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»Du?«

Sie schüttelte den Kopf. »Man lehrt Menschen, die man ausschickt, damit sie als Spione unter den Feinden leben, nicht seine größten Geheimnisse. Und ich hatte nie die Geduld dafür.«

»Du hast dich lieber als Sklavin ausgegeben, als Steine zu machen?« Er runzelte die Stirn. »Wie schwierig ist es?«

Sie tätschelte seinen Arm. »Keine Bange. Es ist wirklich nicht so gefährlich, sobald man weiß, was man tut. Komm, im Gegensatz zu dir hatte ich kein Frühstück, und ich konnte auch nicht ausschlafen. Besorgen wir uns etwas zu essen.«

Mit diesen Worten hakte sie sich erneut bei ihm unter und zog ihn in den Strom von Menschen, die sich in den Flur ergossen, wo ihm zu seiner freudigen Überraschung viele Verräterinnen entschuldigend und mitfühlend auf die Schulter klopften. Trotz all ihrer Fehler waren sie gute Menschen, befand er. Vor allem wenn er sich daran erinnerte, dass das, was Kalia ihm angetan hatte, jeden Tag im übrigen Sachaka Tausenden von Sklaven angetan wurde.

»Ach, und übrigens«, erklärte Tyvara ihm beiläufig, »darf ich dich jetzt ganz offiziell sehen und mit dir sprechen.«

Er grinste sie nur an, und sie lächelte.

Sonea klopfte an die Tür des Behandlungsraums. Die Tür wurde geöffnet, und zu ihrer Erheiterung wirkte Dorrien erleichtert.

»Ah, gut«, sagte er. »Dann ist meine Schicht also zu Ende?«

»Ja. Wie kommst du zurecht?«, fragte sie.

Er seufzte. »Es ist ziemlich anstrengend, nicht wahr?«, erwiderte er. »Am Ende des Tages kann ich spüren, wie verbraucht meine magischen Reserven sind.«

»Ja, an Tagen, an denen viel los ist.« Sonea zuckte die Achseln und setzte sich auf einen der für Patienten bestimmten Stühle. »Wenn wir unsere Macht nicht jeden Tag benutzen, wird sie verschwendet.« Obwohl er mir, wenn er sich hier allzu sehr verausgabt, nicht von Nutzen sein wird, sollten wir Skellin stellen. Ich muss einmal mit den Heilern hier über seinen Anteil an der Arbeit reden.

»Oh, ich beklage mich gar nicht. Ich gebe dir recht. Ich bin es nur nicht gewohnt.« Er verzog das Gesicht. »Alina und die Mädchen sind es auch nicht gewohnt.«

Sonea runzelte die Stirn. »Du musst zu Hause Magie benutzen? Ich schätze, wir könnten dir weniger …«

»Nein, das ist es nicht. Ich … ich vermute, die Müdigkeit macht mich ein wenig mürrisch. Alina kann …« Er machte eine Handbewegung und zog die Brauen zusammen, als suche er nach dem richtigen Wort. Sonea wartete. Obwohl ihr einige Wörter in den Sinn kamen – eifersüchtig, besitzergreifend, unsicher –, waren sie nicht gerade eine höfliche Art, das Verhalten seiner Frau zu beschreiben.

»Sie hat eine Menge Dinge, an die sie sich gewöhnen muss«, bemerkte sie stattdessen. »Ein müder Ehemann, der viel länger als sonst von zu Hause fort ist, eine Stadt, die sie nicht kennt, die Trennung von Menschen, die sie verstehen – und ich bin mir sicher, sie hat auch Angst um dich.«

Dorrien nickte. »Manchmal …«

Sonea wartete abermals ab, aber Dorrien blickte gequält drein und schüttelte den Kopf.

»Manchmal was?«, drängte sie ihn sanft.

Er schaute auf den Tisch hinab. »Manchmal«, sagte er mit einer leisen, von Schuldgefühlen gezeichneten Stimme, »wünschte ich, ich hätte sie nicht geheiratet.«

Sonea sah ihn überrascht an. Sie hatte ihn zum Sprechen gedrängt, weil sie angenommen hatte, er wolle zugeben, dass auch er Angst hatte. Er schaute zu ihr auf, seine Augen umschattet und undeutbar.

»Ich hätte eine Magierin heiraten sollen. Wir hätten … mehr gemeinsam gehabt.«

Sonea wandte den Blick ab und griff nach dem ersten Thema, das ihr einfiel, um ihn von diesem Gedankengang abzubringen. So wenig sie Alina mochte, sie wollte nicht miterleben, wie Dorrien seine Familie verletzte. Der Umzug in die Stadt hatte die Unterschiede zwischen ihm und seiner Frau deutlicher zutage treten lassen. Er hatte ihn von den Gemeinsamkeiten, die sie teilten, abgelenkt.

