Das Abbild des Raumes im Spiegel verschwand so rasch, dass es eine Weile dauerte, bis meine Augen erkannten, was sie nun stattdessen sahen: die andere Hälfte des Zeltes. Der Spiegel war vollkommen durchsichtig geworden. Die Gespräche am Monitor, auf dem die Wiederholung lief, verstummten.
»Was zur Hölle geht hier vor?«, sagte Colonel Weber.
Gary schritt zum Spiegel hinüber und dann darum herum auf die andere Seite. Er berührte die Rückseite des Spiegels. Ich konnte die blassen Ovale erkennen, die seine Fingerspitzen auf der Scheibe bildeten. »Ich glaube«, sagte er, »wir wurden gerade Zeuge einer raumüberbrückenden Übertragung.«
Ich konnte schwere Stiefelschritte auf trockenem Gras hören. Ein Soldat mit einem riesigen Funkgerät trat durch den Zelteingang, ganz außer Atem, so schnell war er gerannt. »Colonel, eine Nachricht von ...«
Weber riss ihm das Funkgerät aus der Hand.
Ich erinnere mich, wie es sein wird, dich anzuschauen, wenn du einen Tag alt bist. Dein Vater wird kurz fort sein, um in das Café des Krankenhauses zu gehen. Du wirst in deinem Stubenwagen liegen, und ich werde mich über dich beugen.
So kurze Zeit nach der Geburt werde ich mich noch immer wie ein ausgewrungenes Handtuch fühlen. Du wirst mir unfassbar klein vorkommen, wenn ich bedenke, wie dick ich mich während der Schwangerschaft gefühlt habe. Ich könnte schwören, dass in mir Platz für jemand war, der viel größer und robuster ist als du. Deine Hände und Füße werden noch nicht pummelig, sondern lang und dünn sein. Dein Gesicht wird noch ganz rot und schrumpelig sein, deine verquollenen Augen noch zugekniffen. Die koboldhafte Phase, die der engelsgleichen vorausgeht.
Ich werde dir mit dem Finger über den Bauch streichen, die unglaubliche Zartheit deiner Haut bewundern, mich fragen, ob Seide dich wund reiben würde wie Sackleinen. Dann wirst du dich winden, deinen Körper drehen und deine Beine ausstrecken, eines nach dem anderen, und ich werde diese Bewegungen wiedererkennen, da ich sie so oft in mir gespürt habe. So sieht das also aus.
Dieser Beweis einer einzigartigen Mutter-Kind-Bindung, diese Gewissheit, dass ich dich in mir getragen habe, wird mich mit Freude erfüllen. Selbst wenn ich dich nie zuvor gesehen hätte, könnte ich dich aus einem Meer von Babys herauspicken: Die da nicht. Die da auch nicht. Moment, die da drüben ist es.
Ja, das ist sie. Sie gehört zu mir.
Der letzte »Geschenkaustausch« war zugleich der letzte Kontakt, den wir mit den Heptapoden hatten. Auf einen Schlag wurden überall auf der Welt die Spiegel durchsichtig, und die Raumschiffe der Heptapoden verließen die Umlaufbahn. Eine sich anschließende Untersuchung der Spiegel ergab, dass es sich dabei um einfache, vollkommen inaktive Scheiben aus Kieselglas handelte. Die Informationen des letzten Austausches beschrieben eine neue Art supraleitfähigen Materials, aber es stellte sich später heraus, dass ein japanisches Labor vor Kurzem zu den gleichen Ergebnissen gekommen war, es sich also um nichts Neues für die Menschheit handelte.
Wir haben nie erfahren, warum uns die Heptapoden verlassen haben, und genauso wenig wissen wir, warum sie uns überhaupt besucht oder warum sie sich so verhalten haben, wie sie es taten. Selbst mit meiner neuen Art, die Dinge zu sehen, konnte ich dafür keine Erklärung finden. Von einem simultanen Blickwinkel aus betrachtet, war das Verhalten der Heptapoden wahrscheinlich folgerichtig, aber wir haben keine Erklärung dafür gefunden.
Ich hätte gerne noch mehr über die Weltsicht der Heptapoden gewusst, hätte gerne gelernt zu empfinden, wie sie empfanden. Dann wäre ich vielleicht in der Lage gewesen, so wie sie voll und ganz in die Notwendigkeit der Ereignisse einzutauchen, statt den Rest meines Lebens nur in der Brandung herumzuwaten. Doch dazu wird es niemals kommen. Wie die anderen Linguisten der Spiegelteams werde ich mich weiterhin in den Heptapod-Sprachen üben, aber keiner von uns wird je über das Niveau hinauskommen, das er oder sie zu der Zeit erreicht hatte, als die Heptapoden bei uns waren.
