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Als ich Randoms Bericht hörte, hatte ich noch keine Ahnung von den beiden konkurrierenden Gruppen und ihren Machenschaften. Ich kam zu dem Schluß, daß, wenn Brand noch lebte, seine Rettung von größter Wichtigkeit war, allein schon wegen der Tatsache, daß er offenbar Informationen besaß, die irgend jemand nicht weiter verbreitet wissen wollte. Ich entwickelte einen Plan, dieses Ziel zu erreichen, einen Plan, dessen Verwirklichung nur so lange zurückgestellt wurde, wie Gérard und ich brauchten, um Caines Leiche nach Amber zurückzubringen. Ein Teil dieser Zeit wurde von Gérard dazu benutzt, mich bewußtlos zu schlagen, für den Fall, daß ich seine Kräfte vergessen haben sollte; auf diese Weise wollte er seine Worte unterstreichen, wonach er mich persönlich zu töten gedachte, wenn es sich herausstellte, daß ich hinter Ambers augenblicklichen Schwierigkeiten steckte. Dieser Kampf war zugleich die exklusivste Fernsehübertragung, von der ich weiß: Durch Gérards Trumpf nahm die ganze Familie daran teil – zur Sicherheit, sollte ich tatsächlich der Übeltäter sein und mit dem Gedanken spielen, Gérards Namen wegen seiner Drohung von der Liste der Lebenden zu tilgen. Anschließend suchten wir das Einhornwäldchen auf und luden Caines Leiche aufs Pferd. Dabei erhaschten wir einen kurzen Blick auf das legendäre Einhorn von Amber.

Am Abend kamen wir in der Bibliothek des Palasts von Amber zusammen – Random, Gérard, Benedict, Julian, Deirdre, Fiona, Flora, Llewella und ich. In diesem Kreise probierte ich meinen Plan aus, der uns zu Brand führen sollte: Zu neunt wollten wir versuchen, ihn über seinen Trumpf zu erreichen. Das Experiment hatte Erfolg.

Wir setzten uns mit ihm in Verbindung und konnten ihn tatsächlich nach Amber zurückholen. Mitten im größten Gedränge, als Gérard ihn gerade durch den Trumpf zu uns brachte, stieß jemand Brand einen Dolch in die Seite. Gérard ernannte sich sofort zum verantwortlichen Arzt und räumte das Zimmer.

Wir übrigen zogen uns in ein Wohnzimmer im Erdgeschoß zurück, um dort die Ereignisse weiter durchzusprechen. Dabei teilte mir Fiona mit, daß das Juwel des Geschicks bei längerem Tragen eine Gefahr darstellen konnte; sie deutete sogar an, daß vielleicht weniger die Wunden für Erics Tod verantwortlich gewesen waren als das Juwel. Einer der ersten Vorboten der Gefahr war nach ihrer Auffassung eine Verzerrung des Zeitgefühls – eine scheinbare Verlangsamung des zeitlichen Ablaufs, welche in Wirklichkeit eine Beschleunigung der physiologischen Vorgänge des Trägers des Juwels darstellte. Ich faßte den Entschluß, mit dem Juwel künftig vorsichtiger umzugehen, da Fiona in solchen Dingen beschlagener war als wir übrigen, war sie doch einmal Dworkins gelehrigste Schülerin gewesen.

Vielleicht hatte sie sogar recht. Vielleicht stellte sich dieser Effekt tatsächlich kurze Zeit darauf ein, als ich in mein Quartier zurückkehrte. Jedenfalls hatte ich den Eindruck, daß sich die Person, die mich umzubringen versuchte, ein wenig langsamer bewegte, als ich es in einer ähnlichen Lage getan hätte. Die Klinge traf mich an der Seite, und die Welt versank.

Schlimm blutend erwachte ich im Bett meines alten Hauses auf der Schatten-Erde, wo ich lange Zeit als Carl Corey gelebt hatte. Wie ich dorthin gekommen war, wußte ich nicht. Ich kroch ins Freie und geriet in einen Schneesturm. Ich klammerte mich verzweifelt an das Bewußtsein und versteckte das Juwel des Geschicks in meinem alten Komposthaufen, denn die Welt ringsum schien sich tatsächlich zu verlangsamen. Dann schaffte ich es bis zur Straße und versuchte einen vorbeifahrenden Autofahrer anzuhalten.

Schließlich wurde ich von meinem Freund und ehemaligen Nachbarn Bill Roth gefunden und in das nächste Krankenhaus gebracht. Dort behandelte mich derselbe Arzt, der unmittelbar nach dem Unfall vor vielen Jahren meine Wunden versorgt hatte. Er hielt mich für einen psychiatrischen Fall, da die alten Unterlagen noch immer den damals vorgetäuschten Stand der Dinge wiedergaben.

