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Er drückte ein Hebelchen hinunter, und ein schwaches grünes Leuchten huschte über die Scheibe. Dann erschien ein einzelner Punkt, hellte sich rasch auf, langsam zitternd, wobei er sich zu einem horizontalen Strich auseinanderzog.

Chris stand wieder im Hintergrund. Wie immer verschwand sie nahezu, wenn ihr Vorgesetzter im Raum war, doch jetzt fragte sie:

»Narkose, Herr Oberarzt?«

»Nein, wozu?« entgegnete er. Er griff nach Phils Oberkörper, der nun nicht mehr im Lösungsbad lag, und rollte zwei Drähte auf, die aus der Haut hervorliefen. Die Bananenstecker an ihren Enden stöpselte er in zwei Löcher an ein Elektroimpulsgerät: einen Schrittmacher. Der Arzt schob den Zeiger einer Schaltung auf 20 Mikrovolt und drückte dann einen an einem Kabel befestigten Knopf hinunter.

Etwas zuckte kurz in Phils Körper, dann war es wieder still.

»In Ordnung«, sagte Dr. Myer. Mit dem Fuß schob er den ›Schrittmacher‹ ein wenig vom Bett ab.

»Stellen Sie auf 30«, befahl er.

Chris verschob den Zeiger – 30 Mikrovolt.

Der Arzt drückte den Knopf kurz hinunter und hierauf in Sekundenabständen, immer wieder. Er schaute nicht auf Phil, sondern auf die Leuchtscheibe, auf der der Strich bei jedem Niederdrücken zu zersprühen schien. Die Schläge hieben in Phils Brust hinein, wie die Scheide einer Axt. Dann hielt der Arzt inne. Der grüne Lichtstrich zitterte noch einmal, dann war er still.

»50 Mikrovolt«, sagte der Arzt.

Wieder drückte sein Finger im Takt auf den Knopf. Die Schläge wühlten in Phils Körper. Sein vormals ruhiger Atem ging in lautes Keuchen über. Der Finger ließ los, und der grüne Strich fiel in sich zusammen.

»Ich muß es anders versuchen«, murmelte der Arzt. Laut fügte er hinzu:

»200 Mikrovolt!«

Chris drehte die Dezimalstellung und schob den Zeiger auf den zweiten Teilstrich zurück.

Der Finger fuhr hinunter.

Phil bäumte sich auf. Muskeln, die lange tot gewesen waren, erwachten, spannten sich im Krampf. Die Riemen, die ihn an das Bett fesselten, schnitten tief in seine Haut. Sein Atem flog. Der Finger hatte den Kopf schon losgelassen, aber in Phil zuckte und flimmerte es, es wand sich und schüttelte ihn... Dann fiel er zurück. Es war vorbei.

»Fast!« sagte der Arzt. »400 Mikrovolt.«

Chris verschob den Zeiger auf 4.

Der Finger drückte kurz, aber entschlossen.

Ein Blitz zuckte durch Phil. Etwas explodierte, ein Riese stieß um sich, dann lief etwas, ungestüm, wild, sich überschlagend, aber es lief und hielt nicht an, schlug zuerst dröhnend, dann dumpfer...

Phils Augen hingen an der Leuchtscheibe. Der Punkt durchlief eine Berg- und Talbahn, hüpfte zuerst über kleine Erhebungen, stieg dann über einen sich jäh aufbäumenden Hang, fiel jenseits des Gipfels wieder hinunter, sprang an seinen Ausgangspunkt zurück, begann seinen Weg von neuem. Es war sein Herz, das da schlug. Nun erst war es sein Herz.

Er lag tief erschöpft auf seinen Luftkissen, den Kopf zur Seite gedreht; Schweiß rann von seiner Stirn, die Umgebung verschwamm vor seinen Augen. Durch das verwaschene Grau und Beige lief eine Lichtschlange wie eine Leuchtreklame.

»Gut gelungen«, sagte die Stimme des Arztes. »Es schlägt! Geben Sie eine Spritze Revital! Lassen Sie ihn vorderhand nicht aus den Augen. Wenn der Herzschlag nachläßt, rufen Sie mich. Morgen sehe ich wieder nach ihm. Auf Wiedersehen!«

Phil spürte eine Hand an seiner Wange, dann flatterte der weiße Kittel durch die Schleier vor seinen Augen.

Der Arzt hatte das Zimmer verlassen.

Er hatte Phil wieder in Ordnung gebracht – er war tüchtig, tüchtig wie vielleicht kein zweiter. Dieser Mann hatte alles getan, um Phil wieder zu einem Menschen zu machen.

Trotzdem mochte ihn Phil nicht mehr. Mit einemmal wurde es ihm klar: Jetzt haßte er ihn.

