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Es war die Gefahr von Langeweile und vergeudeten Jahren. Die Gefahr, nie geliebt zu werden und nie zu lieben. Oder vergessen zu werden.

Aber es hätte schlimmer kommen können. Ihr Blick verweilte auf den bequemen, guten Möbeln und dem Rest der Einrichtung. Nicht viele Gefängnisse sahen so aus. Vielleicht war dies das einzige seiner Art.

Die Mahlzeit am Abend zuvor war genauso gut, wenn nicht besser gewesen als die, die sie im Speisesaal der Universität zu sich genommen hatte. Die Wachen waren höflich, und wenn überhaupt, schienen sie Mitleid mit ihr zu haben. Vielleicht erinnerte sie sie an ihre Töchter.

Ich wette, ihre Töchter bringen sich niemals in solche Schwierigkeiten, wie ich es getan habe.

Dann zuckte sie zusammen, als sie sich an die kurze Begegnung mit ihren Eltern erinnerte, die in die Gilde gekommen waren, um sie zu sehen, bevor man sie in den Ausguck gesperrt hatte. Sie war zu benommen gewesen, um viel zu sprechen. Sie erinnerte sich daran, dass sie oft »Es tut mir leid« gesagt hatte. Ihre Mutter hatte lediglich gefragt: »Warum?«, und sie hatte nicht antworten können. Wie hätte sie ihrer Mutter erklären können, dass sie ein anderes Mädchen liebte?

Es hatte Tränen gegeben.

Die Erinnerung war schmerzhafter, als es die Begegnung selbst gewesen war. Sie stand auf und zog sich an, nur um ihre Gedanken auf etwas anderes richten zu können, und ihr Atem formte eine Wolke in der kalten Luft. Irgendjemand hatte beschlossen, dass sie die Art von schlichten Hosen und Obergewändern tragen sollte, die die meisten Diener trugen, aber aus einem Tuch von besserer Qualität. Ein warmes Unterhemd gehörte auch dazu. Roben wären zu dünn und zu leicht gewesen, um die Kälte abzuwehren – wenn es ihr denn erlaubt gewesen wäre, weiterhin welche zu tragen. Sie zitterte, und plötzlich spürte sie schmerzhaft den Verlust ihrer Magie.

Man hatte ein Kohlebecken im Raum aufgestellt, mit einem Abzug, der den Rauch durch die Außenmauer des Gebäudes leitete. Daneben befand sich ein Stapel Feuerholz und Anzündmaterial. Da der Ausguck für Magier erbaut worden war, vermutete sie, dass das Gebäude über keine Kamine oder Schornsteine verfügte. Als die Wache ihren Dienst übernommen hatte, waren sie wahrscheinlich zu dem Schluss gekommen, dass Kohlebecken die einfachste nichtmagische Methode waren, um die Räume warmzuhalten.

Jemand hatte auch Drehstöcke und Zünder bereitgelegt, also machte sie sich daran, das Kohlebecken zu entzünden. Sie versuchte nicht, ihre Kräfte zu benutzen, davon überzeugt, dass die Blockade, die Schwarzmagierin Sonea über ihren Geist gelegt hatte, undurchdringlich war und dass es unangenehm sein würde, dagegen anzukämpfen. Sie konnte sich an die Prozedur selbst kaum erinnern. Ihr Geist war vor Schreck ganz benommen gewesen.

Sonea hat mir einige Fragen gestellt, erinnerte sie sich. Ich war ihr nicht gerade von großem Nutzen. Aber zumindest hat sie immer noch versucht zu helfen. Oder zumindest herauszufinden, wer Nakis Vater getötet hat.

Würde die Gilde die Suche nach dem Mörder aufgeben, jetzt, da sie eingekerkert war? Sie hoffte es nicht. Obwohl Naki ihren Stiefvater nicht gemocht hatte, hatte sein Tod sie offensichtlich bekümmert. Sie verdiente es zu wissen, was wirklich geschehen war.

Vor allem da sie in Gefahr sein könnte. Wer immer ihren Vater getötet hat, könnte es auch auf sie abgesehen haben.

Lilias Herz begann schneller zu schlagen, aber sie holte einige Male tief Luft und sagte sich, dass Naki auf sich selbst aufpassen könne. Aber ganz konnte sie es doch nicht glauben. Naki war durch ihre jüngsten Schwächen zu leicht ablenkbar. Wie gut würde sie sich verteidigen, wenn Feuel sie in seinen Fängen hielt?

Nun, das ist etwas, mit dem ich keine Probleme mehr haben werde. Kein Feuel mehr für mich, hier in meinem Gefängnis.

