eine gewisse perverse Freude angesichts der Erkenntnis, daß ich meinen Tabak aufgebraucht hatte. Das Schicksal half mir, meinen guten Vorsätzen treu zu bleiben.

Ich schlenderte in den Burghof hinaus. Es war ein frischer, sonniger Tag. Eine Zeitlang beobachtete ich die hier stationierten Männer, die ihr Training absolvierten.

Am anderen Ende entdeckte ich Bogenschützen, die sirrende Pfeile auf Ziele abschossen, welche an Heuballen befestigt waren. Mir fiel auf, daß sie Daumenringe verwendeten und die Bogensaite auf orientalische Art faßten, während ich die Dreifingertechnik vorzog. Diese Entdeckung weckte erste Zweifel in mir über diesen Schatten. Die Schwertkämpfer setzten sowohl die Schneiden als auch die Spitzen ein, und es waren verschiedene Schwertformen und Kampftechniken zu beobachten. Ich machte eine Schätzung und sagte mir, daß etwa achthundert Männer im Hof waren – ohne sagen zu können, wie viele Soldaten noch in der Burg stecken mochten. Die Färbung von Haut, Haaren und Augen war ganz verschieden – von hell bis dunkel. Über dem Sirren und Klirren vernahm ich manchen Akzent, wenn auch die meisten die Sprache Avalons sprachen, die ein Dialekt Ambers ist.

Während ich die Szene beobachtete, sah ich, wie ein Schwertkämpfer die Hand hob, seine Klinge senkte und sich den Schweiß von der Stirn wischte. Dann trat er zurück. Sein Gegner machte keinen besonders erschöpften Eindruck. Hier lag meine Chance, mir die Bewegung zu verschaffen, die ich brauchte.