Klingt einleuchtend, dachte Luke. Der Mittelweg ist fast immer der beste. — Der Martier auf der Ecke von Forbes' Pult gähnte mächtig.
Plötzlich kwimmte ein zweiter Martier ins Zimmer und ließ sich in der Mitte von Forbes' Pult nieder. So dicht vor Forbes' Nase, daß dieser unwillkürlich aufschrie. Und die Klasse dann über den Kopf des Mar-tiers hinweg anlächelte.
Danach senkte er den Kopf, um einen Blick auf seine Notizen zu werfen. Der neue Martier hockte darauf. Er griff mit der einen Hand durch den Martier hindurch und schob sie zur Seite; der Martier rückte nach.
Forbes seufzte und richtete den Blick wieder auf die Klasse. „Es sieht aus, als würde ich frei sprechen müssen. Ihr Sinn für Humor hat etwas Kindliches."
Er beugte sich etwas zur Seite, um besser an dem Kopf des vor ihm sitzenden Martiers vorbeischauen zu können. Der Martier beugte sich ebenfalls zur Seite. Forbes nahm seine ursprüngliche Haltung wieder ein; der Martier desgleichen.
„Ihr Sinn für Humor hat etwas Kindliches", wiederholte Forbes. „Und dabei möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß ich die meisten meiner Theorien auf Grund des Studiums von Kindern und ihrer Reaktionen auf Martier formuliert habe. Sie haben alle zweifellos die Beobachtung gemacht, daß sich Kinder nach den ersten paar Stunden, nachdem der Reiz des Neuen vorbei war, leichter und schneller an Martier gewöhnten als Erwachsene. Besonders Kinder unter fünf Jahren. Ich habe selbst zwei Kinder und —"
„Drei, Mack", sagte der Martier auf der Pultkante. „Ich habe das Schriftstück mit eigenen Augen gesehen, für das du der Dame in Gardena zweitausend Dollar gabst, damit sie auf eine Alimentenklage verzichtet."
Forbes lief rot an. „Ich habe zwei Kinder zu Hause", fuhr er fort, „und —"
„Und eine alkoholische Frau", sagte der Martier. „Vergiß sie nicht."
Forbes schloß die Augen und ließ einige Augenblicke verstreichen, als zähle er insgeheim.
„Das Nervensystem von Kindern", sagte er, „wie ich es in ,Du und deine Nerven' dargelegt habe, meinem populären Buch über —"
„So verdammt populär ist es nun auch wieder nicht, Mack. Aus der Honorarabrechnung geht hervor, daß weniger als tausend Exemplare verkauft wurden."
„Ich wollte damit nur sagen, daß es populär geschrieben ist."
„Warum ist es dann nicht gegangen?"
„Weil es nicht gekauft wurde", fuhr Forbes ihn an. Und wandte sich dann lächelnd an seine Hörer. „Ich bitte um Entschuldigung. Ich hätte mich nicht auf ein zweckloses Argument einlassen sollen. Wenn sie dumme Fragen stellen, so gibt man am besten keine Antwort."
Der Martier, der auf seinen Notizen gesessen hatte, kwimmte plötzlich in Sitzstellung auf seinen Kopf, ließ die Beine vor seinem Gesicht herunterbaumeln und bewegte sie hin und her, so daß sein Blick bald klar, bald getrübt war.
Forbes warf einen Blick auf seine Notizen, die für ihn jetzt zeitweilig sichtbar waren. Er sagte: „Ah — eben entdeckte ich hier etwas, was ich Ihnen besonders ans Herz legen möchte, solange ich es lesen kann, daß Sie nämlich den Leuten gegenüber, denen Sie helfen wollen, vollkommen aufrichtig sein müssen —"
„Warum bist d u das nicht gewesen, Mack?" fragte der Martier auf der Pultkante.
„— und nicht ungerechtfertigt Dinge für sich in Anspruch nehmen oder —"
„Wie du in deinem Rundschreiben, Mack. Wo du vergessen hast, zu erwähnen, daß die angeführten Monographien nie erschienen sind."
Forbes, hinter den hin und her pendelnden, grünbekleideten Beinen, wurde feuerrot im Gesicht. Er erhob sich langsam, wobei er sich mit den Händen an die Pultkante klammerte. Er sagte: „Ich — äh —"
„Und warum hast du verschwiegen, daß du bei Con-vair nur Assistenzpsychologe warst, und weshalb sie dich entlassen haben?" Der Martier auf der Pultkante steckte seine Daumen in die Ohren, wackelte mit den Fingern und gab ein sehr lautes, unanständiges Geräusch von sich.
