Выбрать главу

Betrachten wir den zweideutigen englischen Satz »The rabbit is ready to eat«. Interpretieren wir »the rabbit« als Objekt zu »to eat«, wäre der Satz eine Ankündigung, dass in Kürze das Essen serviert werden wird, und der Satz müsste mit »Das Kaninchen ist zum Essen zubereitet« übersetzt werden. Interpretiert man aber »the rabbit« als Subjekt zu »to eat«, könnte der Satz ein Hinweis sein, wie ihn ein kleines Mädchen ihrer Mutter gibt, damit sie eine Packung mit Tierfutter aufmacht, und er müsste in diesem Fall mit »Das Kaninchen ist bereit zu essen« übersetzt werden.

Betrachten wir das Phänomen, dass Licht in einem bestimmten Winkel auf Wasser trifft, seinen Weg jedoch in einem anderen Winkel fortsetzt. Erklärte man es so, dass der unterschiedliche Brechungsindex den Richtungswechsel des Lichtes verursachte, dann sah man die Welt, wie wir Menschen sie verstanden. Erklärte man es aber damit, dass das Licht die Zeitdauer verkürzte, die es bis zu seinem Bestimmungsort benötigte, dann sah man die Welt so, wie sie die Heptapoden verstanden. Zwei sehr unterschiedliche Auslegungen.

Das materielle Universum war eine Sprache mit einer vollkommen zweideutigen Semantik. Jedes physikalische Ereignis war eine Äußerung, die auf zwei völlig verschiedene Arten formuliert werden konnte, eine davon kausal, die andere teleologisch. Beide waren stichhaltig, und keine konnte ausgeschlossen werden, ganz gleich, wie umfangreich die Informationen über den Zusammenhang waren.

Als die Vorfahren der Menschen und der Heptapoden vom ersten Bewusstseinsfunken durchzuckt wurden, nahmen sie beide dieselbe physikalische Welt wahr, aber ihre Wahrnehmungen formulierten sie unterschiedlich. Die Weltbilder, die sich daraus entwickelten, waren das Ergebnis dieses Unterschiedes. Das Weltbild der Menschen gründete auf einer sequenziellen Wahrnehmung der Wirklichkeit, das Weltbild der Heptapoden dagegen auf einer simultanen Wahrnehmung der Wirklichkeit. Wir erlebten die Welt als Abfolge von Ereignissen und nahmen ihre Beziehung zueinander als ein Verhältnis von Ursache und Wirkung wahr. Die Heptapoden erlebten alle Ereignisse als gleichzeitig und nahmen die minimierende oder maximierende Zielsetzung wahr, die ihnen allen zugrunde lag.

Ich habe einen immer wiederkehrenden Traum, in dem du stirbst. Darin bin ich diejenige, die Felsen hinaufklettert – ich, kannst du dir das vorstellen? –, und du bist drei Jahre alt und sitzt in einem Tragegestell, das ich auf dem Rücken habe. Wir befinden uns nur ein kleines Stück unterhalb eines Felsvorsprungs, auf dem wir uns ausruhen können, und du kannst nicht warten, bis ich ihn erreicht habe. Du beginnst aus dem Tragegestell zu steigen; ich sage dir, dass du das lassen sollst, aber natürlich hörst du nicht auf mich. Ich spüre, wie sich dein Gewicht von einer Seite auf die andere verlagert, als du aus dem Gestell kraxelst; dann spüre ich deinen linken Fuß auf meiner Schulter, dann deinen rechten. Ich schreie dich an, aber ich habe keine Hand frei, um nach dir zu greifen. Ich kann das Wellenmuster auf deinen Turnschuhen sehen, als du zu klettern beginnst, und dann sehe ich, wie sich unter einem deiner Schuhe ein Steinsplitter lockert. Du rutschst geradewegs an mir vorbei, und ich kann keinen Finger rühren. Ich blicke nach unten und sehe, wie du unter mir immer kleiner wirst.

Dann befinde ich mich plötzlich in der Leichenhalle. Ein Sanitäter lüftet das Tuch von deinem Gesicht, und ich sehe, dass du fünfundzwanzig bist.

»Alles in Ordnung?«

Ich saß aufrecht im Bett. Gary war von meiner plötzlichen Bewegung wachgeworden. »Es geht mir gut. Ich war nur etwas durcheinander. Wusste für einen Augenblick nicht, wo ich bin.«

Verschlafen sagte er: »Wir können das nächste Mal bei dir bleiben.«

Ich küsste ihn. »Keine Sorge. Deine Wohnung ist schon in Ordnung.« Wir schmiegten uns aneinander, mein Rücken gegen seine Brust gedrückt, und schliefen wieder ein.

