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Vielleicht ist Welor eine Ausnahme. Vielleicht gefällt es ihm, in der Wache zu sein. Bei dem Gedanken schürzte sie die Lippen. Aber wie ist er dann zu einer niederen Arbeit als Gefängniswächter gekommen?

Es war ein Rätsel, das sie würde entwirren müssen. Oder vielleicht war es doch kein so großes Rätsel; der Umstand, dass sie sich mit einer kleineren Welt begnügen musste, ließ es so erscheinen.

Als sie mit der Mahlzeit fertig war, griff sie nach den Büchern und ging zum Fenster, doch als sie an der Nebentür vorbeikam, hörte sie ein dreimaliges scharfes Klopfen.

Sie erstarrte, dann schaute sie zu der Tür hinüber. Ihr Herz schlug vier … fünf Mal, dann klopfte es von neuem.

Das ist verrückt. Das leiseste Geräusch von draußen, und ich bin vollkommen nervös. Sie ging zur Tür und legte ein Ohr an das Holz.

»Lasst Euch nicht von dem täuschen, was er über die Ehefrau sagt. Er mag Euch.«

Lilia machte einen Sprung rückwärts und starrte die Tür an. Dann blitzte Ärger in ihr auf, und sie kehrte zurück.

»Ihr denkt, er lügt? Dass er gar keine Ehefrau hat?«

Durch die Tür gedämpft, erklang ein leises Geräusch. Wahrscheinlich ein Kichern.

»Vielleicht nicht. Oder vielleicht erzählt er Euch von ihr, damit Ihr ihm vertraut.«

»Gewiss würde er mir von ihr erzählen, damit ich nicht auf falsche Ideen komme.«

»Falsche Ideen in Bezug worauf?«

»Dass er mir Gefälligkeiten erweist. Dass er nett zu mir ist.«

»Vielleicht. Aber seid auf der Hut. Wenn er beginnt, Euch zu erzählen, wie einsam er ist, dann seid nicht überrascht, wenn er eine Gegenleistung für diese Gefälligkeiten will.«

Lilia zog sich ein wenig von der Tür zurück. Hatte diese Frau etwas zu gewinnen, wenn Lilia Welor nicht traute?

»Warum erzählt Ihr mir das?«

»Ich versuche nur zu helfen. Ihr seid jung. Ihr seid noch nie eine Gefangene gewesen. Ihr wollt Euch sicher fühlen, aber Ihr solltet Euch von diesem Wunsch nicht blind gegen die Gefahren Eurer Situation machen lassen.«

Lilia dachte darüber nach. Obwohl es ihr Unbehagen bereitete, ergaben die Worte der Frau durchaus einen Sinn. Ich fühle mich hier bereits zu wohl. Und dabei bin ich erst seit zwei Tagen hier!

»Mein Name ist Lorandra«, fuhr die Frau auf der anderen Seite der Tür fort.

Lilia beugte sich vor und lehnte den Kopf an das Holz. »Mein Name ist Lilia.«

»Ich bin hier, weil fremdländische Magier der Gilde beitreten oder darauf verzichten müssen, Magie zu benutzen«, sagte Lorandra. »Ich habe nicht eingesehen, warum ich beitreten sollte, wenn ich es nicht wollte.«

Obwohl Lilia bereits wusste, warum die Frau eingesperrt war, erschien es ihr plötzlich ein wenig ungerecht. Warum sollte ein fremdländischer Magier der Gilde beitreten müssen? Vielleicht hätte diese Frau sich niemals mit den Dieben eingelassen, wenn sie nicht gezwungen gewesen wäre, sich zwischen der Gilde und einem Leben im Verborgenen zu entscheiden.

»Warum seid Ihr hier?«, fragte Lorandra. »Wenn es Euch nichts ausmacht, darüber zu sprechen.«

»Ich bin hier, weil ich schwarze Magie erlernt habe – aber wir waren nur dumm, und ich hatte nicht erwartet, dass es funktionieren würde.«

Die Frau schwieg eine Weile und fragte dann: »Das ist die Magie, die die in Schwarz benutzen?«

»Ja.« Lilia nickte unwillkürlich, obwohl sie wusste, dass Lorandra sie nicht sehen konnte. »Schwarzmagier Sonea und Kallen.«

»Sie haben auch Eure Kräfte gebunden?«

»Ja.«

»Und Ihr sagt, Ihr hättet nicht erwartet, dass das, was Ihr getan habt, funktionieren würde. Meint Ihr den Versuch, diese Magie zu erlernen?«