Forbes holte aus und schlug kräftig zu. Und schrie vor Schmerz auf, als seine Faust durch den Martier hindurchging und die schwere metallene Leselampe vom Pult herunter fegte, die der Martier verdeckt hatte.
Er zog die verletzte Hand zurück und starrte verblüfft darauf, zwischen den hin und her pendelnden Beinen des zweiten Martiers hindurch. Plötzlich waren beide Martier verschwunden.
Forbes, dessen Gesicht jetzt weiß statt rot war, ließ sich schwerfällig nieder und starrte die sechs Leute in seinem Büro verständnislos an, als wundere er sich, was sie hier wollten. Er fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, als wolle er etwas nicht mehr Vorhandenes wegwischen, was sich nicht hatte wegwischen lassen, solange es da war.
Er sagte: „Im Umgang mit Martiern sollte man stets daran denken —"
Dann vergrub er den Kopf in seinen auf das Pult aufgestützten Armen und fing leise an zu schluchzen.
Die Frau, die als Mrs. Johnston vorgestellt worden war, hatte in nächster Nähe des Pultes gesessen. Sie erhob sich, beugte sich vor und legte ihre Hand auf seine Schulter. „Mr. Forbes", sagte sie. „Ist Ihnen nicht wohl, Mr. Forbes?"
Sie bekam keine Antwort, nur daß das Schluchzen langsam nachließ.
Auch die anderen waren aufgestanden, Mrs. Johnston wandte sich an sie. „Ich glaube, wir lassen ihn lieber allein", sagte sie. „Und" — sie ergriff einen von den sechs Fünf-Dollar-Scheinen — „das Geld erhalten wir wohl unter diesen Umständen zurück." Sie behielt einen Schein für sich und verteilte die anderen. Schweigend verließen sie das Zimmer, einige auf Zehenspitzen. Nur Luke De-vereaux und Mr. Gresham, der neben ihm gesessen hatte, blieben zurück. „Bleiben wir noch", hatte Gresham gesagt. „Er braucht vielleicht Hilfe." Und Luke hatte genickt.
Mit vereinten Kräften richteten sie Forbes in seinem Stuhl auf. Seine Augen standen offen, starrten sie jedoch verständnislos an.
„Schock", sagte Gresham. „Vielleicht erholt er sich wieder. Aber —" Seine Stimme drückte Zweifel aus. „Das Gescheiteste wäre wohl, die Männer in den weißen Kitteln zu benachrichtigen."
Luke hatte Forbes' verletzte Hand untersucht. „Sie ist gebrochen", sagte er. „Schon deswegen braucht er ärztliche Betreuung. Wir werden einen Arzt anrufen. Wenn er bis dahin nicht zu sich gekommen ist, soll der Doktor die Verantwortung übernehmen und ihn einliefern lassen oder nicht."
„Gute Idee. Aber vielleicht brauchen wir gar nicht erst zu telefonieren. Nebenan ist eine Arzt - Praxis, ich habe zufällig darauf geachtet, als ich herkam, und das Licht brannte. Er muß entweder noch Sprechstunde abhalten oder länger zu tun haben."
Der Arzt hatte länger zu tun gehabt und war gerade im Aufbruch, als sie ihn erwischten. Sie baten ihn, mit in Forbes' Büro zu kommen, berichteten, was sich zugetragen hatte, und ließen ihn mit dem Patienten allein.
Beim Hinuntergehen sagte Luke: „Er war ein ganz netter Kerl, solange er sich gehalten hat."
„Und hatte eine ganz nette Idee, solange s i e sich gehalten hat."
„Ja", sagte Luke. „Es hat mir einen ziemlichen Schlag versetzt. Aber wir wollten uns doch eigentlich darüber klar werden, wo wir uns früher gesehen oder getroffen haben. Ist es Ihnen schon eingefallen?"
„Vielleicht bei Paramount? Ich habe sechs Jahre dort gearbeitet, bis sie vor zwei Wochen zugemacht haben."
„Stimmt", sagte Luke. „Ich war vor etlichen Jahren auch einmal für ein paar Wochen dort. Hab' aber bald wieder aufgehört. War nicht mein Fall."
„Dann sind wir uns wahrscheinlich dort begegnet. Sagen Sie mal, Devereaux —"
„Sag ruhig Luke zu mir. Und du heißt Steve mit Vornamen, nicht wahr?"
„Stimmt. Also, Luke, mir ist genau so erbärmlich zumute wie dir. Und ich weiß genau, was ich mit den fünf Dollars machen werde, die ich eben zurückerhalten habe. Weißt du schon, was du mit deinen anfangen wirst?"