»Ihr habt das Dorf gemeinsam und die Liebe zum Landleben. Das mag jetzt weniger bedeutsam erscheinen, aber du hast immer das Gefühl gehabt, dass du dort hingehörst.«

Dorrien betrachtete sie unglücklich, dann sackten seine Schultern herunter, und er nickte. »Du hast recht. Es ist so, als wecke Alinas Misstrauen in mir die Frage, ob sie vielleicht etwas sieht, das ich nicht sehen kann. Ich bin ihrer Fragen müde.«

»Dreht es sich bei diesen Fragen um das Hospital? Und um die Suche?«

Er nickte. »Unter anderem.«

»Dann bring sie doch irgendwann einmal mit hierher. Zeig ihr, was wir tun. Zumindest kannst du einem Aspekt deiner Arbeit das Rätselhafte nehmen.«

Ein nachdenklicher Ausdruck glitt über seine Züge, dann sah er sie an und stand auf. »Nun, ich schätze, wir sollten die Plätze tauschen.«

Sie nickte, erhob sich und wartete, bis er hinter dem Tisch hervorgekommen war, bevor sie an ihm vorbeischlüpfte und sich auf den Stuhl setzte, auf dem zuvor er gesessen hatte.

»Keine Nachrichten von Cery?«, fragte sie.

»Nein«, antwortete er.

Sie seufzte. »Der Administrator hat beschlossen, jeden Tag unsere Fortschritte zu begutachten«, warnte sie ihn. »Du darfst nicht überrascht sein, wenn er bei dir zu Hause vorbeikommt.«

Dorrien zuckte zusammen. »Das wird Alina wunderbar finden. Gute Nacht, Sonea.«

Sie lächelte. »Gute Nacht, Dorrien.«

Als die Tür sich hinter ihm schloss, schaute Sonea sich kurz im Raum um, um sich davon zu überzeugen, dass sie alle Heilmittel, Bandagen und Werkzeuge zur Hand hatte, die sie vielleicht brauchen würde, dann nahm sie wieder Platz. Es dauerte nicht lange, bis es zum ersten Mal an der Tür klopfte.

Sie zog Magie in sich hinein und sandte sie zur Tür. Zu ihrer Überraschung standen dort Dorrien und Heilerin Nikea.

»Es ist gerade eine Nachricht eingetroffen«, erklärte er ihr.

»Bring sie herein.«

Nikea reichte Dorrien ein Stück Papier, dann lächelte sie Sonea an und kehrte wieder in den Flur zurück. Dorrien trat ein und schloss die Tür hinter sich. Dann reichte er Sonea das Papier.

Großes Treffen heute Abend. Komm zum Abendessen. Bring Süßigkeiten mit.

Sie schaute zu Dorrien auf, und ihr Herzschlag beschleunigte sich.

»Das ist es«, sagte sie. »Die Gelegenheit, auf die wir gehofft haben.«

Sie hatte einige verschlüsselte Ausdrücke mit Cery vereinbart: Jedes bestätigte Arrangement zwischen Skellin und Anyis neuem Arbeitgeber oder dem Dieb, für den dieser arbeitete, wurde als »groß« bezeichnet. »Abendessen« bedeutete eine Stunde nach Sonnenuntergang. Eine Bitte um Süßigkeiten bedeutete, dass sie ihn in dem Raum unter dem Süßigkeitenladen treffen sollte.

»Ich sollte mich über diese Nachricht mehr freuen, als ich es tue«, murmelte Dorrien.

Sonea lächelte grimmig. »Keine Sorge. Ich werde feststellen, ob einer der Heiler hier sich uns anschließen kann. Ich würde lieber jemanden aus der Gilde anfordern, aber dafür haben wir keine Zeit. Obwohl wir vielleicht trotzdem eine Nachricht zur Gilde schicken sollten, ob nicht jemand aus dem Heilerquartier heute Abend hier aushelfen kann.«

Dorrien nickte. »Einen Versuch ist es wert.«

Lilia war viel ruhiger, jetzt, da sie einige Stunden Schlaf und eine Mahlzeit mit Menschen gehabt hatte, die nicht kurz zuvor einen Mann vor ihren Augen halbtot geschlagen hatten. So ließen sich ihre Befürchtungen um die Konsequenzen ihrer versäumten Rückkehr in den Ausguck leichter beiseitedrängen. Stattdessen erschien es ihr jetzt wichtiger, sich über die Menschen, denen sie wohl oder übel vertraut hatte, einige Gedanken zu machen.

Obwohl sie zuversichtlich war, dass sie ihr nichts antun konnten, da sie schließlich ihre Magie hatte, könnte es andere Möglichkeiten geben, wie sie sie vielleicht ausnutzen würden. Sie konnte nur hoffen, dass Lorandra sich an ihre Abmachung halten würde. Obwohl die alte Frau das zu tun schien, bezweifelte Lilia, dass sie ihre Bemühungen fortsetzen würde, wenn die Suche nach Naki sie mit einem Verbündeten in Konflikt brachte oder einen zu hohen Preis forderte.