In diesem Abschnitt deines Lebens wird für dich keine Vergangenheit oder Zukunft existieren; bis ich dir meine Brust gebe, wirst du keine Erinnerungen an zurückliegende Befriedigungen haben oder Erwartungen auf zukünftige Linderungen hegen. Sobald du zu nuckeln beginnst, wird sich alles ändern, und die Welt wird wieder in Ordnung sein. JETZT ist der einzige Augenblick, den du zur Kenntnis nehmen wirst; du wirst in der Gegenwart leben. Das ist in vielerlei Hinsicht ein beneidenswerter Zustand.
Die Heptapoden sind weder frei, noch folgen sie einem Zwang, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie wir diese Begriffe verstehen. Sie folgen nicht ihrem Willen, sind aber auch keine hilflosen Automaten. Das Bewusstsein der Heptapoden zeichnet sich nicht nur dadurch aus, dass ihre Handlungen mit dem Lauf der Geschichte übereinstimmen, sondern ihre Absichten richten sich auch nach den Zielen der Geschichte. Sie handeln, um die Zukunft hervorzubringen, um die Chronologie der Ereignisse in die Tat umzusetzen.
Freiheit ist keine Illusion. Im Rahmen eines sequenziell operierenden Bewusstseins ist sie zweifellos real. Aus der Sicht eines simultan arbeitenden Bewusstseins jedoch ist Freiheit, genauso wie Zwang, bedeutungslos. Lediglich der Kontext ist ein anderer, wenngleich keiner von beiden eine größere Berechtigung hat. Das ist wie bei dieser berühmten optischen Täuschung, der berühmten Strichzeichnung, auf der man entweder eine elegante junge Frau mit vom Betrachter abgewandtem Gesicht oder eine warzennasige Greisin mit auf die Brust gesenktem Kinn sieht. Es gibt keine »richtige« Auslegung der Zeichnung, beide Interpretationen sind gleichermaßen gültig. Aber man kann nicht beide Motive zugleich sehen.
Genauso verhält es sich mit dem freien Willen und dem Wissen um die Zukunft. Sie schließen sich wechselseitig aus. Das, was mich befähigt, frei zu entscheiden, schließt zugleich aus, dass ich die Zukunft kennen kann. Und jetzt, da mir die Zukunft bekannt ist, werde ich niemals im Widerspruch zu dieser Zukunft handeln, was auch zur Folge hat, dass ich anderen nicht sagen kann, was ich weiß: Wer die Zukunft kennt, spricht nicht von ihr. Niemand gibt zu, das Buch der Zeit gelesen zu haben.
Ich schaltete den Videorekorder ein und spielte eine Kassette mit der Aufzeichnung einer Sitzung in Fort Worth ab. Zu sehen war ein diplomatischer Unterhändler, der mit den Heptapoden sprach. Burghart diente als Übersetzer.
Der Diplomat schilderte den Heptapoden menschliche Moralvorstellungen und versuchte dabei, ihnen die Grundlagen des Altruismus zu vermitteln. Ich wusste, dass den Heptapoden der Ausgang des Gespräches bereits bekannt war, an dem sie sich dennoch mit Eifer beteiligten.
Könnte ich jemandem, der nicht damit vertraut war, davon erzählen, würde sie vielleicht fragen: Wozu benutzen die Heptapoden überhaupt Sprache, wenn ihnen schon alles, was sie sagen oder hören, bekannt ist? Eine einleuchtende Frage. Aber Sprache dient nicht nur der Mitteilung von etwas, sie ist selbst auch eine Form des Handelns. Folgt man der Sprachtheorie, dann sind Aussagen wie »Sie sind verhaftet«, »Hiermit taufe ich dieses Schiff« oder »Ich verspreche« performative Akte. Ein Redner kann diese Dinge nur tun, indem er die dazu passenden Worte spricht. Das Vorwissen darüber, was gesagt werden wird, ändert nichts an solchen Handlungen. Bei einer Hochzeit fiebern alle den Worten »Hiermit erkläre ich euch zu Mann und Frau« entgegen, und solange der Pfarrer sie nicht wirklich gesprochen hat, ist der zeremonielle Akt nicht gültig. Bei performativen Sprechakten sind Reden und Tun eins.
Für die Heptapoden war alles Reden performativ. Sprache war für sie kein Werkzeug, um Information auszutauschen, sondern um Dinge wirklichkeitsgetreu darzustellen. Heptapoden wussten natürlich bei allen Gesprächen, wie sie verlaufen würden; damit ihr Wissen aber wahr sein konnte, musste das Gespräch erst stattfinden.