Die Arbeit mit den Heptapoden hat mein Leben verändert. Ich bin deinem Vater begegnet und habe Heptapod B gelernt, und beides hat mir ermöglicht, jetzt und hier auf der Veranda im Schein des Mondes mit dir zusammenzusein. Irgendwann, in vielen Jahren, werde ich ohne deinen Vater und ohne dich sein. Alles, was mir dann von diesem Augenblick bleiben wird, ist die Heptapoden-Sprache. Und so passe ich genau auf und merke mir jede Einzelheit.
Ich habe meine Bestimmung von Anfang an gekannt und entsprechend meinen Weg gewählt. Doch was strebe ich an? Höchste Freude oder äußersten Schmerz? Werde ich ein Minimum oder ein Maximum erreichen?
Diese Gedanken gehen mir durch den Kopf, als dein Vater mich fragt: »Möchtest du ein Kind?« Und ich lächle und antworte: »Ja«, und ich löse mich aus seiner Umarmung, und wir nehmen uns bei der Hand, während wir ins Haus gehen, um miteinander zu schlafen – um dich zu zeugen.
Die Hölle ist die Abwesenheit Gottes
Dies ist die Geschichte eines Mannes namens Neil Fisk, und sie erzählt, wie er lernte, Gott zu lieben. Das Schlüsselereignis in Neils Leben war so schrecklich wie alltäglich: der Tod seiner Frau Sarah. Nachdem sie gestorben war, wurde Neil von Trauer überwältigt, einer Trauer, die nicht nur wegen ihrer Heftigkeit entsetzlich war, sondern auch, weil sie das, was er früher erlitten hatte, wiederaufleben ließ und sogar verstärkte. Sarahs Tod zwang ihn dazu, seine Beziehung zu Gott noch einmal gründlich in Augenschein zu nehmen, und so begann er eine Reise, die ihn für immer verändern sollte.
Neil war mit einer angeborenen Anomalie zur Welt gekommen, durch die seine linke Hüfte nach außen verdreht und um einige Zentimeter kürzer war als die rechte. Der medizinische Name dafür lautete Femurdysplasie oder Proximal Femoral Focus Deficiency (PFFD). Die meisten Leute, die er kannte, waren der Meinung, Gott sei für diese Deformation verantwortlich, doch Neils Mutter war während der Schwangerschaft nicht Zeuge einer Erscheinung gewesen; sein Zustand war die Folge eines fehlerhaften Gelenkwachstums in der sechsten Schwangerschaftswoche. Auch wenn Neils Mutter es niemals aussprach, gab sie doch Neils abwesendem Vater die Schuld am Zustand ihres Sohnes, denn sein Einkommen hätte vielleicht einen chirurgischen Eingriff ermöglicht, um das Problem zu beheben.
Als Kind hatte sich Neil hin und wieder gefragt, ob Gott ihn bestrafte, aber meistens machte er seine Klassenkameraden für sein Unglück verantwortlich. Ihre beiläufige Grausamkeit, ihr Gespür für die Schwachstellen im emotionellen Panzer ihres Opfers, die Art und Weise, wie ihr Sadismus ihren Zusammenhalt stärkte, waren für Neil ein typisch menschliches, kein göttliches Verhalten. Auch wenn seine Klassenkameraden bei ihren Hänseleien oftmals Gottes Namen im Munde führten, wusste Neil es besser und legte ihre Taten nicht Gott zur Last.
Obwohl Neil es vermied, Gott an allem die Schuld zu geben, gelang es ihm nicht, ihn zu lieben. Weder seine Erziehung, noch seine Persönlichkeit veranlassten ihn dazu, sich mit Gebeten an Gott zu wenden, er möge ihm Kraft geben oder seine Leiden lindern. Die verschiedenen Prüfungen, mit denen er konfrontiert wurde, während er heranwuchs, beruhten auf zufälligen oder menschlichen Ursachen, und Neil verließ sich ausschließlich auf menschliche Mittel, um ihnen zu begegnen. Er wuchs zu einem Erwachsenen heran, für den – wie für so viele andere auch – die Taten Gottes so lange etwas Abstraktes waren, bis sie sich auf sein eigenes Leben auswirkten. Engelserscheinungen waren für ihn Ereignisse, die anderen widerfuhren und ihn selbst nur in Form von Zeitungsartikeln und Abendnachrichten erreichten. Sein Leben verlief in weltlichen Bahnen. Er arbeitete als Verwalter eines Gebäudes mit Wohnungen der höheren Preisklasse, trieb die Miete ein und kümmerte sich um Reparaturen. Ansonsten war er der Meinung, dass sich die Dinge ganz ohne göttliches Eingreifen zum Guten oder Schlechten entwickelten.