Der Ashaki lächelte. »Dann werde ich Euch herumführen, da ich Befehl gegeben habe, ein spezielles Gericht für Euch zu kochen, das immer am besten schmeckt, wenn es drei Stunden auf dem Herd gestanden hat.«
Chakori führte sie durch das Herrenhaus. Obwohl der Besitz wegen des Fehlens einer Außenmauer ungewöhnlich war, waren die Anlage der Räume und die Dekoration im Inneren traditionell. Ein Hauptflur wand sich vom Herrenzimmer aus, in dem Chakori sie empfangen hatte, an zwei weiteren Fluchten von Räumen vorbei, aber anders als im Gildehaus verzweigte sich der Flur, und der Korridor, durch den Chakori sie führte, brachte sie zu einem Hintereingang.
Sie traten in einen großzügigen Innenhof hinaus und gingen auf die Arbeitsgebäude zu. Neben den beiden hohen, runden Gebäuden wirkte das Herrenhaus klein und unscheinbar. In der Luft lag ein starker Geruch von röstenden Raka-Bohnen.
Chakori deutete auf die Gebäude. »Das linke dient der Lagerung und der Fermentierung; im rechten wird der Raka geröstet und verpackt.« Er ging auf das Lager zu und führte sie durch eine schwere Holztür in einen lampenbeschienenen Raum. Eine Lichtkugel erwachte zischend über seinem Kopf zum Leben und leuchtete hell auf.
Der Raum war unterteilt von hölzernen Wänden, die wie Radspeichen von einem zentralen Bereich ausgingen. Sklaven hatten eine dieser Wände entfernt und harkten einen großen Haufen Bohnen in den Raum daneben. Eine andere Gruppe schaufelte Bohnen in Schubkarren. Als ein Sklave von einer Gruppe zur nächsten ging und offensichtlich die Fortschritte überwachte, durchzuckte es Dannyl. Er kannte den Mann.
Es ist Varn!
Als Chakori seine Gäste in den zentralen Bereich führte, bemerkten die Sklaven ihren Herrn und warfen sich zu Boden. Dabei flackerte Varns Blick kurz von Chakori zu Achati, und in seiner Überraschung zögerte der Sklave einen winzigen Moment, bevor er sich niederwarf.
Dannyl sah Achati an. Varns ehemaliger Herr wirkte überrascht und ein wenig entsetzt, aber er fing sich schnell wieder.
»Dein Sklave, der die Arbeiten überwacht, hat früher einmal mir gehört«, sagte er zu Chakori.
Sein Cousin nickte. »Ja, der Mann, von dem ich ihn gekauft habe, erzählte mir, dass Varn früher dir gehört hat. Er ist ein guter Arbeiter.«
»Das stimmt. Und er ist auch ein guter Quellsklave. Warum hat Voriki ihn verkauft, weißt du das?«
Chakori zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich vermute, er brauchte das Geld. Bedauerst du es, ihn verkauft zu haben? Möchtest du ihn zurückkaufen?«
Dannyl war froh darüber, dass er hinter den beiden Sachakanern stand und sie nicht sehen konnten, dass er angesichts der Beiläufigkeit, mit der sie darüber sprachen, Menschen zu kaufen und zu verkaufen, zusammenzuckte.
Achati antwortete nicht sofort. »Es ist verlockend, und manchmal bedaure ich es tatsächlich, ihn verkauft zu haben, aber nein.«
Nickend gab Chakori den Sklaven den Befehl, die Arbeit fortzusetzen, und begann, den Lagerungs- und Fermentierungsprozess zu erläutern. Dannyl widerstand dem Drang, Varn zu beobachten, um festzustellen, ob er gelegentlich in Achatis Richtung schaute und ob seine Blicke vorwurfsvoll sein würden oder nicht. Er konnte nicht umhin, sich daran zu erinnern, dass er die beiden während der Suche nach Lorkin gesehen hatte, als sie sich unbeobachtet wähnten und glaubten, niemand werde die offenkundige Zuneigung und das Verlangen zwischen ihnen bemerken. Aber was hatte Achati später noch gesagt?
»Nur wenn dir klar ist, dass der andere dich mühelos verlassen könnte, weißt du es zu schätzen, wenn er bleibt.«
War das der Grund, warum Achati Varn verkauft hatte? Hatte er den Verdacht geschöpft, dass Varns Bewunderung unecht war? Oder hatte er es gewusst, weil er Varns Gedanken gelesen hatte?
Als Chakori mit seinen Erklärungen fertig war, lud er sie ein, sich selbst umzuschauen. Sie gingen durch die Kammern und untersuchten die glänzenden Bohnen. Dabei fiel Dannyl ein Häufchen welker Blätter auf, die aussahen wie große, in die Länge gezogene Schalen. Als sie Varn und die Sklaven erreichten, die die fermentierten Bohnen harkten, wandte Dannyl sich an ihren Gastgeber.
