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Oder vielleicht weiß die Wache auch, dass die Gilde weiterhin einen Magier abstellen wird, um Lorandra zu bewachen. Wie lange würden Magier sich bereitfinden, die Frau zu bewachen, wenn sie es in dem schmutzigen, unangenehmen städtischen Gefängnis tun müssten?

Nachdem Sonea aus der Kutsche gestiegen war, blickte sie zu dem Gebäude auf, und ein kleiner Stich der Traurigkeit durchzuckte sie. Hätte es dich gefreut, dass wir den Turm fertiggestellt haben, Akkarin?, dachte sie. Oder war er nur als Ablenkung gedacht, um die Aufmerksamkeit der Gilde von dir fernzuhalten, wie manche es glauben?

Es war ein schlichtes Gebäude, nur ein runder Turm, der doppelt so hoch war wie die ihn umgebenden Bäume. Die Mauern waren glatt, die Fenster klein – das erinnerte sie an das Fort mit seinen Mauern aus magisch gebundenem Stein und seinen winzigen Fenstern. Rund um den Turm waren Wachen postiert. Eine von ihnen, die neben der schweren Holztür stand, verbeugte sich, als sie näher kam, und öffnete ihr die Tür.

Sie trat in einen großen, von mehreren kleinen Lampen erhellten Raum. Zwei weitere Wachen und ihr Hauptmann erhoben sich und verneigten sich. Sie hatten zusammen mit einem jungen Krieger, der Sonea respektvoll zunickte, an einem Tisch gesessen.

Der Hauptmann trat vor und verneigte sich abermals.

»Schwarzmagierin Sonea. Ich bin Hauptmann Sotin«, sagte er.

»Ich bin hier, um die Gefangene zu sprechen«, erklärte sie.

»Folgt mir.«

Er führte sie eine Wendeltreppe hinauf und blieb vor einer Holztür stehen, in die man jüngst eine kleine Luke geschnitten hatte. Nachdem er die Luke geöffnet hatte, bedeutete er ihr hindurchzuschauen. Sie sah ein Bett und einen Schreibtisch und eine vertraute alte Frau mit rötlicher Haut, die auf einem Stuhl saß. Lorandras Aufmerksamkeit war auf etwas in ihren Händen gerichtet.

»Schwarzmagierin Sonea ist hier, um Euch zu sprechen«, verkündete der Hauptmann, dessen Stimme laut in Soneas Ohren klang.

Die Frau schaute auf und starrte, ohne das Gesicht zu verziehen, auf die Luke. Dann senkte sie den Blick wieder auf ihre Hände, die sich noch immer bewegten.

»Sie spricht nicht viel«, sagte der Hauptmann entschuldigend.

»Das hat sie noch nie getan«, erwiderte Sonea. »Schließt die Tür auf.«

Er gehorchte, nahm einen Schlüsselring von seinem Gürtel und öffnete die Schlösser. Zwei Schlösser, bemerkte Sonea. Sie muss sie wirklich nervös machen. Sonea trat in den Raum und hörte, wie die Tür hinter ihr geschlossen wurde. Lorandra schaute wieder auf und bedachte Sonea mit einem harten Blick, bevor sie ihre Aufmerksamkeit erneut auf den Gegenstand in ihren Händen richtete. Sonea sah genauer hin und stellte fest, dass es sich um eine Art Stoff handelte, den die Frau mit dickem Zwirn und einem kurzen, gebogenen Draht herstellte. Die Geschwindigkeit, mit der der improvisierte Haken sich durch den Rand des Stoffes bewegte und ständig neue Maschen anknotete, ließ auf jahrelange Übung schließen.

»Was tut Ihr da?«, fragte Sonea.

Lorandra betrachtete sie mit schmalen Augen. »Es nennt sich ›binda‹, und die meisten Frauen in meinem Heimatland verstehen sich auf dieses Handwerk.«

Der Stoff bewegte sich in ihren Händen, und Sonea sah, dass es eine Art Schlauch war. Überrascht und ermutigt durch Lorandras Bereitschaft zu sprechen dachte sie darüber nach, wie sie die Frau dazu bringen könnte fortzufahren.

»Und was stellt Ihr da her?«

Lorandra schaute hinab. »Etwas, um mich warmzuhalten.«

Sonea nickte. Natürlich. Der Mittwinter steht bevor, also wird es noch kälter werden. Sie kann keine Magie mehr benutzen, um die Luft zu wärmen. Einen Kamin gibt es nicht, und ein Kohlebecken werden die Wachen ihr nicht anvertrauen. Trotzdem war es im Raum nicht besonders kalt. Die Wärme aus den unteren Räumen musste einiges dazu beitragen, die Kälte zu vertreiben.

