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Dabei stieß ich auf eine seltsame Erscheinung«, fuhr er fort, »etwas, das völlig neu für mich war, das aber praktisch allgegenwärtig zu sein schien: In fast allen Schatten, durch die ich kam, befand sich eine seltsame schwarze Straße. Ich begriff dieses Phänomen nicht, da es sich aber um das einzige mir bekannte Ding handelte, das die Schatten selbst zu durchqueren schien, war meine Neugier geweckt. Ich beschloß ihr zu folgen und mehr darüber zu erfahren. Die Straße war gefährlich. Ich lernte bald, daß ich sie nicht betreten durfte. Seltsame Gestalten schienen sich des Nachts darauf zu bewegen. Normale Lebewesen, die sich darauf verirrten, wurden krank und verendeten. Ich war also vorsichtig und ging nicht näher heran, als erforderlich war, um sie im Auge zubehalten. So folgte ich ihr durch viele Welten. Dabei wurde mir bald bewußt, daß sie überall Tod, Elend oder Unruhe verbreitete. Ich wußte nicht, was ich davon halten sollte.

Ich war noch immer geschwächt von meiner Wunde«, setzte er seinen Bericht fort, »und beging den Fehler, mich zu übernehmen: Es kam der Tag, da ich zu weit und zu schnell ritt. An jenem Abend erkrankte ich und lag zitternd in meiner Decke – während der Nacht und fast den ganzen nächsten Tag. In dieser Zeit rutschte ich immer wieder ins Delirium und weiß daher nicht genau, wann sie auftauchte. Sie schien mir damals irgendwie zu meinem Traum zu gehören. Ein junges Mädchen. Hübsch. Sie kümmerte sich um mich, während ich langsam wieder zu Kräften kam. Sie hieß Dara. Wir unterhielten uns lange. Es war alles sehr angenehm. Jemanden zu haben, mit dem man so sprechen konnte . . . Ich muß ihr meine ganze Lebensgeschichte erzählt haben. Anschließend berichtete sie mir von sich. Sie stammte nicht aus der Gegend, in der ich krank geworden war. Sie sagte, sie sei durch die Schatten angereist. Sie vermochte sie noch nicht zu durchschreiten, wie wir es tun, wenn sie auch der Meinung war, sie könne es eines Tages lernen, denn sie behauptete, sie sei durch Benedict mit dem Haus von Amber verwandt. Sie war besonders interessiert, das Schattenwandern zu lernen. Damals reiste sie über die schwarze Straße durch die Schatten. Ihren üblen Einflüssen gegenüber sei sie immun, sagte sie, denn sie sei zugleich mit den Bewohnern am anderen Ende verwandt, mit den Wesen der Höfe des Chaos. Sie wollte jedoch unsere Methoden kennenlernen, und ich gab mir große Mühe, sie so weit zu unterrichten, wie ich selbst Bescheid wußte. Ich erzählte ihr vom Muster und zeichnete es ihr sogar auf. Ich zeigte ihr meine Trümpfe – Benedict hatte mir ein Spiel gegeben –, damit sie wußte, wie ihre anderen Verwandten aussahen. Dabei interessierte sie sich besonders für dein Bild.«

»Ich beginne langsam zu verstehen«, sagte ich. »Sprich weiter.«

»Sie erzählte mir, Amber habe durch das Ausmaß seiner Korruption und durch seine Anmaßung das metaphysische Gleichgewicht zwischen sich selbst und den Höfen des Chaos gestört. Ihre Leute hätten nun die Aufgabe, dies zu korrigieren, indem sie Amber vernichteten. Ihre Heimat ist kein Schatten Ambers, sondern eine eigenständige solide Welt. Unterdessen haben all die dazwischenliegenden Schatten infolge der schwarzen Straße einiges zu erleiden. Da meine Kenntnisse über Amber denkbar beschränkt waren, konnte ich ihr nur zuhören. Zuerst akzeptierte ich alles, was sie sagte. Brand jedenfalls schien mir ihrer Beschreibung böser Mächte in Amber durchaus zu entsprechen. Aber als ich ihn erwähnte, widersprach sie mir. In ihrer Heimat war er offenbar eine Art Held. Sie kannte die Einzelheiten nicht, machte sich aber auch keine großen Sorgen darum. Erst jetzt ging mir auf, wie selbstbewußt sie in jeder Hinsicht war – wenn sie sprach, hatte ihre Stimme einen geradezu fanatischen Klang. Fast gegen meinen Willen versuchte ich Amber zu verteidigen. Ich dachte an Llewella und Benedict – und an Gérard, den ich einige Male gesehen hatte. Dabei stellte ich fest, daß sie sich sehr für Benedict interessierte – er war gewissermaßen ihre schwache Stelle. Über ihn hatte ich nun einige Kenntnisse zu vermitteln, und in seinem Falle war sie bereit, die guten Dinge zu glauben, die ich äußerte. Ich weiß natürlich nicht, was all das Gerede letztlich bewirkt hat, außer daß sie zum Schluß nicht mehr ganz so selbstsicher zu sein schien . . .«

