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Naki hatte in jüngster Zeit keine Besuche empfangen, aber jede Menge Briefe bekommen. Eine Dienerin hatte erzählt, dass Naki, nachdem sie die Briefe erhalten hatte, keinen glücklichen Eindruck gemacht und die Briefe unverzüglich mit Magie verbrannt habe.

Aber als Kallen erklärte, dass Nakis Kräfte blockiert worden seien, so dass sie keine Magie hätte benutzen können, hat die Dienerin ein nachdenkliches Gesicht gemacht. Sie sagte, sie habe Naki in jüngster Zeit einen Brief ins Feuer werfen sehen, jedoch gedacht, sie habe es aus Wut getan. Es ist ihr nicht in den Sinn gekommen, dass es daran lag, dass Naki keine Magie mehr benutzen konnte.

Kallen hatte gefragt, ob noch weitere Briefe gekommen seien, seit Naki das Haus verlassen hatte. Die Dienerin hatte darüber nachgedacht und dann den Kopf geschüttelt. Kluger Kallen, ging es Sonea durch den Kopf. Ich habe daran gedacht zu fragen, wann die ersten Briefe kamen, nicht ob sie irgendwann ausgeblieben sind.

Die Kutsche kam am Fuß des Turms zum Stehen. Sonea stieg aus, und kalte Luft umfing sie. Die Wachen, die rund um den Turm postiert waren, waren alle dick eingemummt. Sie widerstand der Gewohnheit, einen Schild um sich herum zu schaffen und die Luft darin zu erwärmen. Die eisige Luft war erfrischend, und sie hatte es immer geliebt zu sehen, wie ihr Atem einen weißen Nebel vor ihrem Gesicht bildete. Als Kind war ihr das magisch erschienen, obwohl es im Allgemeinen bedeutete, dass sie vor Kälte zitterte.

Eine Erinnerung blitzte in ihren Gedanken auf: Sie war in einen alten Mantel gewickelt gewesen, und ihre Füße hatten geschmerzt, als die Kälte ihre dünn besohlten Schuhe durchdrungen hatte. Dann wurde die Tür des Ausgucks geöffnet, und die Erinnerung verblasste. Der Wachmann verneigte sich und winkte sie gleichzeitig hastig herbei, erpicht darauf zu vermeiden, kalte Luft in das Gebäude einzulassen.

Nach dem gewohnten höflichen Wortwechsel mit dem Hauptmann und dem diensthabenden Magier folgte Sonea einem anderen Wachposten die Treppe hinauf. Er öffnete die kleine Luke in der Tür zu Lilias Zimmer.

»Ihr habt Besuch, Lady Lilia«, rief er. Dann versperrte er die kleine Luke und wandte seine Aufmerksamkeit dem Schloss zu. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, trat er beiseite, damit Sonea an ihm vorbei in den Raum treten konnte.

Lilia stand neben einem Stuhl am Fenster. Ihre Augen waren groß, und sie sah Sonea hoffnungsvoll an, bevor sie sich zu fassen schien.

»Schwarzmagierin Sonea«, sagte sie mit einer Verbeugung.

»Lilia«, erwiderte Sonea. Als sie sich im Raum umschaute, bemerkte Sonea, dass er behaglich möbliert und warm war. Zwei Bücher lagen auf einem kleinen Tisch neben dem Sessel. »Ich habe einige Fragen an Euch.«

An die Stelle der Hoffnung auf den Zügen des Mädchens traten Enttäuschung und Resignation. Sie nickte, dann deutete sie auf einen kleinen Tisch und zwei Holzstühle. »Bitte, nehmt Platz.«

Sonea nahm die Einladung an und wartete, bis Lilia sich auf den anderen Stuhl gesetzt hatte, bevor sie dem Mädchen in die Augen sah.

»Naki ist seit einer Woche nicht mehr gesehen worden.« Sonea bemerkte Bestürzung in Lilias Zügen. »In ihrem Haus gab es keine Anzeichen von Gewalt und auch keinen Brief, der irgendetwas erklärt hätte. Wir haben alle Orte abgesucht, die Naki den Dienern zufolge gern besucht hat. Kennt Ihr irgendeinen Ort, an den sie gegangen sein könnte und von dem die Diener nichts wissen würden?«

Lilia verzog das Gesicht. »Einige Glühhäuser.« Sie zählte mehrere Namen auf.

Sonea nickte. »Die haben die Diener ebenfalls erwähnt. Sonst noch etwas?«

Lilia schüttelte den Kopf.