Wenn du drei Jahre alt sein wirst, werden wir eine steile Wendeltreppe hinaufgehen, und ich werde deine Hand ganz besonders fest halten. Du wirst deine Hand wegziehen. »Ich kann das alleine«, wirst du behaupten und dich von mir wegbewegen, um es zu beweisen, und ich werde mich an diesen Traum erinnern. Diese Szene wird sich in deiner Kindheit unzählige Male wiederholen. Wenn ich deine Veranlagung bedenke, allem und jedem zu widersprechen, könnte ich mir fast einreden, dass es meine Versuche waren, dich zu beschützen, die deine Liebe zum Klettern weckten: erst die Gerüste auf dem Spielplatz, dann die Bäume in den Grünanlagen am Rande unseres Viertels, die Kletterwände im Sportverein und schließlich die Felsmassive in den Nationalparks.

Ich vollendete den letzten Wortstrang des Satzes, legte die Kreide beiseite und setzte mich auf meinen Schreibtischstuhl. Dann lehnte ich mich zurück und ließ meinen Blick über den riesigen Heptapod B-Satz schweifen, den ich geschrieben hatte und der sich über die gesamte Tafel meines Büros erstreckte. Der Satz umfasste mehrere komplexe Teilsätze, und ich hatte es geschafft, sie alle recht elegant miteinander zu verbinden.

Beim Betrachten eines solchen Satzes verstand ich, warum die Heptapoden ein semasiografisches Schriftsystem wie Heptapod B entwickelt hatten. Es eignete sich besser für eine Lebensform, deren Bewusstsein simultan arbeitete. Für Heptapoden war Sprache ein Nadelöhr, da sie Worte in sequenzieller Folge aneinanderreihen mussten. Ihre Schrift allerdings gestattete es ihnen, sämtliche Zeichen auf einem Blatt gleichzeitig zu betrachten. Warum also sollten sie ihr Schriftsystem in eine glottografische Zwangsjacke stecken, die dazu führte, dass das Schreiben genauso sequenziell wurde wie das Sprechen? Das käme ihnen nie in den Sinn. Semasiografische Schrift nutzte ganz selbstverständlich die Vorzüge der Zweidimensionalität eines Blattes; statt Morpheme einzeln aneinanderzureihen, konnte man sie mit einem Blick auf die Seite alle gleichzeitig erfassen.

Nun also, nachdem Heptapod B mich mit einem simultanen Bewusstseinszustand vertraut gemacht hatte, verstand ich den Sinn der Grammatik von Heptapod A: Das, was meinem an sequenzielle Abfolgen gewöhnten Verstand unnötig verzwickt erschien, begriff ich nun als Versuch, innerhalb der Beschränkungen sequenzieller Sprache ein gewisses Maß an Flexibilität einzuführen. Obwohl es mir nun leichter fiel, mit Heptapod A umzugehen, kam es mir immer noch wie ein ärmlicher Ersatz für Heptapod B vor.

Es klopfte an der Tür, und Gary schaute in mein Büro. »Colonel Weber wird gleich da sein.«

Ich verzog das Gesicht. »In Ordnung.« Weber wollte einer Sitzung mit Haspel und Himbeere beiwohnen. Ich sollte dabei als Übersetzerin fungieren, eine Aufgabe, für die ich nicht ausgebildet war und die ich verabscheute.

Gary trat in mein Büro und machte die Tür hinter sich zu. Er zog mich von meinem Stuhl und küsste mich.

Ich lächelte. »Versuchst du mich aufzumuntern, bevor er hier eintrifft?«

»Nein, ich versuche mich aufzumuntern.«

»Du warst überhaupt nicht daran interessiert, mit den Heptapoden zu sprechen, oder? Du hast nur deshalb bei diesem Projekt mitgemacht, um mich ins Bett zu kriegen.«

»Ah, du hast mich durchschaut.«

Ich sah ihm in die Augen. »Darauf kannst du dich verlassen«, sagte ich.

Ich erinnere mich, wie du einen Monat alt sein wirst und ich aus dem Bett taumle, um dich um zwei Uhr morgens zu füttern. Dein Kinderzimmer wird von diesem »Babygeruch« nach Popocreme und Talkumpuder erfüllt sein, mit einer vagen Ammoniaknote aus der Ecke mit dem Eimer voller Windeln. Ich werde mich über dein Bettchen beugen, dich schreiendes Etwas hochheben und mich in den Schaukelstuhl setzen, um dich zu stillen.

Das englische Wort »infant« – »Säugling« – leitet sich von dem lateinischen Ausdruck für »nicht fähig zu sprechen« ab, aber eines kannst du perfekt ausdrücken, ohne zu sprechen: »Ich leide«, und das wirst du ohne zu zögern unablässig tun. Ich bewundere dich wirklich dafür, wie hingebungsvoll du dich dieser Äußerung widmest; wenn du schreist, wirst du zur leibhaftigen Empörung selbst, jede Faser deines Körpers dient dem Ausdruck dieses Gefühls. Schon komisch: Wenn du zufrieden bist, scheinst du zu leuchten, und wenn jemand ein Portrait von dir in diesem Zustand malen wollte, würde ich darauf bestehen, dass er den Lichtkranz nicht vergisst. Aber wenn du unzufrieden bist, wirst du zu einer Sirene, nur dazu gemacht, Lärm von dir zu geben. Ein Portrait von dir sähe dann einfach aus wie eine Alarmglocke.