Zuerst probierte Goldlöckchen von Papabärs Teller, aber der Teller war voller Rosenkohl, und den mochte sie nicht.«
Du wirst lachen. »Nein, das stimmt nicht!« Wir werden nebeneinander auf dem Sofa sitzen, das dünne, überteuerte Kinderbuch geöffnet auf unserem Schoß.
Ich werde weiterlesen. »Dann probierte Goldlöckchen von Mamabärs Teller, aber der Teller war voller Spinat, den Goldlöckchen genauso wenig mochte.«
Du wirst deine Hand auf die Buchseite legen, damit ich aufhöre. »Du musst es richtig lesen!«
»Ich lese genau das, was da steht«, werde ich ganz unschuldig beteuern.
»Nein, tust du nicht. So geht die Geschichte nicht.«
»Also, wenn du schon weißt, wie die Geschichte geht, warum soll ich sie dir dann noch mal vorlesen?«
»Weil ich sie hören will!«
Die Klimaanlage in Webers Büro entschädigte einen fast dafür, überhaupt mit ihm reden zu müssen.
»Die Heptapoden sind bereit, sich auf so etwas wie einen Austausch einzulassen«, erklärte ich, »aber es ist kein Handel, kein Geschäft. Wir werden ihnen einfach etwas geben, und dafür werden sie uns etwas geben. Keine der beiden Seiten sagt der anderen im Voraus, was sie erhalten wird.«
Colonel Webers Stirn runzelte sich ein wenig. »Wollen Sie damit sagen, die Heptapoden sind bereit, Geschenke mit uns auszutauschen?«
Mir war klar, was ich zu sagen hatte. »Wir sollten es nicht als ›Geschenkeaustausch‹ auffassen. Wir wissen nicht, ob dieser Austausch für die Heptapoden eine ähnliche Bedeutung hat wie für uns, wenn wir einander etwas schenken.«
»Gibt es einen Weg« – er dachte nach, wie er es ausdrücken sollte – »ihnen einen Tipp zu geben, was für ein Geschenk wir gerne hätten?«
»Darauf lassen sich die Heptapoden bei dieser Art von Austausch nicht ein. Ich habe sie gefragt, ob wir sie um etwas bitten dürfen, und sie haben geantwortet, dass wir das tun können, sie uns aber trotzdem nicht sagen, was sie uns geben werden.« Plötzlich kam mir in den Sinn, dass ein morphologischer Verwandter von »performativ« der englische Begriff für Theateraufführungen und andere Darbietungen, also »Performance« war, der unter anderem das Gefühl beschreiben konnte, an einer Unterhaltung teilzunehmen, deren Verlauf einem bekannt war, etwa bei der Aufführung eines Theaterstückes.
»Aber würde es sie eher dazu bringen, uns zu geben, was wir verlangen?«, fragte Colonel Weber. Er hatte keine Ahnung, welche Rolle er spielte, und dennoch richteten sich seine Reaktionen nach dem ihm zugewiesenen Text.
»Das können wir nicht wissen«, erwiderte ich. »Ich bezweifle es jedoch, denn dieses Vorgehen ist bei den Heptapoden nicht üblich.«
»Wenn wir ihnen unser Geschenk zuerst geben – wird der Wert unseres Geschenkes dann einen Einfluss darauf haben, was sie uns geben?« Er improvisierte, während ich mich sorgfältig auf das Gespräch vorbereitet hatte, das nur so und nicht anders verlaufen konnte.
»Nein«, sagte ich. »Soweit wir wissen, ist der Wert der Gegenstände bedeutungslos.«
»Wenn das in meiner Familie nur auch so wäre«, murmelte Gary trocken.
Ich beobachtete, wie Colonel Weber sich an Gary wandte. »Haben die Gespräche über Physik irgendetwas Neues ergeben?«, fragte er wie aufs Stichwort.
»Nein, falls Sie damit etwas meinen, das für die Menschheit etwas Neues darstellt«, sagte Gary. »Die Heptapoden sind nicht von ihrem gewohnten Verhalten abgewichen. Wenn wir ihnen etwas vorführen, dann zeigen sie uns ihre Art, die Sache zu formulieren, aber sie bieten uns nichts Neues und beantworten keine unserer Fragen bezüglich ihres Wissens.«