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Das Himmelsgewölbe berühren. Es mit Spitzhacken aufbrechen. Bei dieser Vorstellung fühlte sich Hillalum äußerst unwohl. »Es gibt keinen Grund, uns zu beneiden ...«, sagte er.

»Aber klar«, fiel ihm Nanni ins Wort. »Wenn wir fertig sind, werden alle Menschen das Himmelsgewölbe berühren.«

Am nächsten Morgen ging Hillalum los, um sich den Turm anzuschauen. Er stand auf dem riesigen Platz, der ihn umgab. Auf einer Seite erhob sich ein Tempel, der für sich genommen schon beeindruckend gewesen wäre, aber jetzt von niemandem mehr beachtet wurde.

Hillalum konnte geradezu spüren, wie massiv der Turm war. Es hieß, dass er so gebaut war, dass er jedem Zikkurat an Festigkeit weit überlegen war; er bestand zur Gänze aus gebrannten Ziegelsteinen, während man gewöhnliche Zikkurats lediglich aus in der Sonne getrockneten Lehmsteinen baute und gebrannte Ziegel nur für die Fassaden verwendete. Als Mörtel wurde Pech benutzt, das in den gebrannten Lehm eindrang und eine Verbindung schuf, die so hart war wie die Ziegel selbst.

Der Sockel des Turms glich den ersten beiden Stufen eines gewöhnlichen Zikkurats. Vor Hillalum ragte eine gewaltige quadratische Plattform von gut zweihundert Ellen Kantenlänge und vierzig Ellen Höhe auf, mit einer dreifachen Treppe an ihrer Südseite. Auf dieser ersten Stufe erhob sich eine weitere Ebene, eine kleinere Plattform, zu der nur die mittlere Treppe hinaufführte. Auf dieser zweiten Plattform ruhte der eigentliche Turm.

Wie eine quadratische Säule von sechzig Ellen Kantenlänge erhob er sich, und er schien das Gewicht des Himmels zu tragen. Eine langsam ansteigende Rampe, die in die Seite des Turms hineingemeißelt war, wand sich um die Säule, so wie der Lederriemen einer Peitsche um den Stil. Nein; als Hillalum genauer hinsah, erkannte er, dass es zwei ineinander verwobene Rampen gab. Die äußere Seite der Rampen war mit breiten, jedoch nicht besonders dicken Säulen gesäumt, um Schatten zu spenden. Als er seinen Blick den Turm hinaufschweifen ließ, entdeckte er Streifen, die sich miteinander abwechselten — Rampe, Steine, Rampe, Steine —, bis er sie nicht mehr voneinander unterscheiden konnte. Und immer höher und höher erhob sich der Turm, viel weiter, als das Auge reichte; Hillalum blinzelte, kniff die Augen zusammen, und ihm wurde schwindlig. Er stolperte ein paar Schritte zurück und wandte sich mit Schaudern ab.

Hillalum musste an eine Geschichte denken, die ihm in seiner Kindheit erzählt worden war, über die Zeit nach der Sintflut. Sie handelte davon, wie die Menschen aufs Neue die Erde besiedelten und dabei mehr Land bevölkerten als jemals zuvor. Wie die Menschen zu den Rändern der Welt segelten und sahen, wie die Meere hinabstürzten in den Nebel, um sich tief unten mit den schwarzen Wassern des Abgrundes zu vereinen. Wie die Menschen daraufhin die Größe der Welt erkannten, sie für zu klein befanden und zu sehen begehrten, was jenseits der Grenzen lag — Jahwes Schöpfung in ihrer ganzen Weite. Wie sie himmelwärts schauten und sich Gedanken über Jahwes Heimstatt machten, die über den Speichern liegen mochte, in denen sich die Wasser des Himmels befanden. Und wie sie vor vielen Jahrhunderten begannen, den Turm zu errichten, eine Säule, die sich himmelwärts reckte, eine Treppe, die es den Menschen ermöglichen sollte, aufzusteigen und die Werke Jahwes zu betrachten, und auf der Jahwe würde herabsteigen können, um die Werke der Menschen zu sehen.

Diese Geschichte hatte Hillalum stets Ehrfurcht eingeflößt, eine Geschichte über Tausende von Menschen, die sich unablässig und doch mit Freuden abmühten, denn sie arbeiteten, um Jahwe näher zu sein. Als die Babylonier auf der Suche nach Bergarbeitern nach Elam kamen, war er begeistert gewesen. Nun jedoch, da er am Fuße des Turmes stand, begehrten seine Sinne auf und beharrten darauf, dass es nichts geben dürfe, was so hoch aufragte. Wenn er an dem Turm emporblickte, kam es ihm nicht mehr so vor, als stünde er auf der Erde.

Sollte er ein solches Gebilde besteigen?

