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Manchmal kann auch schlechter Rat einem Menschen den richtigen Weg weisen. Und so führten die Beschuldigungen seiner Schwiegereltern Neil letztendlich näher zu Gott.

Als Janice ihre frohe Botschaft verkündete hatte, wurde sie mehr als einmal gefragt, ob sie sich je gewünscht hatte, Beine zu haben, und stets hatte sie ehrlich geantwortet, dass dem nicht so sei. Sie sei zufrieden, wie sie war. Ab und zu hatte jemand das Argument vorgebracht, dass sie nicht vermissen konnte, was sie nicht kannte, und dass es ihr anders ergangen wäre, wenn sie mit Beinen geboren worden wäre und diese dann später eingebüßt hätte. Das bestritt Janice nicht. Allerdings hatte sie aufrichtig erwidern können, dass ihr keineswegs etwas fehlte und dass sie keinen Neid gegenüber Menschen mit Beinen empfand. Keine Beine zu haben, war Teil ihrer Persönlichkeit gewesen. Sie hatte nie einen Gedanken auf Prothesen verschwendet, und wenn es ein chirurgisches Verfahren gegeben hätte, um ihr Beine zu geben, hätte sie dieses abgelehnt. Die Möglichkeit, dass Gott ihr Beine schenken könnte, war ihr nie in den Sinn gekommen.

Dass sie nun Beine hatte, führte unter anderem dazu, dass ihr Männer mehr Aufmerksamkeit entgegenbrachten. Früher hatten sich meist nur Männer mit einem Fetisch für Amputierte oder solche mit einem Märtyrerkomplex für sie interessiert. Jetzt aber schienen alle möglichen Männer sie attraktiv zu finden. Als sie bemerkte, dass sich Ethan Mead für sie interessierte, dachte sie anfänglich, dass er romantische Gefühle für sie hegte, was sie ziemlich beunruhigend fand, da er offensichtlich verheiratet war.

Ethan hatte Janice bei einem Treffen der Selbsthilfegruppe angesprochen und danach begonnen, ihre Vorträge zu besuchen. Als er sie zu einem gemeinsamen Restaurantbesuch einlud, wollte sie Näheres über seine Absichten wissen, und er legte ihr seine Theorie dar. Er konnte nicht sagen, wie ihr Schicksal mit dem seinen verbunden war, er wusste nur, dass es das war.

Sie blieb zwar skeptisch, lehnte aber seine Theorie nicht vollständig ab. Ethan gestand, dass er keine Antworten auf ihre Fragen hatte, aber bestrebt war, ihr zu helfen, welche zu finden. Vorsichtig willigte Janice ein, ihm bei seiner Sinnsuche zu helfen, und er versprach, ihr nicht zur Last zu fallen. Sie verabredeten sich regelmäßig, um sich über die Bedeutung von Engelserscheinungen auszutauschen.

Inzwischen machte sich Ethans Frau Claire immer mehr Sorgen. Ethan versicherte ihr, dass er gegenüber Janice keine romantischen Gefühle hegte, was Claire jedoch keineswegs beruhigte. Ihr war klar, dass außergewöhnliche Umstände zwei Personen einander näher bringen konnten, und sie befürchtete, dass Ethans Beziehung zu Janice – sei sie nun romantisch oder nicht – ihre Ehe gefährden würde.

Ethan bot Janice an, ihr mit seiner Erfahrung als Bibliothekar zu helfen. Beide hatten noch nie davon gehört, dass Gott etwas, das er einem Menschen bei einer Erscheinung geschenkt hatte, bei einer zweiten Erscheinung wieder genommen hatte. Ethan suchte nach früheren Vorkommnissen dieser Art, in der Hoffnung, dadurch besser verstehen zu können, was Janice widerfahren war. In einigen Fällen waren Personen im Laufe ihres Lebens mehrmals Wunderheilungen beschieden worden, doch deren Krankheiten oder Behinderungen waren immer natürlichen Ursprungs gewesen und nicht Folge einer Erscheinung. Sie stießen nur auf eine unbestätigte Anekdote über einen Mann, der wegen seiner Sünden mit Blindheit geschlagen worden war, und dem, nachdem er sein Leben geändert hatte, sein Augenlicht wieder geschenkt worden war.

Selbst wenn dieser Bericht ein Fünkchen Wahrheit enthielt, stellte er keinen brauchbaren Präzedenzfall dar, denn Janices Beine waren ihr vor ihrer Geburt genommen worden, es konnte sich dabei also nicht um eine Strafe für etwas handeln, das sie getan hatte. War es möglich, dass Janices Zustand eine Strafe für etwas war, das ihre Mutter oder ihr Vater getan hatte? Und konnte es sein, dass die Wiederherstellung ihrer Beine ein Zeichen dafür war, dass ihre Eltern ihre Heilung schließlich verdient hatten? Dieser Gedanke überzeugte Janice nicht.