»Keine anderen Freunde – vielleicht solche, mit denen sie nicht länger befreundet war?«

»Nein. Obwohl … in der Gilde ging das Gerücht, sie sei mit einer Dienstmagd befreundet gewesen, aber ihr Vater habe die Familie hinausgeworfen.«

»Ja, wir haben uns mit ihnen in Verbindung gesetzt, und sie haben Naki ebenfalls nicht gesehen. Gab es irgendwelche Jungen, die sie umworben haben, auch wenn sie kein Interesse an ihnen hatte?«

Lilia senkte den Blick und wurde rot. »Nicht dass ich wüsste.«

»Hatte sie … hatte sie irgendwelche Beziehungen zu Verbrechern – vielleicht Feuelverkäufern?«

»Ich … ich weiß es nicht. Ich vermute, sie musste das Feuel von irgendjemandem kaufen. Sofern sie nicht die Vorräte ihres Vaters gestohlen hat.« Lilia blickte auf. »Habt Ihr schon etwas über seinen Mörder in Erfahrung gebracht?«

Sonea hielt inne, ein wenig verärgert über den Themenwechsel. Aber sie wird darauf brennen, Neuigkeiten zu hören, da ihre Freundin sie für die Tat verantwortlich gemacht hat.

»Nein«, antwortete Sonea. »Zumindest war es, falls die Magier, die die Nachforschungen anstellen, etwas erfahren haben, nicht wichtig genug, um es den Höheren Magiern zu berichten.«

»Also … stellt Ihr nicht selbst Nachforschungen an?«

Sonea lächelte schief. »Ich wünschte, ich könnte, aber ich muss einen wilden Magier finden. Es ist Schwarzmagier Kallens Verantwortung.«

»Aber Ihr geht der Frage nach, wo Naki ist.«

»Ich habe mich erboten, Euch zu befragen, da wir bereits ein wenig miteinander geredet haben.«

Lilia nickte.

»Den Dienern zufolge hat Naki Briefe erhalten, die sie aufgeregt haben. Sie hat sie schon einige Zeit vor Lord Leidens Tod erhalten, bis zu dem Tag, an dem sie zu Hause das letzte Mal gesehen wurde. Wisst Ihr etwas über diese Briefe?«

Lilia schüttelte den Kopf, dann seufzte sie. »Ich bin Euch nicht von großem Nutzen, nicht wahr?«

»Was jemand nicht weiß, kann genauso nützlich sein wie das, was er weiß«, erwiderte Sonea. »Es ist interessant, wenn man bedenkt, wie bereitwillig Naki Euch das Wissen über das Buch mit den Anweisungen für die Anwendung von schwarzer Magie anvertraut hat, ohne Euch jemals von den Briefen zu erzählen. Das lässt auf ein weit größeres Geheimnis schließen.«

»Was könnte schlimmer sein als schwarze Magie?«, fragte Lilia kleinlaut.

»Ich weiß es nicht.« Sonea stand auf. »Aber ich habe die Absicht, es herauszufinden. Danke für Eure Hilfe, Lilia. Wenn Euch irgendetwas einfällt, lasst die Wachen jemanden zu mir schicken.«

Lilia nickte. »Das werde ich.«

Sonea, die den Blick des Mädchens spürte, verließ den Raum. Als der Wächter die Tür hinter ihr verschloss, betrachtete sie die Tür daneben. Lorandra. Hat es irgendeinen Sinn, sie noch einmal zu besuchen? Ich schätze, da ich schon einmal hier bin …

Was tust du, Naki? Wo bist du? Bist du aus freien Stücken dort, oder hat dich jemand verschleppt?

Bist du überhaupt noch am Leben?

Einmal mehr krampfte Lilias Magen sich zusammen. Den ganzen Tag über waren ihr diese Fragen wieder und wieder durch den Kopf gegangen. Zuerst hatte sie sie willkommen geheißen und gehofft, dass die Antworten sich irgendwie an die Oberfläche ihres Geistes erheben würden und dass sie nach Welor würde rufen und ihn zu Sonea schicken können. Mit ihrer Hilfe würde Naki gerettet werden – oder schlicht und einfach gefunden. Ihre Freundin würde vielleicht begreifen, dass sie ihr niemals etwas antun würde. Oder aber die Gilde würde für Lilias Hilfe dankbar sein und sie vielleicht …

Mich hier herauslassen? Das bezweifle ich. Lilia seufzte. Das wird nur geschehen, wenn ich irgendwie vergesse, wie man schwarze Magie benutzt.

Sie zwang sich, mit ihrer rastlosen Wanderung durch den Raum aufzuhören, setzte sich hin und griff nach einem der Bücher. Obwohl sie begonnen hatte zu verstehen, warum es Welor gefiel – die Schlachtenbeschreibungen waren offensichtlich mit einiger Wonne niedergeschrieben worden –, hätte nicht einmal die aufregendste Geschichte ihre Aufmerksamkeit lange fesseln können. Nicht, solange die Person, die sie auf der Welt am meisten liebte, verschwunden war. Sie legte das Buch wieder beiseite.