Doch später kam Bill und stellte alles richtig. Als Rechtsanwalt hatte er sich damals für mein seltsames Verschwinden interessiert und umfangreiche Nachforschungen angestellt. Dabei hatte er von dem falschen psychiatrischen Gutachten und meiner Flucht erfahren. Er besaß sogar Unterlagen über diese Dinge und den Unfall. Noch immer hatte er das Gefühl, daß irgend etwas nicht mit mir stimmte, daß ich irgendwie seltsam war, doch im Grunde störte ihn das nicht besonders.

Später setzte sich Random über meinen Trumpf mit mir in Verbindung und teilte mit, Brand sei zu Bewußtsein gekommen und wolle mich sprechen. Mit Randoms Hilfe kehrte ich nach Amber zurück. Ich suchte Brand auf. In diesem Gespräch erfuhr ich Details über den Machtkampf, der rings um mich getobt hatte, und über die Identität der Beteiligten. Sein Bericht zusammen mit den Dingen, die Bill mir auf der Schatten-Erde eröffnet hatte, brachte endlich ein wenig Sinn und Klarheit in die Ereignisse der letzten Jahre. Zugleich gab mir Brand näheren Aufschluß über die Beschaffenheit der Gefahren, denen wir uns im Augenblick gegenübersahen.

Am nächsten Tag unternahm ich gar nichts, sondern gab vor, mich auf einen Besuch in Tir-na Nog´th vorzubereiten; in Wirklichkeit wollte ich nur Zeit gewinnen, um mich noch von meiner Verletzung zu erholen. Dem Vorwand mußte allerdings Glaubwürdigkeit verschafft werden. So reiste ich dann tatsächlich an jenem Abend in die Stadt am Himmel und stieß dort auf eine verwirrende Sammlung von Zeichen und Symbolen, die wahrscheinlich nichts bedeuteten, und nahm dabei dem Gespenst meines Bruders Benedict einen seltsamen künstlichen Arm ab.

Von diesem Ausflug in himmlische Höhen zurückgekehrt, frühstückte ich mit Random und Ganelon, ehe wir über den Kolvir nach Hause zurückreiten wollten. Langsam und rätselhaft begann sich der Weg rings um uns zu verändern. Es war, als schritten wir durch die Schatten, was in solcher Nähe zu Amber geradezu unmöglich war. Als wir zu diesem Schluß gelangt waren, versuchten wir unseren Kurs zu ändern, doch Random und ich waren nicht in der Lage, einen Szenenwechsel vorzunehmen. Etwa um diese Zeit tauchte das Einhorn auf. Es schien uns aufzufordern, ihm zu folgen – und wir gehorchten.

Es hatte uns durch eine kaleidoskopartige Fülle von Veränderungen geführt, bis wir schließlich diesen Ort erreichten, an dem es uns wieder allein ließ. Während mir dieser gewaltige Reigen der Ereignisse durch den Kopf ging, arbeitete mein Verstand an der Schwelle zum Unterbewußtsein weiter und kehrte nun zu den Worten zurück, die Random soeben gesagt hatte. Ich hatte das Gefühl, ihm wieder ein Stück voraus zu sein. Wie lange dieser Zustand andauern mochte, wußte ich nicht, doch war mir nun klar, wo ich schon einmal Darstellungen von der Hand gesehen hatte, die den durchstochenen Trumpf geschaffen hatte.

Wenn er eine seiner melancholischen Perioden durchmachte, hatte Brand oft zum Pinsel gegriffen; und als ich mir die vielen Leinwände vorstellte, die er bepinselt hatte, erinnerte ich mich an seine Lieblingstechniken. Dazu seine Jahre zurückliegende Kampagne, Erinnerungen und Beschreibungen aller Leute zu sammeln, die Martin gekannt hatten. Random hatte seinen Stil noch nicht erkannt, doch ich fragte mich, wie lange es dauern mochte, bis er wie ich über die möglichen Ziele von Brands Informationssuche nachzudenken begann. Selbst wenn seine Hand die Klinge nicht selbst geführt hatte, war Brand doch in die Angelegenheit verstrickt, denn von ihm kam das Werkzeug zu dieser Tat. Ich kannte Random gut genug, um zu wissen, daß die eben geäußerten Worte ernst gemeint waren. Er würde versuchen, Brand zu töten, sobald ihm die Verbindung aufging. Eine mehr als unangenehme Sache.

Dabei ging es mir nicht darum, daß Brand mir wahrscheinlich das Leben gerettet hatte. Ich bildete mir ein, meine Schuld bei ihm beglichen zu haben, als ich ihn aus dem Turm rettete. Nein. Nicht Schuld oder Gefühl veranlaßte mich, nach einer Möglichkeit zu suchen, Random in die Irre zu führen oder von voreiligen Schritten abzuhalten. Es war vielmehr die nüchterne Überlegung, daß ich Brand brauchte. Dafür hatte er gesorgt. Daß ich ihn jetzt rettete, hatte einen Grund, der nicht weniger altruistisch war als die Motive, die ihn bewegt hatten, als er mich aus dem See zog. Er besaß etwas, dessen ich jetzt bedurfte: Informationen. Er hatte dies sofort erkannt und setzte mich geschickt auf kleine Rationen: sein Beitrag zur Gewerkschaft des Lebens.