»Wenn Sie die Torpedorohre abfeuern, wird der Wasserdruck eine deutlich sichtbare Flutwelle über uns erzeugen«, sagte Argos. Er trat an Trautman vorbei, streckte die Hand aus und schaltete das Gerät ein,
mit dem sie ihre Umgebung beobachten konnten. Auf dem kleinen Bildschirm war die Wasseroberfläche zu sehen, ein kleiner Teil der Insel und ein riesiger, schwarzer Frachter ohne erkennbaren Namen oder Nationalitätskennzeichen. »Sie würden es sehen«, sagte Argos. Niemand antwortete. Es wurde still und es war ein erschrockenes Schweigen, das sich im verwüsteten Salon des Schiffes ausbreitete. Das Bild war nicht besonders scharf und zitterte dazu noch ununterbrochen, aber es fiel keinem von ihnen schwer, das Schiff zu identifizieren, das darauf zu sehen war. Es war das SCHWARZE SCHIFF, dem sie schon einmal begegnet waren. Der unheimliche Frachter, dessen noch unheimlichere Besatzung Argos und ihnen schon einmal nach dem Leben getrachtet hatte und dem sie letztendlich die Katastrophe mit der NAUTILUS zu verdanken hatten! »Das ist nicht möglich«, flüsterte Ben ungläubig. Aus aufgerissenen Augen blickte er das Schiff und dann Argos an. »Aber Sie haben gesagt, sie wären fort! Und sie würden auch nicht wiederkommen!« »Das dachte ich auch«, antwortete Argos. »Ich habe wirklich geglaubt, dass es so ist. Aber ich habe mich getäuscht.Deshalbhabe ich versucht, mit der NAUTI-LUS die Insel zu verlassen. Ich dachte, sie wären hinter mir her oder vielleicht auch hinter der NAUTILUS. Wenn wir beide nicht mehr da gewesen wären, dann wärt ihr in Sicherheit. Und die Eingeborenen auch.« »Ich glaube, Sie sind uns allmählich eine Menge Erklärungen schuldig, Argos«, sagte Trautman düster. »Aber zuallererst einmal müssen wir dafür sorgen, dass wir auch lange genug am Leben bleiben, um uns diese
Erklärungen anzuhören.« Er wandte sich mit einer entsprechenden Handbewegung an Singh: »Singh -geh in den Torpedoraum und klemm die Ventile um. Ben kann dir helfen.« »Nein!«, protestierte Argos. »Dann werden sie uns entdecken!« Trautman beachtete ihn nicht, sondern machte erneut eine Handbewegung, und Singh und Ben zögerten nun nicht mehr länger, sondern verließen eilig den Salon. Erst dann drehte sich Trautman zu Argos herum und sagte: »Das ist gut möglich. Vielleicht sogar wahrscheinlich. Möglicherweise werden sie versuchen, uns zu kapern. Aber wenn wir hier bleiben, sind wir in zehn Minuten tot.« Argos widersprach nicht mehr, sondern starrte schweigend auf das unscharfe, zitternde Abbild des schwarzen Schiffes auf dem kleinen Bildschirm. Doch der Ausdruck, der dabei auf seinem Gesicht lag, jagte Mike einen eisigen Schauer über den Rücken. Mit großer Sicherheit hatte Trautman Recht: Wenn es ihnen nicht gelang, die NAUTILUS innerhalb der nächsten zehn oder fünfzehn Minuten an die Oberfläche zu bringen, dann würden sie alle sterben. Doch wenn er den Ausdruck auf Argos' Zügen richtig deutete, dann war das vielleicht nicht einmal das Schlimmste, was ihnen passieren konnte.
Ein bedrücktes Schweigen breitete sich im Salon des Schiffes aus, während sie darauf warteten, dass sich Singh und Ben aus dem vorderen Torpedoraum meldeten und Trautman das Zeichen gaben, mit seinem verzweifelten Rettungsplan zu beginnen. Dabei erging es allen übrigen mit Sicherheit nicht anders als Mike. Er war nicht nur noch immer schockiert über Argos' Verhalten, sondern auch ziemlich verwirrt. Er hatte den angeblichen Atlanter niemals so hundertprozentig als Verbündeten akzeptiert, wie es die anderen offensichtlich getan hatten, ihn aber trotzdem nicht für ihrenFeindgehalten. Jetzt war er nicht mehr sicher.Sagt er die Wahrheit?wandte er sich in Gedanken an Astaroth.
