Выбрать главу

Das andere Mädchen verströmte eine vertraute rastlose Erregung und Neugier, mit einem Unterton von Ärger – alt und auf jemand anderen gerichtet, also galt er höchstwahrscheinlich ihrem Vater.

– Nimm etwas von meiner Macht, erklang Nakis Stimme am Rand von Lilias Wahrnehmung.

Ein Blitz aus Magie sprang durch die Bresche in Nakis Barriere. Sofort verstand Lilia, wie einfach es sein würde, durch die Bresche zu greifen und diese Energie in sich selbst hineinzuziehen. Aber sie wollte es nicht tun und brauchte es auch nicht zu tun. Also zog sie sich aus Nakis Präsenz zurück und öffnete die Augen.

»Ich denke, es hat funktioniert. Nur dass … es ist zu einfach.« Sie runzelte die Stirn. »Ich kann es unmöglich richtig machen.«

Ein Finger zeichnete ein träges Muster auf ihren Arm und ihre Hand. Sie schaute hinab und blickte dann zu Naki auf. In den Augen des Mädchens brannte eifrige Erwartung. »Lass mich es versuchen.« Sie bedachte Lilia mit einem vielsagenden Blick. »Wir machen das zusammen.«

Eine Welle der Zuneigung stieg in Lilia auf. Sie ergriff das kleine Messer, biss die Zähne zusammen und fuhr sich dann damit über die Rückseite ihres Arms. Naki strahlte sie an, dann berührte sie sanft die Schnittwunde. Als sie die Augen schloss, tat Lilia das Gleiche und fragte sich, wie es sich anfühlen würde, diejenige zu sein, deren Barriere durchbrochen wurde.

Diesmal stellte sich ihr Bewusstsein sofort auf die neue Aufgabe ein. Die Bresche in ihrer natürlichen Barriere war leicht aufzuspüren; sie weckte ein Gefühl von Dringlichkeit, das sie verärgerte. Plötzlich spürte sie wieder Nakis Präsenz, aber diesmal nahm sie nichts von ihren Gefühlen wahr.

Eine seltsame Schwäche, wie die Losgelöstheit von aller Willenskraft, die Feuel mit sich brachte, überkam sie, und sie spürte, wie Energie aus ihr herausfloss.

Doch so schnell es begonnen hatte, hörte es wieder auf. Naki ließ ihren Arm los, und Lilia zog ihr Bewusstsein zurück in die körperliche Welt. Ihre Freundin runzelte kopfschüttelnd die Stirn.

»Ich glaube nicht, dass es funktioniert hat.«

»Nein?«, fragte Lilia überrascht. »Ich bin mir sicher, dass ich gespürt habe, wie du Macht von mir genommen hast.«

Naki schüttelte abermals den Kopf. Sie verzog die Lippen zu einem Schmollmund, ging zu ihrem Sessel hinüber und warf sich hinein. »Ich konnte nichts spüren. Nicht die Bresche in deiner Barriere. Nicht dich.« Sie seufzte. »All die Jahre, in denen ich es ausprobieren wollte … und jetzt, da ich jemanden habe, dem ich genug vertraue, um es zu versuchen, funktioniert es nicht …«

»Nun, wenn es so einfach wäre, wäre es möglich, es aus einem Buch zu lernen. Wenn du willst, können wir es noch einmal versuchen«, bot Lilia an.

Naki schüttelte den Kopf. Sie betrachtete verdrossen das Kohlebecken, dann benutzte sie ein wenig Magie, um es zu öffnen und den brennenden Inhalt zu löschen. Einen Moment später stand sie auf und verstaute das Kohlebecken.

»Lass uns ins Bett gehen.«

Voller Erleichterung, da sie langsam den Schwindel und den Kopfschmerz verspürte, die bedeuteten, dass sie ein wenig zu viel Feuel gehabt hatte, stand Lilia auf und folgte ihrer Freundin aus der Bibliothek. Naki ging an ihrem Schlafzimmer vorbei und trat in das Gästezimmer, in dem Lilia schlief, wenn sie bei ihr übernachtete. Sie hielt schnurstracks auf eine kunstvoll geschnitzte Truhe zu, wühlte unter einigen Bündeln und förderte eine Flasche Wein zutage.

»Durst?«

Lilia zögerte, dann nickte sie. Obwohl sich ihr Kopf bereits von dem Feuel ein wenig drehte, hatte sie großen Durst. Naki öffnete die Flasche und hob sie an die Lippen. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, grinste sie und reichte Lilia die Flasche, deren Inhalt umherschwappte. »Hier in diesem Zimmer gibt es keine Gläser. Vater hat Wein und Feuel verboten, aber ich habe Freunde unter den Dienern.«

Lilia nahm einen unbeholfenen Schluck aus der Flasche. Mit einem Seufzer warf Naki sich auf das Bett. Als Lilia ihr die Flasche zurückgeben wollte, machte sie eine abwehrende Handbewegung.