Am Morgen des Aufstiegs war die zweite Plattform vollständig mit Reihen zweirädriger Karren bedeckt. Viele davon waren mit nichts als Essen beladen: Säcken mit Gerste, Weizen, Linsen, Zwiebeln, Datteln, Gurken, Brotleibern und getrocknetem Fisch. Es gab unzählige große Tonkrüge mit Wasser, Dattelwein, Bier, Ziegenmilch und Palmöl. Andere Karren waren mit Waren beladen, wie sie in einem Basar gehandelt wurden: Bronzegefäße, Flechtkörbe aus Schilfrohr, Ballen mit Leinen, Stühle und Tische aus Holz. Auch gab es einen gemästeten Ochsen und eine Ziege, denen einige Priester Hauben über den Kopf stülpten, damit die Tiere nicht nach links oder rechts schauen konnten und Angst vor dem Aufstieg bekamen. Sie würden geopfert, sobald der Zug die Spitze erreichte.

Dann waren da Karren, die mit Hämmern, Spitzhacken und allem Nötigen für eine kleine Schmiede beladen waren. Ihr Vorarbeiter hatte auch für eine Anzahl Karren mit Holz und Schilfrohrbündeln gesorgt.

Lugatum stand neben einem Karren und zurrte die Seile fest, die das Holz hielten. Hillalum ging zu ihm. »Von wo stammt dieses Holz? Ich habe keine Wälder gesehen, seit wir Elam verlassen haben.«

»Nördlich von hier gibt es einen Wald, den man gepflanzt hat, als man mit dem Turmbau begann. Das gefällte Holz wird mit Flößen den Euphrat hinuntergebracht.«

»Ihr habt einen ganzen Wald gepflanzt?«

»Als man anfing, den Turm zu errichten, wussten die Architekten, dass man mehr Holz zum Befeuern der Brennöfen brauchen würde, als sich in der Ebene finden ließ, also haben sie einen Wald anlegen lassen. Arbeiter kümmern sich um die Bewässerung, und es ist ihre Pflicht, für jeden gefällten Baum einen neuen zu pflanzen.«

Hillalum war verblüfft. »Und das reicht für all das Holz, das benötigt wird?«

»Für das meiste jedenfalls. Viele weitere Wälder im Norden sind gerodet und ihr Holz den Fluss hinabgebracht worden.« Lugatum besah sich die Räder des Karrens, entkorkte eine kleine Flasche, die er bei sich trug, und träufelte ein wenig Öl zwischen Rad und Achse.

Nanni kam zu ihnen und blickte hinunter auf die Straßen Babylons, die sich vor ihnen ausbreiteten. »So weit oben, um auf eine Stadt herabblicken zu können, war ich noch nie.«

»Ich auch nicht«, sagte Hillalum, doch Lugatum lachte nur.

»Kommt mit mir. Die Wagen sind bereit.«

Bald darauf wurden die Männer in Zweiergruppen jeweils einem Wagen zugeteilt. An jedem Karren gab es zwei Zugstangen mit Seilschlaufen, und die Männer standen zwischen den Stangen. Um ihr Tempo zu gewährleisten, wechselten sich die Karren der Bergarbeiter mit denen der gelernten Karrenzieher ab. Lugatum und ein weiterer Mann zogen den Wagen gleich hinter Hillalum und Nanni.

»Denkt daran«, sagte Lugatum. »Bleibt immer zehn Ellen hinter dem Karren vor euch. Der Mann rechts zieht alleine, wenn ihr um eine Ecke biegt, und ihr wechselt euch jede Stunde ab.«

Ein Karren nach dem anderen rollte die Rampe hinauf. Hillalum und Nanni knieten nieder und legten sich die Schlaufen ihres Wagens über die Schulter, der eine über die rechte, der andere über die linke. Dann richteten sie sich gleichzeitig auf und hoben das Vorderteil ihres Wagens an.

»Und jetzt zieht«, rief Lugatum.

Sie stemmten sich in die Seile, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Rollte der Karren erst einmal, schien er gar nicht so schwer, und sie machten sich auf den Weg um die Plattform. Sie erreichten die Rampe, und wieder mussten sie sich kräftig ins Zeug legen.

»Das soll ein leichter Wagen sein?«, murmelte Hillalum.

Die Rampe war breit genug, damit ein Mann an einem Wagen vorbeigehen konnte. Der Boden war mit Steinen gepflastert, in die Wagenräder im Laufe der Jahrhunderte zwei tiefe Furchen gegraben hatten. Über ihnen spannte sich die Decke in Form eines Karggewölbes, dessen breite, rechteckige Steine sich überlappten, bis sie sich in der Mitte trafen. Die Säulen zu ihrer Rechten waren breit genug, um die Rampe fast in einen Tunnel zu verwandeln. Schaute man nicht dorthin, hatte man kaum noch den Eindruck, sich auf einem Turm zu befinden.