Was das schwarze Schiff angeht oder dass es ihm Leid tut?erkundigte sich der Kater spöttisch.Du weißt genau, wovon ich rede,erwiderte Mike ärgerlich. Astaroth benahm sich immer noch seltsam: Er lief aufgeregt im Salon auf und ab und rieb sich zwischendurch immer wieder an Mikes Beinen -ein durch und durch katzentypisches Verhalten, aber auch eines, das Astaroth selbst noch vor wenigen Stunden als seiner vollkommen unwürdig empört von sich gewiesen hätte. Mike war allmählich wirklich besorgt. Irgendetwas stimmte mit Astaroth nicht. Aber jetzt war nicht der Moment, sichdarüberden Kopf zu zerbrechen. »Sie haben uns niemals erzählt, wersiesind«, sagte Mike und deutete auf den Sichtschirm. »Das ist eine lange Geschichte«, sagte Argos. »Ich gebe dir mein Wort, ich erzähle sie euch -sobald wir in Sicherheit sind.« Ein dunkles Dröhnen ließ den Rumpf der NAUTILUS erzittern. Es wiederholte sich nicht, doch schon nach wenigen Augenblicken hörten Mike und die anderen erneut jenen anderen, noch viel schlimmeren Laut: das raschelnde Knistern, mit dem das Metall unter dem immer größer werdenden Wasserdruck ächzte. Mike sah auf die Uhr. Singh und Ben waren erst seit knapp drei Minuten fort. Sie konnten ihre Aufgabe also noch gar nicht erledigt haben, aber ihm kam es vor, als wären drei Stunden vergangen. Endlich meldete sich Ben über das Sprachrohr: »Wir sind so weit.« Seine Stimme klang blechern und verzerrt, aber Mike konnte die Furcht darin trotzdem hören.
»Gut«, sagte Trautman grimmig. »Dann riskieren wir es. Torpedorohre fluten!«»Überlegen Sie es sich noch einmal«, sagte Argos nervös. »Die Erschütterung könnte die NAUTILUS in Stücke reißen!« »Ich weiß«, antwortete Trautman. »Aber wenn wir nichts tun, dann zerbricht sie in ein paar Minuten sowieso. Wir -« Wieder traf irgendetwas den Rumpf der NAUTILUS und ließ sie beben. Diesmal war es jedoch nicht der Wasserdruck, unter dem das Schiff ächzte - Mike hatte das unheimliche Gefühl, dass irgendetwas das Schiffvon untenberührt hatte. »Was war das?«, fragte auch Chris erschrocken. Trautman hob nur die Schultern, aber er sah ebenso beunruhigt und erschrocken drein wie Mike. »Ich weiß nicht«, sagte er. »Wer -« Wieder zitterte der Boden. Diesmal geschah es lautlos, aber so deutlich, dass sie es alle fühlten: Das Schiff schwankte leicht hin und her und dann hatten sie alle das Gefühl, als ob sieangehobenwürden -was natürlich vollkommen unmöglich war. »Was ist das?«, fragte Serena erschrocken. Trautman beugte sich über seine Anzeigen und studierte sie einige Sekunden lang intensiv. »Wir sinken nicht mehr«, murmelte er. »Ich verstehe das nicht.« Hastig griff er nach dem Sprachrohr. »Singh! Ben! Sofort aufhören!« »Vielleicht sind wir auf den Meeresboden gesunken«, sagte Chris. Trautman verneinte. »Der ist an dieser Stelle fast zweitausend Meter tief«, sagte er. »Aber wir sinken nicht mehr. Irgendetwas hält uns fest.« »Ganz im Gegenteil«, murmelte Argos. Seine Stimme klang ungläubig, aber auch etwas erschrocken. »Wenn ich diese Anzeigen richtig deute, dann ... dannsteigenwir!«