»Wir benutzen normalerweise einen Stock, in dessen Ende ein Haken geschnitzt ist, aber sie denken, ich würde ihn benutzen, um mich damit zu töten«, fügte Lorandra hinzu.

Sonea konnte sich ein schwaches Lächeln nicht verkneifen. »Würdet Ihr es tun?«

Die Frau zuckte die Achseln und antwortete nicht. Sie rechnet nicht damit, dass ich ihr glaube, also spart sie sich die Mühe.

»Werdet Ihr gut behandelt?«, erkundigte sich Sonea.

Lorandra zuckte abermals die Achseln.

»Gibt es irgendetwas, das ich Euch mitbringen kann?«

Ein ungläubiges Zucken der Mundwinkel. Und wiederum keine Antwort.

»Euren Sohn vielleicht?«, hakte Sonea nach und ließ ein wenig Skepsis in ihre Stimme fließen. Es überraschte sie nicht, als Lorandra nicht antwortete. Mit einem unterdrückten Seufzer ging sie zu dem niedrigen Bett, setzte sich und wandte sich wieder dem Thema zu, über das die Frau zu reden bereit zu sein schien. Wenn sie daraus eine Gewohnheit machen konnte, wer wollte sagen, wohin das führen würde? »Also, was stellen die Frauen Eures Heimatlandes mit Binda her?«

Lorandra arbeitete schweigend weiter, aber der Zug um ihren Mund verriet Sonea, dass sie es erwog zu antworten.

»Hüte. Handschuhe. Kleidungsstücke. Decken. Körbe. Hängt vom Garn ab. Weicheres, feineres Garn für Handschuhe. Starkes, widerstandsfähiges für Körbe.«

»Dauert es lange?«

»Das hängt davon ab, was man macht und wie dick das Garn ist. Binda dehnt sich, was für einige Dinge gut ist und für andere nicht. Wenn wir ein festes Tuch wollen, weben wir.«

»Woraus macht man das Garn?«

Ein leerer Ausdruck trat in Lorandras Augen. »Größtenteils aus Reberwolle. Es gibt eine Sorte von Gräsern, die man weich machen und für Körbe spinnen kann, aber südlich der Wüste habe ich diese Gräser nicht gesehen. Außerdem kann man ein feines, weiches Garn aus den Nestern von Vogelmotten spinnen, das sich nur die Reichen leisten können.«

»Motten? Hier fressen Motten Kleider und machen kein Garn, aus dem man Kleidung weben könnte.« Sonea lächelte. »Wie ist das Tuch denn beschaffen?«

»Weich, aber stark. Es wird normalerweise poliert, bis es glänzt, und weiteres Garn wird benutzt, um Muster und Bilder darauf zu sticken. Ich habe von Frauen gehört, die Röcke tragen, die zu besticken Jahre gedauert hat.«

»Ihr habt sie nicht selbst gesehen?«

Lorandra zog die Brauen zusammen. »Das einzige Vogeltuch, das ich je gesehen habe, wurde von den Kagar getragen.«

Da Sonea einen Anflug von Verachtung und Furcht in den Augen und der Stimme der Frau wahrnahm, überlegte sie, wer diese »Kagar« sein mochten.

»Sind das die Leute, die jeden töten, der über Magie verfügt? Und die selbst Magier sind?«

Lorandra warf ihr einen unfreundlichen Blick zu. »Ja.«

»Warum töten sie Magier?«

»Magie ist böse.«

»Aber sie benutzen selbst Magie?«

»Ihr großes Opfer, um unsere Gesellschaft zu reinigen.« In ihrer Stimme schwang Bitterkeit mit.

»Denkt Ihr, Magie sei böse?«

Lorandra zuckte die Achseln.

»Denkt Ihr, dass sie Euch, nachdem Eure Kräfte blockiert wurden, am Leben ließen, wenn Ihr in Eure Heimat zurückkehren würdet?«

Die Frau drehte sich um, um Sonea anzusehen. »Plant Ihr, mich zurückzuschicken?«

Sonea beschloss, nicht zu antworten.

Lorandra seufzte. »Nein. Sie trachten danach, Magie aus unseren Blutlinien zu säubern. Es würde keine Rolle spielen, dass ich zu alt bin, um Kinder zu bekommen. Ich könnte andere das Böse lehren.«

»Es ist unglaublich. Sie haben offenbar keine Feinde, gegen die sie sich verteidigen müssen. Was ist mit benachbarten Ländern? Verbieten die ebenfalls Magie?«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Wir haben keine benachbarten Länder. Die Kagar haben sie alle vor hundert Jahren besiegt.«