Bei dem Gedanken überlief sie ein Schauer der Furcht. Sie schüttelte den Kopf. Es war nicht so, als brauche sie Feuel. Oder als hätte sie auch nur ein so großes Verlangen danach. Aber es hätte ihr geholfen, alles zu vergessen. Sich nicht um die Dinge zu scheren, die sie nicht ändern oder tun konnte. Aufzuhören, sich so dumm vorzukommen, weil sie die Anweisungen des Buches über schwarze Magie ausprobiert hatte. Es zu ertragen, nicht zu wissen, ob Naki in Gefahr war. Und vielleicht sogar die Liebe zu ersticken, die sie für Naki empfand. Waren sich die Liedermacher und Dichter nicht alle einig darin, dass Liebe nur zu Schmerz führte?

Wenn sie Naki nicht liebte, würde sie jetzt vielleicht einen Groll gegen das Mädchen hegen, das sie beide in diese Schwierigkeiten gebracht hatte. Das Problem ist nur, dass ihre Leichtsinnigkeit zu den Dingen gehört, die ich an ihr liebe. Obwohl die Liebe zu dieser Eigenschaft jetzt vielleicht nicht mehr so ausgeprägt ist …

Das Kohlebecken war klein, und ihre Haut kribbelte vor Kälte. Sie stand auf, legte sich die Bettdecke um die Schultern und ging im Raum auf und ab. Für eine Weile stand sie an einem der schmalen Fenster und blickte auf den Wald draußen hinab. Es war der gleiche Wald, der an die Gebäude der Gilde grenzte. Sie hatte ihn nie erkundet, wie andere Novizen es getan hatten. Da sie in der Stadt aufgewachsen war, war die Aussicht, ein wildes, von Tieren beherrschtes Gewirr von Bäumen zu betreten, seltsam und ein wenig furchterregend gewesen. Von ihrem hohen Standort aus – im zweiten Stock eines Turms, der auf einem Hügel mit Blick auf den Wald erbaut war – konnte sie sehen, dass die Bereiche zwischen den Bäumen dicht ausgefüllt waren mit einem wüsten Gestrüpp toten Holzes und nachwachsender Vegetation. Sie versuchte sich vorzustellen, wie ein Mensch durch dieses Gestrüpp gehen konnte, ohne zu stolpern. Wahrscheinlich nur sehr langsam.

Als der Anblick des Waldes sie zu langweilen begann, beschäftigte sie sich damit, sämtliche Gegenstände im Raum genau zu betrachten. Alle waren praktisch. Es gab keine Bücher, kein Papier, keine Schreibutensilien. Würden die Wachen ihr etwas davon bringen, wenn sie darum bat?

Die Tür zum Flur war aus schwerem, gutem Holz. Im Nachhinein hatte man ein kleines, quadratisches Stück Glas eingebaut, so dass die Wachen überprüfen konnten, wo ihre Gefangene war, bevor sie die Tür öffneten. Außerdem befand sich eine Tür zwischen ihrem Zimmer und dem benachbarten. Sie hatte am vergangenen Abend versucht, den Türknauf zu drehen, weil sie gedacht hatte, die Tür führe vielleicht zu einem zweiten Raum – vielleicht einem privateren Waschraum –, aber er hatte sich nicht bewegen lassen. Jetzt trat sie wieder vor die Tür und fragte sich, was dahinter lag. Aus Neugier drückte sie ein Ohr an das Holz.

Zu ihrer Überraschung konnte sie eine Stimme hören. Eine Frauenstimme. Sie konnte nicht hören, was die Frau sagte, aber das Geräusch war ziemlich melodisch. Vielleicht sang die Frau.

Ein Klopfen an der Haupttür ließ sie heftig zusammenzucken. Da sie wusste, dass man sie dabei beobachtet haben würde, wie sie ihre Nachbarin belauschte, trat Lilia hastig von der Nebentür weg.

Die Haupttür wurde geöffnet, und ein lächelnder Wachposten trat mit einem Tablett ein. Er war jung – nur wenige Jahre älter als sie. Auf dem Tablett befand sich eine typisch kyralische Morgenmahlzeit.

»Einen guten Morgen, Lilia«, sagte er und stellte das Tablett auf den kleinen Esstisch. »Habt Ihr gut geschlafen?«

Sie nickte.

»Habt Ihr es warm genug? Braucht Ihr weitere Decken?«

Sie nickte, dann schüttelte sie den Kopf.

»Soll ich Euch irgendetwas bringen?« Sein Benehmen war seltsam freundlich für einen Mann in einer Uniform, die man für gewöhnlich mit Autorität und Gewalt in Verbindung brachte.

Sie dachte nach. Besser, ich nehme das Angebot an. Ich werde lange hier sein.