Eine Äußerung, die im Zusammenhang menschlicher Kommunikation spontan und aufgeschlossen erschien, wurde zu einer rituellen Rezitation, wenn man sie im Lichte von Heptapod B betrachtete.
Webers Miene verfinsterte sich. »Also gut. Warten wir ab, was das Außenministerium dazu sagt. Vielleicht können wir eine Geschenkzeremonie arrangieren.«
Wie bei jedem physikalischen Ereignis, mit seinen kausalen und teleologischen Auslegungen, gab es auch bei sprachlichen Handlungen zwei verschiedene Interpretationsmöglichkeiten: zum einen als Austausch von Information, zum anderen als Verwirklichung eines Planes.
»Ich denke, das ist eine gute Idee, Colonel«, sagte ich.
Die Zweideutigkeit meiner Worte blieb den meisten Zuhörern verborgen. Ein Insiderwitz. Bitte erwarten Sie nicht, dass ich ihn erkläre.
Obwohl ich mit Heptapod B zurechtkomme, ist mir klar, dass ich die Wirklichkeit nicht so erlebe wie ein Heptapode. Mein Bewusstsein war durch menschliche, sequenzielle Sprache geformt worden, und keine noch so intensive Auseinandersetzung mit einer fremden Sprache konnte es vollständig verändern. Mein Weltbild ist teils menschlich, teils heptapodisch.
Bevor ich gelernt habe, in Heptapod B zu denken, wuchsen meine Erinnerungen wie die Asche an der Spitze einer Zigarette, wobei das Verbrennen dem Vorgang in meinem sequenziellen Bewusstsein gleicht. Nachdem ich Heptapod B gelernt hatte, fügten sich neue Erinnerungen wie Bausteine zusammen, von denen jeder einer Zeitspanne von mehreren Jahren entsprach, und obwohl sie weder in chronologischer Reihenfolge Gestalt annahmen, noch ein zusammenhängendes Ganzes bildeten, umspannten sie bald einen Zeitraum von fünf Jahrzehnten. Das entspricht dem Zeitraum, in dem ich Heptapod B so sicher beherrsche, um in dieser Sprache zu denken, von meinen Gesprächen mit Haspel und Himbeere bis zu meinem Tod.
Der Einfluss von Heptapod B macht sich normalerweise nur bei meinem Gedächtnis bemerkbar. Mein Bewusstsein kriecht weiterhin als dünne Glutsäule vorwärts den Zeitstrom entlang, nur dass die Asche meiner Erinnerungen sich dabei in beide Richtungen erstreckt und eine Verbrennung nicht mehr wirklich stattfindet. Ab und zu allerdings, wenn Heptapod B die Oberhand gewinnt, kann ich für einen kurzen Augenblick das ganze Gefüge aus Vergangenheit und Zukunft gleichzeitig sehen. Mein Bewusstsein ist dann ein Glutstück von der Länge eines halben Jahrhunderts, das außerhalb der Zeit brennt. In diesen Momenten nehme ich die ganze Zeitspanne auf einmal wahr, eine Zeitspanne, die den Rest meines und die Gesamtheit deines Lebens umfasst.
Ich schrieb die Semagramme für »Vorgang Abschluss-machen mit-uns«, womit ich »Fangen wir an« meinte. Himbeere stimmte mir zu, und die Vorführung der Bilder begann. Wie auch auf unseren Videomonitoren erschienen auf einem zweiten Bildschirm, den die Heptapoden aufgestellt hatten, eine Folge von Semagrammen und Gleichungen.
Es war der zweite »Geschenkaustausch«, an dem ich teilnahm, insgesamt der achte und, wie ich wusste, der letzte. Viele Leute hatten sich in dem Spiegelzelt zusammengefunden. Burghart aus Fort Worth, Gary und ein Nuklearphysiker, verschiedene Biologen, Anthropologen, und Vertreter des Militärs und Diplomaten waren ebenfalls da. Gott sei Dank war eine Klimaanlage aufgestellt worden. Die Bilder der Heptapoden würden wir später auswerten, um herauszubekommen, was deren »Geschenk« war. Unser »Geschenk« war eine Darbietung der Höhlenbilder von Lascaux.
Wir drängten uns alle um den Bildschirm der Heptapoden und versuchten zu erkennen, was für eine Botschaft sie uns mit den gezeigten Darstellungen vermitteln wollten. »Erste Einschätzungen?«, fragte Colonel Weber.
