Achati stieg aus dem Becken und holte sich mithilfe von Magie einen Umhang heran. Er warf ihn sich über und ging zur Tür.
»Herein.«
Die Tür wurde geöffnet. Dannyl bemühte sich hastig um einen neutralen Gesichtsausdruck, als er Tayend durch die Öffnung spähen sah. Je verärgerter ich wirke, desto argwöhnischer wird er sein. Im Innern hatte er das Gefühl, als koche sein Blut vor Zorn.
»Störe ich?«, fragte Tayend. »Die Sklaven sagten, Ihr wärt hier, und nachdem Ihr erzählt habt, wir müssten diese Bäder ausprobieren, schien es mir unhöflich, nicht herzukommen und sie mir anzusehen.«
»Natürlich stört Ihr nicht«, antwortete Achati. Er führte Tayend zu dem Reinigungsbad und erläuterte die Prozedur.
Als er dann zu Dannyl zurückkehrte, lächelte er und formte mit den Lippen lautlos ein Versprechen.
Später.
Nicht lange nachdem er auf der Krankenstation eingetroffen war, kam eine Magierin, um Lorkin zu den Höhlen der Steinemacher zu begleiten. Es widerstrebte ihm ein wenig fortzugehen, da die Frau, die an Kalias Stelle getreten war, immer noch dabei war, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wo alles aufbewahrt wurde und von welchen Gebrechen sich die Patienten in den verschiedenen Betten erholten. Aber als die Begleitung eintraf, scheuchte sie Lorkin davon.
»Geh«, befahl sie. »Ich komme schon mit allem klar.«
»Ich werde später zurückkehren«, versprach er.
Die Magierin, die ihn begleiten sollte, lächelte ihn schüchtern an und sprach wenig, während sie ihn zu den Höhlen führte. Es war so ungewöhnlich, dass eine Verräterin scheu und verlegen war, dass er der Versuchung widerstand, sie in ein Gespräch zu verwickeln. Wenn eine Jugend an einem Ort, an dem Frauen Macht besaßen, ihr nicht geholfen hatte, kühn und selbstbewusst zu werden, dann musste die Verlegenheit sehr tiefe Wurzeln haben – und es würde vielleicht mehr schaden als nutzen, diesbezüglich etwas zu unternehmen.
Sie führte ihn weit in die Stadt hinein, in eine Tiefe im Berg, in der die meisten Verräterinnen nicht mehr gern lebten. Der Gang wurde kurvig, und sie kamen an Öffnungen von Höhlen zu beiden Seiten vorbei. Bei seinem letzten Besuch hier, als man ihn aus der Höhle eskortiert hatte, die Evar ihm gezeigt hatte, war es ihm nicht klug erschienen, allzu großes Interesse an diesen Höhlen zu zeigen. Jetzt stand es ihm frei hineinzuschauen.
Die Höhlen waren von unterschiedlicher Größe und Form. Man hatte sich offensichtlich einige Mühe gegeben, den Boden an manchen Stellen zu ebnen, aber die ungleichmäßigen, kantigen Wände waren unberührt geblieben. In einem größeren Raum bemerkte Lorkin, dass Plankenwege an die Wände gehängt worden waren, um die höheren Wandabschnitte zugänglich zu machen.
In allen Höhlen sah er Flächen glitzernder Farben, an Wänden, an der Decke und in manchen Fällen sogar auf den Böden.
Keine der Höhlen hatte Türen. Es schien eine seltsame Unterlassung in einem Teil der Stadt zu sein, der solche magischen Geheimnisse barg. Aber vielleicht kann man die Geheimnisse den Steinen nicht abringen. Vielleicht können sie nur von einem Geist an den anderen weitergegeben werden, wie schwarze Magie. Oder vielleicht wurden sie irgendwo in einem sicheren Raum in Büchern aufbewahrt.
Der gewundene Gang endete in einer weiteren Höhle. Die Führerin durchquerte sie, und sie kamen in die nächste Höhle und in die übernächste. In den Wänden und dem Boden des Gangs befanden sich Risse, über die man leicht hinwegsteigen konnte. Dann kamen sie auch über breitere Risse, die mit Steinplatten – aus dem gleichen Fels wie die Wände – überbrückt worden waren.
Und dann erreichten sie eine Tür.
Seine Begleiterin klopfte an, schenkte ihm ein flüchtiges Lächeln und ging hastig davon, bevor er sich bei ihr bedanken konnte. Er drehte sich wieder um und stellte fest, dass die Tür geöffnet worden war. Eine Stimme erklang.
»Komm herein, Lorkin.«
Er erkannte die Stimme. Sprecherin Savara. Als er in den Raum trat, sah er, dass sie und Sprecherin Halana sich auf zwei Sitzen eines Kreises von fünf Plätzen niedergelassen hatten. Savara deutete auf einen der Stühle, und er setzte sich.