»Wie sehen Raka-Pflanzen eigentlich aus?«, fragte er.
Chakori lächelte, erfreut über die Frage. »Es sind kleine Bäume, die etwa die doppelte Größe eines Mannes haben. Die Bohnen stecken in Schoten – hier liegen noch welche.« Dannyl folgte Chakori zu dem Haufen welker Blätter, aber Achati blieb zurück. Chakori nahm zwei Blätter von dem Haufen und reichte Dannyl und Tayend jeweils eines. Sie waren dick und starr wie Gorin-Leder.
»Stellt Ihr aus diesen Blättern irgendetwas her?«, fragte Tayend.
»Ich gebe sie einem Nachbarn, der sie zerhackt und auf seine Felder verteilt. Er schwört, dass sie Insekten abstoßen und die Pflanzen schneller wachsen lassen.« Chakori zuckte die Achseln.
»Sie sehen ein wenig wie kleine Schiffsrümpfe aus«, bemerkte Tayend. »Oder sie könnten als Schalen benutzt werden. Brennen sie? Riecht der Rauch wie Raka?«
Dannyl blickte flüchtig zu Achati zurück. Sein Freund unterhielt sich mit Varn. Der Sklave hielt den Blick gesenkt, aber er lächelte schwach und nickte. Achati wirkte erleichtert. Dannyl drehte sich wieder um und sah, dass Tayend das Innere seiner Schote rieb.
»Schuhe«, murmelte er. »Ich frage mich, ob man daraus Schuhe machen könnte.«
Achati erschien neben Dannyl. »Ich würde nicht lange darin laufen wollen.«
»Nein. Ihr habt recht«, stimmte Tayend zu. Er gab Chakori die Schote zurück, der sie wieder auf den Haufen warf.
»So«, sagte Chakori. »Jetzt will ich Euch noch den Röstprozess zeigen.«
Lorkin hatte etwas entdeckt, von dem niemand in der Gilde wusste, vielleicht nicht einmal seine eigene Mutter.
Wenn einem Magier wieder und wieder alle Magie entzogen wurde, bekam er schreckliche Kopfschmerzen.
Seine Wärter hatten ihn daran gehindert, sich mithilfe von Magie zu erholen, indem sie ihm regelmäßig Macht abgezapft hatten. Auf diese Weise konnte er nicht einmal die Augenbinde über seinen Augen abnehmen. Selbst wenn er die Kraft gehabt hatte, sich zu bewegen, hatten seine wenigen Versuche, die Augenbinde zu entfernen, indem er den Kopf an der Mauer gerieben hatte, ihm einen Schlag auf den Schädel eingetragen, dass es ihm in den Ohren klingelte.
Der Mangel an Stärke machte es ihm überdies unmöglich, die Anspannung und den Schmerz zu lindern, die daraus resultierten, dass man ihm die Arme hinter dem Rücken gefesselt hatte. Ebenso wenig konnte er die Ergebnisse der schlaflosen Stunden lindern, während derer er auf dem kalten, unebenen Steinboden gelegen hatte. Dies alles hätte ihm jedoch nicht die Fähigkeit rauben sollen, in Gedanken nach jemandem zu rufen. Das verhinderte etwas anderes. Er war sich nicht sicher, was es war. Die Vorstellung, dass jemand seine Magie blockiert haben könnte, während er bewusstlos gewesen war, vermittelte ihm das Gefühl von großer Verletzbarkeit, bis ihm ein Weilchen später der Gedanke kam, dass man sich wohl kaum die Mühe machen würde, ihm immer wieder die Kräfte abzusaugen, wenn er sie ohnehin nicht benutzen konnte.
Die Stunden, die verstrichen, waren lang und elend.
Er konnte nichts anderes tun, als nachzudenken und zu versuchen, einen Ausweg aus seiner misslichen Lage zu finden. Seine Wärter waren vermutlich Mitglieder von Kalias Gruppe. Es war sehr unwahrscheinlich, dass Außenseiter im Sanktuarium lebten, obwohl er die Idee nicht zur Gänze verwarf. Vielleicht hatte die Gilde etwas zu seiner Rettung unternommen und unzufriedene Verräterinnen rekrutiert oder ihnen etwas versprochen – wie Kenntnisse der heilenden Magie –, wenn sie ihn retteten. Vielleicht hatte der sachakanische König hier bereits Spione und wollte, dass Lorkin aus dem Sanktuarium fortgeschafft wurde, bevor er es überfiel.
Das Problem war, dass es in beiden Fällen keinen Sinn machte, ihn auf diese Weise zu entführen.
Die wahrscheinlichsten Schuldigen sind Kalias Leute, schlussfolgerte er wieder einmal.