»Er ist nicht mein richtiger Vater«, murmelte sie. »Mutter hat ihn geheiratet, nachdem mein richtiger Vater gestorben war. Nach ihrem Tod bekam Leiden alles, was sie hatte, mich eingeschlossen. Wir haben einander nie gemocht. Er wird mich verheiraten, sobald ich meinen Abschluss habe, an den ersten Mann, der fragt, nur um mich loszuwerden.« Sie seufzte abermals.

Lilia stellte die Flasche beiseite und legte sich neben ihre Freundin. »Das ist ja schrecklich.« Der Gedanke, dass Naki an einen Mann verheiratet werden würde, den sie offensichtlich niemals begehren würde, tat Lilia bis in die Seele weh. Wenn er es tut, nachdem sie ihren Abschluss gemacht hat … das ist nur noch ein halbes Jahr! Würden sie einander dann noch sehen können? Konnten sie ihre Liebe geheim halten?

»Ich wünschte, er wäre tot«, flüsterte Naki. Sie drehte den Kopf, um Lilia anzusehen. »Du hast gesagt, du würdest alles für mich tun. Würdest du ihn töten, wenn ich dich darum bäte?«

Lilia lächelte und zuckte die Achseln. Der Wein stieg ihr zu Kopf, und sie hatte keine Energie für eine Antwort. Es muss eine andere Möglichkeit geben, Nakis Probleme zu lösen. Mord ist ein wenig extrem. Aber was war, wenn es keine andere Möglichkeit gab? Könnte ich schwarze Magie benutzen und es verbergen? Es wie einen Unfall aussehen lassen? Naki murmelte etwas, aber die Worte waren weit entfernt, und es hätte sie zu große Konzentration gekostet, um sie zu verstehen.

Den Kopf voller dunkler Gedanken glitt Lilia in seltsame, lebhafte Träume, in denen sie Naki all ihrer Probleme entledigte und sie ein Leben voller Liebe und Geheimnisse führten, in einem Haus mit Treppen und versteckten Türen und Schränken voller frustrierend rätselhafter Bücher.

11

Ein Missverständnis

Als die Kutsche vor dem Turm vorfuhr, lächelte Sonea schief.

Es hatte sich als schwierig erwiesen, ein passendes Gefängnis für Lorandra zu finden. Die städtische Wache hatte Einwände dagegen erhoben, eine Magierin in ihrem Gefängnis aufzunehmen – selbst eine, deren Kräfte blockiert worden waren. Auf dem Gelände der Gilde gab es kein Gefängnis, und im Magierquartier war kein Platz für sie – und selbst wenn dort Platz gewesen wäre, Sonea bezweifelte, dass die dort lebenden Magier glücklich darüber gewesen wären, Lorandra als Nachbarin zu haben. Man hatte kurz die Dienstbotenquartiere in Erwägung gezogen, aber sie waren noch überfüllter – etwas, worum man sich bald kümmern sollte, hatte Osen bemerkt. Der Vorschlag, Lorandra auf Dauer in der Kuppel zu lassen, wurde nur im Scherz gemacht.

Die vorübergehende Lösung bestand darin, den Ausguck als Gefängnis zu benutzen. Der Wiederaufbau des Turms hatte auf Akkarins Vorschlag hin vor der Invasion der Ichani begonnen. Danach war er fertiggestellt worden, und einige Alchemisten hatten ihn für ein paar kurze Jahre benutzt, um das Wetter zu studieren. Schließlich lieh man ihn der Wache für Trainingszwecke, unter der Auflage, dass er gewartet wurde und stets besetzt sein würde.

Obwohl die Wache klargemacht hatte, dass sie Lorandra in ihrem Gefängnis nicht wollte, hatte sie deren Bewachung im Ausguck bereitwillig übernommen. Also war es eindeutig nicht die Tatsache, dass Lorandra eine Magierin war, was der Wache zu schaffen machte. Es leuchtete ihr ein, dass eine Bewachung des Turms, sollte Skellin eine Rettungsmission anstreben, einfacher sein würde als die des städtischen Gefängnisses. Sonea wusste, dass das Problem der Bestechlichkeit unter den Wachen schon früher dazu geführt hatte, dass Gefangene entkommen waren. Die Gefahr, dass sie Lorandra freiließen, war geringer, wenn sie von einer kleineren Gruppe bewacht wurde, von Männern, die sorgfältig aufgrund ihrer Loyalität und Vertrauenswürdigkeit ausgewählt wurden.