»Zum Schluß?« fragte ich. »Was soll das heißen? Wie lange war sie denn bei dir?«

»Fast eine Woche«, antwortete er. »Sie sagte, sie wolle sich um mich kümmern, bis ich wieder gesund sei – und das tat sie auch. Sie blieb sogar einige Tage länger. Sie sagte, sie wolle nur ganz sicher gehen, doch in Wirklichkeit wollte sie wohl unser Gespräch fortsetzen. Dann verkündete sie aber doch, sie müsse weiter. Ich bat sie, bei mir zu bleiben, doch sie lehnte ab. Ich bot ihr an, sie zu begleiten, aber auch das war ihr nicht recht. Dann muß sie erkannt haben, daß ich ihr folgen wollte, denn sie schlich sich während der Nacht davon. Ich konnte nicht auf der schwarzen Straße reiten und hatte keine Ahnung, welchen Schatten sie auf ihrem Wege nach Amber als nächsten aufsuchen würde. Als ich am nächsten Morgen erwachte und erkannte, daß sie fort war, spielte ich eine Zeitlang mit dem Gedanken, selbst nach Amber zu gehen. Aber ich hatte noch immer Angst. Möglicherweise hatten einige der Dinge, die sie mir erzählt hatte, meine Befürchtungen wieder aufleben lassen. Wie dem auch sein mag – jedenfalls beschloß ich, in den Schatten zu bleiben. Ich ritt weiter, sah mich um, versuchte zu lernen – bis Random mich fand und mir sagte, ich solle nach Hause kommen. Doch zuerst brachte er mich hierher, damit ich dich kennenlernte; er wollte, daß du vor allen anderen meine Geschichte hörtest. Ich hoffe, ich habe dir helfen können.«

»Ja«, sagte ich. »Vielen Dank.«

»Wie ich gehört habe, hat sie das Muster dann doch beschritten.«

»Ja, das hat sie geschafft.«

»Und hinterher hat sie sich als Feindin Ambers zu erkennen gegeben.«

»Auch das.«

»Ich hoffe«, sagte er, »daß sie das alles ohne Schaden übersteht. Sie war nett zu mir.«

»Sie scheint durchaus in der Lage zu sein, auf sich aufzupassen«, sagte ich. »Aber . . . ja, sie ist ein liebenswertes Mädchen. Ich kann dir keine Versprechungen hinsichtlich ihrer Sicherheit machen, da ich im Grunde noch zu wenig über sie weiß, auch über ihre Rolle bei den Ereignissen. Dein Bericht hat mir jedenfalls geholfen . . . Er läßt sie als ein Mensch erscheinen, dem ich noch immer so weit wie möglich entgegenkommen würde.«

Er lächelte.

»Das freut mich zu hören.«

Ich zuckte die Achseln.

»Was hast du jetzt vor?« fragte ich.

»Ich bringe ihn zu Vialle«, sagte Random. »Später will ich ihn den anderen vorstellen, je nach Zeit und Gelegenheit. Es sei denn, es hat sich etwas ergeben und du brauchst mich sofort.«

»Es hat sich in der Tat etwas ergeben«, sagte ich, »aber ich brauche dich trotzdem nicht. Allerdings sollte ich dich informieren. Ich habe noch ein bißchen Zeit.«

Während ich Random die Ereignisse seit seiner Abreise schilderte, dachte ich über Martin nach. Soweit es mich betraf, war er noch immer eine unbekannte Größe. Seine Geschichte mochte stimmen – ich hatte sogar das Gefühl, daß sie der Wahrheit entsprach. Andererseits ahnte ich, daß sie nicht vollständig war, daß er absichtlich etwas ausgelassen hatte. Vielleicht etwas Harmloses. Vielleicht aber auch nicht. Eigentlich hatte er keinen Grund, uns zu lieben. Ganz im Gegenteil. Mit ihm mochte Random ein Trojanisches Pferd nach Amber bringen. Wahrscheinlich sah ich nur Gespenster. Es ist nur leider so, daß ich niemandem traue, solange es noch eine Alternative gibt.

Jedenfalls konnte nichts von den Dingen, die ich Random erzählte, gegen uns verwendet werden, und ich bezweifelte doch sehr, daß Martin uns großen Schaden zufügen konnte, wenn er es darauf anlegte. Nein, wahrscheinlich war er nur ebenso vorsichtig wie wir alle, und aus etwa denselben Gründen: Angst und .Selbsterhaltungstrieb bestimmten sein Handeln. Einer plötzlichen Eingebung folgend, fragte ich ihn: »Bist du hinterher noch einmal mit Dara zusammengekommen?«