7

Nun besaß Abel auch das Magazin. Wie die anderen Teile war es im Schützengraben versteckt, eingebacken in den Lehm, sicher vor jeder Suchaktion. Hatte sie schon begonnen? An sechs Pistolen fehlten Teile – es mußte aufgefallen sein, doch Abel hatte kein Anzeichen dafür bemerkt. Ob sie einen Zusammenhang ahnten? Wahrscheinlich. Natürlich konnte einmal ein Pistolenteil verlorengehen, aber eine solche Häufung von Verlusten konnte niemand als Zufall ansehen. Das Gute daran war, daß sich keine Verbindung zu ihm herstellen ließ. Er hatte gut beobachtet: So wie die Waffenausgabe und -einnahme organisiert war, kamen die Pistolen jeden Tag in andere Züge und an andere Soldaten. Auf ihn fiel soviel Verdacht wie auf jeden anderen.

Abel lag wachend in seinem Bett und durchdachte seinen Plan wie schon so oft. Die Szenen liefen ab, als wären sie Wirklichkeit. In seinen Gedanken war der Major schon tot; ein Anflug von Befriedigung darüber hatte sich über sein Bewußtsein gelegt. Abel lag auf seinem harten Lager, die Querstangen, die die Matratze hielten, drückten sich bis zu seinem Rücken durch, aber er spürte sie nicht. Sein Körper badete in der wohligen Ruhe, er war noch von der Nachtübung erhitzt, die ihm das letzte abverlangt hatte, und schwebte in einem Bett aus Müdigkeit und Wärme. Nur sein Denken, vom Dienst kaum beansprucht und von keinem Betäubungsgift eingelullt, war hellwach und arbeitete.

Um ihn herum war das Atmen und Röcheln der Schlafenden wie in jeder Nacht, doch jetzt drang etwas durch diesen Mantel aus verwischten Geräuschen. Ein Laut, eine Erschütterung? Ein leises Beben lief durch die Streben seiner Bettstatt. Abel horchte angespannt, doch er bewegte sich nicht. Er hatte sich nicht getäuscht: Unter ihm rührte sich etwas. Er hörte einen dumpfen Laut ... schleichende Schritte ... das Knarren des Schranks. Vorsichtig wandte er den Kopf ... blickte über den Rand seines Kissens. Es war das, was er erwartet hatte – Austin kleidete sich an. Immer wieder vergewisserte er sich, daß niemand erwacht war. Dann schlich er zur Tür ... zog sie auf ... schlüpfte hindurch. Der Türspalt schloß sich.

Abel fuhr aus dem Bett ... lief zum Fenster. Zuerst sah er nichts. Dann bemerkte er Austin, der unschlüssig an der Tür stand. Abel lief zu seinem Schrank, streifte den Mantel über, packte die Schuhe und ging mit eiligen kleinen Schritten auf bloßen Füßen zur Tür.

Nun stand er im Gang mit den zehn Türen zu den Stuben dieser Baracke. Ein Blick durchs Fenster zeigte ihm Austin, der die Wand entlang in Richtung auf die Vorratsräume ging. Abel schlüpfte in die Schuhe, schnürte sie notdürftig zusammen und verließ das Gebäude. Eilig, aber leise folgte er Austin.

Er wunderte sich selbst über seinen und Austins Mut. Es mußte am Nachlassen der Giftwirkung liegen – noch am Tag zuvor hätte er es nicht gewagt, während der Ruhezeit das Bett oder gar die Unterkunft zu verlassen.

Austin überquerte laufend einen freien Platz und tauchte im Schatten des Nachbargebäudes unter. Abel wartete, bis er ihn weiterschleichen sah, dann hastete auch er über den Platz, gebückt, wie er es bei den Übungen gelernt hatte, und schlug dann dieselbe Richtung ein wie Austin. Abel dachte an die unzähligen Stunden der Ertüchtigung und des Sports – nun kam ihm das zugute, was er gelernt hatte. Sein Körper reagierte blitzschnell, weder Kälte noch Müdigkeit beeinträchtigten das Spiel der Muskeln. Der Wind drang unter den Mantel, aber das war nur Aufmunterung – er empfand ihn als angenehm.

Austin war bei einem Vorratsgebäude angekommen und machte sich an der Tür zu schaffen. Abel beobachtete seine Aktion von der nächsten Ecke aus mit Spannung. Dann glitt die Tür auf, Austin war eingetreten. Wieder lief Abel ihm schnell nach. Bevor er in die nur wenig aufgezogene Tür trat, blickte er umher und erschrak. Quer über das freie Feld vor dem Haus ging jemand in Mantel und Helm, aufrecht, mit ruhigen, sicheren Schritten. Er war noch weit, aber er kam geradewegs auf ihn zu.