Eine Vision ihrer verstorbenen Verwandten hätte Janice Gewissheit über die Wiederherstellung ihrer Beine bringen können. Aber es gab keine Vision, und so vermutete sie, dass etwas nicht stimmte, obwohl sie nicht glauben mochte, dass sie bestraft worden war. Vielleicht war alles nur ein Irrtum, und ihr war ein Wunder widerfahren, das für jemand anderen bestimmt gewesen war. Vielleicht war es auch nur eine Prüfung, um herauszufinden, wie sie reagieren würde, wenn ihr zu viel zuteil wurde. Jedenfalls schien es nur einen Ausweg zu geben: Sie würde mit größtmöglicher Dankbarkeit und Demut anbieten, das Geschenk zurückzugeben. Um das zu tun, würde sie sich auf eine Wallfahrt begeben.

Wallfahrer reisten weite Strecken, um heilige Stätten aufzusuchen und dort auf eine Erscheinung zu warten, in der Hoffnung, durch ein Wunder geheilt zu werden. Während man fast überall auf der Welt ein Leben lang vergeblich auf eine Erscheinung warten konnte, dauerte es an einem heiligen Ort vielleicht nur Monate, manchmal nur Wochen. Die Pilger wussten, dass die Chancen auf eine Wunderheilung trotzdem gering waren. Von denen, die lange genug an einer heiligen Stätte ausharrten, um Zeuge einer Erscheinung zu werden, wurden die meisten dennoch nicht geheilt. Doch allein schon einen Engel gesehen zu haben, machte sie glücklicher. Gestärkt kehrten sie nach Hause zurück und traten gefasst ihrem Schicksal entgegen, gleichgültig, ob es sich dabei um ihren bevorstehenden Tod oder um das Leben mit einer Behinderung handelte. Da bei jeder Engelserscheinung unweigerlich einige Wallfahrer verunglückten, wussten die Überlebenden fürderhin ihr Leben mehr zu schätzen.

Janice war bereit zu akzeptieren, was auch immer geschehen mochte. Wenn Gott meinte, es sei für sie an der Zeit zu sterben, dann sollte es so sein. Wenn Gott ihr die Beine wieder nahm, dann würde sie wie zuvor ihrer Mission nachgehen. Und falls Gott ihr ihre Beine ließ, erhoffte sie sich eine Eingebung, damit sie mit Überzeugung von dem Wunder berichten konnte, das ihr widerfahren war.

Janice wünschte sich jedoch, dass ihre Wunderheilung rückgängig gemacht und jemand mit ihr bedacht würde, der ihrer wirklich bedurfte. Allerdings bat sie auch niemanden, sie zu begleiten, damit das Wunder, das sie rückgängig machen wollte, auf diese Person übergehen würde, denn das hielt sie für vermessen. Aber im Stillen betrachtete sie ihre Wallfahrt als Bitte im Namen derer, die Hilfe dringend nötig hatten.

Janices Entscheidung verstörte ihre Freunde und ihre Familie, denn sie hatten den Eindruck, Janice würde Gott infrage stellen. Als sich herumsprach, was sie vorhatte, erhielt sie viele Briefe von Zuhörern, die ihrer Bestürzung, Verblüffung und Bewunderung darüber Ausdruck verliehen, dass sie Willens war, solch ein Opfer zu bringen.

Ethan stand voll und ganz hinter Janices Entscheidung und war deshalb selbst ganz aufgeregt. Er verstand nun, was für eine Bedeutung Rashiels Erscheinung für ihn hatte: Für ihn war nun die Zeit gekommen zu handeln. Sein Frau Claire war vehement dagegen, dass er sich auf den Weg machte, vor allem, weil sie keine Ahnung hatte, wie lange er fortbleiben würde, und weil sie und die Kinder ihn ebenfalls brauchten. Doch auch wenn es ihn schmerzte, ohne ihre Zustimmung aufzubrechen, blieb ihm keine andere Wahl. Ethan wollte eine Pilgerfahrt antreten, und die nächste Erscheinung würde ihm offenbaren, was Gott mit ihm vorhatte.

Der Besuch bei Sarahs Eltern veranlasste Neil, noch einmal über seine Unterhaltung mit Benny Vasquez nachzudenken. Obwohl er nicht viel mit Bennys Worten anzufangen wusste, hatte ihn Bennys unerschütterlicher Glaube beeindruckt. Egal, welches Missgeschick ihm auch in Zukunft zustoßen mochte, Bennys Liebe zu Gott würde niemals wanken, und wenn er sterben sollte, würde er in den Himmel aufsteigen. Dieser Umstand lenkte Neils Aufmerksamkeit auf eine Möglichkeit, die er bisher nicht in Betracht gezogen hatte, weil sie ihm zu riskant erschien, die er aber nun, da seine Verzweiflung immer schlimmer wurde, für zweckmäßig hielt.