»Sie schicken uns nichts zurück«, sagte Burghart. Bei einem früheren Austausch hatten die Heptapoden uns Informationen über uns selbst gezeigt, die wir ihnen übermittelt hatten. Das Außenministerium hatte wütend reagiert, aber nichts deutete darauf hin, dass es eine Beleidigung sein sollte: Wahrscheinlich bedeutete es nur, dass es bei diesen Tauschaktionen nicht auf den Handelswert ankam. Und es schloss nicht aus, dass die Heptapoden uns nicht doch noch ein heißersehntes Wunder zeigen würden, beispielsweise den Bauplan eines neuen Weltraumantriebs oder eines kalten Fusionsreaktors.
»Sieht nach anorganischer Chemie aus«, sagte der Nuklearphysiker und zeigte auf eine Gleichung, bevor sie von einem neuen Bild abgelöst wurde.
Gary nickte. »Könnte sich um Materialtechnik handeln«, sagte er.
»Möglicherweise erzielen wir endlich doch noch Ergebnisse«, sagte Colonel Weber.
»Ich würde gerne noch mehr Tierbildchen sehen«, flüsterte ich so leise, dass nur Gary mich hören konnte, und zog dazu einen Schmollmund wie ein Kind. Er grinste und stupste mich an. Aber ich wünschte mir tatsächlich, dass die Heptapoden uns eine weitere Xenobiologie-Vorführung bieten würden, so wie bei zwei früheren Treffen. Den dort gezeigten Bildern zufolge waren wir Menschen den Heptapoden ähnlicher als irgendeine der anderen Arten, denen sie bisher begegnet waren.
Auch eine weitere Vorführung zur Heptapoden-Geschichte wäre mir lieber gewesen; diese waren interessant gewesen, obwohl sie anscheinend nur unzusammenhängende Bilder gezeigt hatten. Ich wollte nicht, dass die Heptapoden uns neue Technologien übermittelten, denn mir war unwohl bei dem Gedanken, was unsere Regierung damit anstellen würde.
Während des Informationsaustausches beobachtete ich Himbeere und achtete auf ungewöhnliche Verhaltensweisen. Wie sonst auch stand er die ganze Zeit über fast reglos da. Nichts gab mir einen Hinweis darauf, was gleich geschehen würde.
Kurz darauf erschienen keine neuen Bilder mehr auf dem Schirm der Heptapoden, und dann endete auch auf unserem Monitor die Vorführung. Gary und die meisten der anderen Wissenschaftler versammelten sich um einen kleinen Videomonitor, um eine Wiederholung der Heptapoden-Darbietung zu begutachten. Ich konnte hören, wie sie sagten, dass ein Festkörperphysiker konsultiert werden sollte.
Colonel Weber wandte sich an uns. »Sie beide«, sagte er und deutete auf mich und Burghart, »vereinbaren Sie Zeit und Ort für den nächsten Austausch.« Dann schloss er sich wieder den anderen an, die den Bildschirm mit der Wiederholung studierten.
»Wird sofort erledigt«, sagte ich. »Wollen Sie die ehrenvolle Aufgabe übernehmen, oder soll ich das tun?«, fragte ich Burghart.
Ich wusste, dass Burghart Heptapod B fast genauso gut beherrschte wie ich. »Es ist Ihr Spiegelstandort«, sagte er. »Sie sind dran.«
Ich setzte mich an den Computer. »Wollen wir wetten, dass Sie als Student nicht damit gerechnet haben, mal als Übersetzer für das Militär zu arbeiten?«
»Darauf können Sie Gift nehmen«, sagte er. »Selbst jetzt kann ich es kaum glauben.« Ich hatte das Gefühl, dass alles, was wir miteinander redeten, den behutsamen, oberflächlichen Floskeln von Spionen glich, die sich, ohne ihre Tarnung gefährden zu wollen, in der Öffentlichkeit trafen.
Ich schrieb die Semagramme für »Ort Tausch-Vorgang Unterhaltung mit-uns« einschließlich einer Modulation des projektiven Aspekts.
Himbeere schrieb seine Antwort. Das war mein Stichwort, die Stirn zu runzeln, und für Burghart, um zu fragen: »Was meint er bloß damit?« Besser hätte er es nicht ausdrücken können.
Ich schrieb eine Bitte um Bestätigung, und die Antwort von Himbeere war dieselbe wie zuvor. Dann sah ich ihm nach, wie er aus dem Raum glitt. Der Vorhang, der diese Vorstellung beenden würde, würde gleich fallen.
Colonel Weber trat zu uns. »Was geht hier vor? Wo ist er hin?«
»Er sagte, dass uns die Heptapoden nun verlassen werden«, sagte ich. »Nicht nur er, sondern alle.«
»Rufen Sie ihn zurück. Fragen Sie ihn, was das heißen soll.«
»Äh, ich fürchte, dass Himbeere keinen Piepser bei sich hat«, sagte ich.