»Ja. Man hat uns gesagt, wir könnten es nicht lernen, es sei denn, ein Schwarzmagier würde uns diese Magie lehren, also dachte ich, mein Tun sei ungefährlich.«

»Also haben sie sich geirrt. Das klingt nicht sehr gerecht.«

»Der Versuch, schwarze Magie zu erlernen, ist ebenfalls verboten.«

»Ah. Warum habt Ihr dann versucht, sie zu erlernen?«

Lilia musterte nachdenklich die Tür. Vielleicht sollte sie gar nicht mit dieser Frau sprechen. Aber mit wem hätte sie sonst reden können? Und solange sie nicht beschrieb, wie sie schwarze Magie erlernt hatte – und ihr Verlangen nach Naki ebenfalls für sich behielt –, würde sie Lorandra nichts erzählen, was sie nicht erzählen sollte. Und Lorandra würde ohnehin nicht in der Lage sein, irgendetwas, das Lilia ihr erzählte, zu benutzen oder weiterzugeben.

Sie holte tief Luft und begann es der Frau zu erklären.

Lorkin war sich nicht sicher, warum er die letzten beiden Abende nicht einfach aus der Krankenstation marschiert und ins Bett gegangen war oder zumindest Kalias Befehl ignoriert hatte, früh anzufangen. Kalia hatte ihn so lange dabehalten, dass er während der beiden letzten Nächte im Durchschnitt weniger als vier Stunden Schlaf bekommen hatte.

Sie bestrafte ihn zweifellos, weil er heilende Magie benutzt hatte, ohne die Missbilligung der Verräterinnen zu erregen. Stattdessen hatte er die Missbilligung einiger Verräterinnen auf Kalia selbst gelenkt. Höchstwahrscheinlich versuchte sie außerdem, ihn daran zu hindern, den jungen Mann zu heilen, der an Kältefieber litt.

Aber sie konnte ihn nicht die ganze Nacht hindurch arbeiten lassen, und irgendwann musste sie ihm erlauben zu gehen. Es hatte ihn nicht überrascht, als man ihm auf dem Weg zum Männerraum abermals aufgelauert und diesmal zu dem kranken jungen Mann gebracht hatte. Immer noch geschwächt von der letzten magischen Heilung, von der er sich aus Schlafmangel nicht ausreichend hatte erholen können, war seine Erschöpfung nach der zweiten Heilung noch tiefer gewesen. Jetzt hatte er nicht einmal mehr die Magie in sich, um seine Müdigkeit zu vertreiben.

Morgen werde ich Kalias Befehl, früh anzufangen, einfach missachten. Tatsächlich werde ich vielleicht gar keine andere Wahl haben. Sobald ich erst einmal schlafe, wird es wohl einer heranrückenden Armee bedürfen, um mich zu wecken.

Er bog um eine Ecke und zwang seine Beine, ihn weiterzutragen. Es war jetzt nicht mehr weit bis zum Männerraum. Nur noch hundert Schritte – oder zwei …

Etwas streifte seine Wange. Er hob die Hand, um es wegzuwischen, und begriff gleichzeitig, dass er nichts mehr sehen konnte. Ein Geruch nach trockenem Gemüse lag in der Luft, und etwas wickelte sich fest um seine Schultern.

Ein Sack? Ja. Es ist ein Sack. Er versuchte, ihn vom Kopf zu ziehen, aber etwas krachte gegen seinen Rücken und warf ihn zu Boden. Instinktiv griff er nach seiner Magie. Ah, aber ich habe keine mehr. Starke Hände packten seine Arme und drückten sie mit Gewalt hinter seinen Rücken, und er begriff, dass er nichts tun konnte.

Woher wussten sie es? Nun, Kalia hat mich offenbar nicht nur deshalb bis spät in die Nacht dabehalten, weil sie mich bestrafen wollte …

Zu seiner Überraschung wurde der Sack, der sein Gesicht bedeckte, angehoben, wenn auch nicht so weit, dass er irgendetwas anderes als den Flur und zwei Paar Beine sehen konnte. Er sog die saubere Luft tief in seine Lunge.

Aber das war ein Fehler. Irgendetwas wurde ihm auf Mund und Nase gepresst, und er nahm einen vertrauten Geruch wahr. Obwohl er den Atem anhielt, war genug von der Droge in seinen Körper eingedrungen, dass ihm die Sinne schwanden. Ihm ging der Atem aus, und er keuchte und begann das Bewusstsein zu verlieren.

Das Letzte, was er hörte, war eine leise, heisere Stimme, in der ein deutlicher Unterton von Abscheu und Befriedigung mitschwang. »Zu einfach«, sagte die Stimme. »Nehmt ihn hoch. Folgt mir.«