»Weißt du über die Verantwortungsbereiche jeder Sprecherin Bescheid?«, fragte sie.
Er nickte. »Ja. Nun, zumindest in einigen Fällen. Sprecherin Riaya organisiert Zusammenkünfte, Wahlen, Gerichtsverhandlungen und dergleichen, Sprecherin Kalia war für die Gesundheit der Menschen verantwortlich, Sprecherin Shaiya beaufsichtigt die Produktion von Nahrungsmitteln und den Wasservorrat, und du bist für die Verteidigung zuständig.«
»Das ist korrekt. Sprecherin Lannas Verantwortungsbereich sind die Wohnverhältnisse, und Sprecherin Yvali kümmert sich um die Ausbildung. Sprecherin Halana«, sie deutete mit dem Kopf auf die andere Frau, »beaufsichtigt die Herstellung der Steine.«
Er sah die Frau an und neigte respektvoll den Kopf. »Also wirst du meine Lehrerin sein?«
Die Frau nickte. »Ja. Falls du damit einverstanden bist.«
Er lächelte. »Ich kann mir keinen Grund denken, warum ich nicht einverstanden sein sollte.«
Halana erwiderte sein Lächeln nicht, obwohl in ihren Augen ein Anflug von Erheiterung lag. Etwas an ihrem Gesichtsausdruck ließ einen Schauer der Warnung über seinen Rücken laufen. Er runzelte die Stirn und blickte Savara an.
»Gibt es einen Grund, warum ich nicht einverstanden sein sollte?«
Sie lächelte schief. »Wahrscheinlich. Ich habe vielleicht schon einmal erwähnt, dass ich einst Kyralia bereist habe. Ich war für eine Weile in Imardin, vor und während der Zeit, die du die Ichani-Invasion nennt.«
Er sah sie überrascht an. »Du hast die Invasion miterlebt?«
Ihre Miene war jetzt ernst. »Ja. Wir halten ein Auge auf die Ichani, da sie ständig in Bewegung sind und dem Sanktuarium manchmal zu nahe kommen. Größtenteils sind sie harmlos, zu sehr damit beschäftigt, gegeneinander zu kämpfen, um uns Schwierigkeiten zu machen. Aber jedwede Anzeichen dafür, dass sie sich vereinen, sind, wie du dir vorstellen kannst, besorgniserregend. Zu unserem Glück bestand ihre Absicht bei ihrem letzten Versuch in dieser Richtung nicht darin, uns Schwierigkeiten zu machen. Zum Pech für dein Volk hatten sie ihre Aufmerksamkeit auf Kyralia gerichtet. Wir bemerkten, dass sie Sklaven nach Kyralia schickten, also reiste ich dorthin, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die Ereignisse, die ich miterlebt habe, machten ganz deutlich, dass die Gilde höhere Magie nicht benutzt und sogar verbietet.«
Lorkin nickte und senkte den Blick. »Man nennt sie schwarze Magie. Und sie ist nicht länger verboten.«
Ihre Augen wurden schmal. »Und doch darf sie nur eingeschränkt benutzt werden. Nur wenige Personen verstehen sich auf ihre Benutzung.«
»Ja.«
»Und wenn unsere Spione recht haben, ist auch das Wissen dieser wenigen Personen unvollständig.«
Er sah ihr in die Augen. »Ich weiß es nicht, da ich keiner der wenigen bin, denen es gestattet ist, schwarze Magie zu kennen.«
»Bist keiner von ihnen«, sagte sie und hielt seinen Blick fest, »oder warst du keiner?«
Er schaute beiseite. Sie fragte … was fragte sie? Ob er sich immer noch als Gildemagier betrachtete. Aber dahinter steckte eine unausgesprochene Frage: Wollte er sich die Möglichkeit offenhalten, jemals wieder einer zu sein? Wenn er schwarze Magie erlernte, würde er niemals in die Gilde zurückkehren können.
Erbot sie sich schlicht, ihn schwarze Magie anstelle der Herstellung von Steinen zu lehren? Das bezweifelte er.
Oder war dies eine Prüfung, um herauszufinden, ob er beabsichtigte, die Kenntnisse über die Herstellung von Steinen direkt zur Gilde zurückzubringen? Aber das ergab keinen Sinn. Die Königin hatte nichts davon gesagt, dass es ihm nicht gestattet sei, das Wissen weiterzugeben. Aber sie hatte ihm auch nicht ausdrücklich erlaubt, es zu tun.
»Ich frage dich das«, sagte Savara leise, »weil wir dich, um dich das Steinemachen zu lehren, höhere Magie lehren werden müssen.«