rannte zum Fenster und warf sich gegen das dicke Panzerglas.»Astaroth!«,schrie er.»Sie sollen aufhören! Sie bringen uns um!«
Und das Wunder geschah: Der zweite Hai, der wie ein gigantischer lebender Torpedo heranschoss, warf sich im buchstäblich allerletzten Moment herum und verfehlte die NAUTILUS so knapp, dass seine dreieckige, segelbootgroße Rückenflosse mit einem hörbaren Geräusch unter dem Rumpf entlangschrammte. Aber der furchtbare Anprall, der das Schiff vermutlich in Stücke geschlagen hätte, blieb aus. Für einen Moment wurde es sehr still im Salon. Im allerersten Moment fiel es Mike gar nicht auf, dann aber spürte er die Stille. Und er fühlte die Blicke der anderen auf sich, noch ehe er sich herumdrehte und in die Gesichter Serenas, Trautmans, Singhs, Bens, Juans und Chris' blickte, die ihn allesamt fassungslos anstarrten. »Was hast du gesagt?«, murmelte Ben. »Astaroth?« »Aber er ist doch tot«, sagte Chris. »Nein«, antwortete Mike. »Das ist er nicht.« »Aber wie ...« Trautman schüttelte den Kopf. »Wir alle haben doch gesehen, dass ihn die Haifische gefressen haben.« Mike drehte sich vom Fenster herum und ging zum Kartentisch. Der Anprall hatte auch Argos von seinem Platz heruntergeschleudert und er lag reglos und mit geschlossenen Augen auf dem Rücken. Er atmete tief und regelmäßig, hatte aber das Bewusstsein verloren. »Wir haben gesehen, dass ihn die Haifische unter Wasser gezerrt haben«, sagte er. »Aber mehr auch nicht.« »Du ... du meinst, erlebt?«Trautman machte eine verwirrte Geste zum Fenster. »Und er istdort draußen? Bei ihnen?«
»Ich habe ihn gesehen«, antwortete Mike. »Wann?«, fragte Trautman scharf. »Als ich das erste Mal draußen beim Wrack war«, antwortete Mike.
»Und es nicht für nötig gehalten, es uns zu sagen?«, schnappte Ben. »Das hätte wenig Sinn gehabt«, antwortete Mike. »Ihr habt ja alle noch unter Argos' Einfluss gestanden. Außerdem hielt ich es für besser, wenn nicht alle es wissen.« Auch er deutete zum Fenster. »Astaroth ist da draußen. Fragt mich nicht, warum oder was er dort tut aber ich habe ihn gesehen. Er ...« Mike brach ab. Was sollte er sagen? Dass er Astaroth gesehen hatte, wie er rittlings auf einem Hai herangeprescht kam und in GedankenAttacke!brüllte? Kaum. Das Bild war so absurd, dass er sich selbst fragte, ob es eigentlich wahr war. Und außerdem war da ein unbestimmtes Gefühl in ihm, das ihm sagte, dass es vielleicht besser war, wenn er noch einen Teil seines Geheimnisses für sich behielt. »Es ist so, wie Argos gesagt hat«, begann er von neuem. »Sie sind nicht hinter uns her, im Gegenteil. Sie würden uns nie in Gefahr bringen.« »Mitsiemeinst du die Haie?«, vergewisserte sich Trautman. Mike nickte. »Die oder die, die sie geschickt haben«, sagte er. »Und wer soll das sein?«, wollte Juan wissen. Mike deutete auf Argos. »Das fragen wir besser ihn«, sagte er. »Sobald er wieder wach ist.« Ben kam mit langsamen Schritten näher, blickte auf den bewusstlosen Argos herab, schüttelte den Kopf und schlug sich dann mit der rechten Faust in die geöffnete linke Hand. »Schade, dass er ohnmächtig geworden ist«, sagte er. »Das hätte ich gern übernommen.« In Serenas Augen blitzte es auf und Mike machte rasch eine beruhigende Geste in ihre Richtung. »Dazu ist jetzt wirklich nicht der richtige Moment«, sagte er zu Ben gewandt. »Es ist nicht vorbei. Sie werden uns nichts tun, aber ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sie uns so einfach davonziehen lassen.«
Ben warf einen nervösen Blick zum Fenster. Die Riesenhaie samt ihren kleineren Brüdern umkreisten das Schiff noch immer und auch wenn sie ihren Angriff eingestellt hatten, so trug der Anblick doch nicht unbedingt dazu bei, sie zu beruhigen. Weder er noch das Bild, das plötzlich wieder in Mikes Gedächtnis erschien. Aber er sprach auch dies nicht aus. Argos hatte sie im Moment aus seinem geistigen Bann entlassen, aber Mike hatte das sichere Gefühl, dass es noch nicht vorbei war.
Ihr gespenstischer Geleitschutz blieb ihnen treu, bis sie die Oberfläche und eine knappe Stunde darauf die kleine Insel erreicht hatten, die Trautman als Ziel aussuchte. Seine Wahl war gut gewesen: Das Eiland lag nicht nur fernab von allen bekannten Schiffsrouten, es war auch - zumindest auf den ersten Blick unbewohnt und es verfügte über einen breiten, weit ins Meer hineinreichenden Sandstrand, an dem die NAU-TILUS anlegen konnte und an dem das Wasser so flach war, dass zumindest die größeren Haie die Verfolgung aufgeben mussten. Und als sie schließlich mit klopfenden Herzen die NAUTILUS verließenund einen Blick ins kristallklare Wasser warfen, erlebten sie eine weitere Überraschung: Zwar waren die meisten Stahltrossen, die sie am Rumpf des Wracks angebracht hatten, gerissen, aber drei oder vier der fingerdicken Kabel hatten gehalten und sie hatten ausgereicht, das Trümmerstück sicher mit zur Oberfläche hinaufzutragen. »Dann war es ja wenigstens nicht ganz umsonst«, sagte Trautman brummig. Er sah aufmerksam aufs Meer hinaus. Der Ozean war alles andere als leer. Auch wenn die größten Raubfische nicht in ihrer Nähe waren, so konnte man doch auf Anhieb zwei- oder dreihundert dreieckige Rückenflossen durch das türkisfarbene Wasser schneiden sehen. »Dann können wir nur hoffen, dass sie uns nicht angreifen, wenn wir die Männer rausholen«, fügte er hinzu. Ben riss ungläubig die Augen auf. »Das ist nicht Ihr Ernst!«, sagte er. »Sie wollen sie bergen? Nach allem, was Argos mit uns angestellt hat?« Trautman sah ihn eine Sekunde lang mit seltsamem Ausdruck an. »Dafür wird er sich verantworten müssen, keine Angst«, sagte er dann. »Und selbstverständlich ist das mein Ernst. Was sollte ich wohl tun? Die Männer dort unten lassen? Sie sterben lassen, weil Argos etwas getan hat, was uns nicht gefallt? « Ben riss die Augen auf. »Was uns nicht gefällt?«, krächzte er. »Das ist die Untertreibung des Jahres!« »Möglich«, sagte Trautman ruhig. »Trotzdem werden wir sie da rausholen. Und anschließend bringen wir sie und Argos an Land und beraten, was weiter zu tun ist.« Ben sah ganz so aus, als wollte er erneut protestieren, aber Trautman gab ihm gar keine Gelegenheit dazu, sondern drehte sich mit einem Ruck herum, winkte Singh zu sich heran und begann das auf dem Deck verschraubte Boot zu lösen. Auch Juan und Mike packten mit zu, nur Ben stand mit trotzig vor der Brust verschränkten Armen dabei und rührte sich nicht. Serena und Chris waren unten im Schiff zurückgeblieben; Serena, um sich um ihren Vater zu kümmern, und Chris, um ein Auge auf beide zu werfen. Der gefährliche Moment kam, als sie das Boot zu Wasser gelassen hatten und Singh mit einer entschlossenen Bewegung über Bord sprang und zu dem Wrackteil hinabtauchte. Mike sah mit angehaltenem Atem zu, wie zwei, drei Haifische auf ihn zu schossen, dann aber im letzten Moment wieder ihre Richtung wechselten, ohne ihn anzugreifen. »Sieht aus, als hätten wir Glück«, sagte Trautman. Singh tauchte wieder auf, holte tief Atem und erklärte keuchend: »Sie sind noch dort unten. Aber sie sind zu schwer, um sie so einfach herauszuholen.«