Er sah sie überrascht an. »Oh.«
»Und ich frage, ob dich das daran hindern würde, jemals in die Gilde zurückzukehren.«
»Ich verstehe …« Plötzlich ergab alles einen Sinn. Die Königin hatte das Gefühl, dass sie ihm als Entschädigung für die Kenntnis der heilenden Magie, die man ihm gestohlen hatte, etwas von gleichem Wert schuldig waren. Die einzige Magie, die er nicht besaß, waren schwarze Magie und die Magie zur Herstellung von Steinen. Da er Ersteres brauchte, um Letzteres zu erlangen, hatten sie beide denselben Preis: Er konnte nie mehr nach Hause zurückkehren. Und das muss bedeuten, dass sie die Möglichkeit erwogen haben, mich eines Tages vielleicht gehen zu lassen … Wie würde die Gilde auf seine Kenntnis schwarzer Magie reagieren? Würden sie es verzeihen, wenn er offenbarte, dass er eine neue Möglichkeit für sie gefunden hatte, sich zu verteidigen? Dann sanken seine Schultern herab. Ich hatte gehofft, einen Weg zu finden, schwarze Magie zu ersetzen, nicht sie zu benutzen. Wenn die Herstellung von Steinen den Einsatz von schwarzer Magie erfordert, dann bin ich gescheitert. Die Gilde würde es vielleicht nicht akzeptieren.
Im nächsten Moment begriff er, dass er das nicht wirklich glaubte. Die Gilde würde niemals die Gelegenheit ablehnen, eine neue Art von Magie zu erlernen, vor allem wenn die Benutzung der Steine keine Benutzung von schwarzer Magie erforderlich machte. Sie würde nur den Kreis jener beschränken, die die Steine herstellten.
Wenn sie von den magischen Edelsteinen profitieren wollten, würde die Gilde akzeptieren müssen, dass Lorkin schwarze Magie erlernt hatte, damit sie diese Steine bekommen konnten. Wenn sie es nicht taten … Nun, sie können mich und die Edelsteine haben oder keins von beidem. Geradeso wie ich akzeptieren muss, dass ich Steinmagie und schwarze Magie haben kann oder weder das eine noch das andere.
Und wenn die Gilde ihn zurückwies … Nun, er würde ins Sanktuarium zurückkehren. Die Gesellschaft der Verräterinnen war nicht ohne Fehler, aber welches Land oder welches Volk konnte das von sich behaupten? Doch bei dem Gedanken, niemals mehr nach Imardin zurückzukehren, durchzuckte ihn ein Stich des Bedauerns. Es musste irgendeine Möglichkeit geben, wie er seine Mutter, Rothen und seine Freunde besuchen konnte.
Das ist etwas, über das ich mir später Gedanken machen muss. Dies hier ist wichtiger. Es könnte katastrophal sein, wenn die Ashaki diese Magie vor der Gilde entdecken. Ich kann mich nicht mit Osen in Verbindung setzen und ihn bitten, eine Versammlung abzuhalten, um zu einer Entscheidung zu kommen. Ich muss diese Gelegenheit nutzen, die Herstellung von Steinen zu erlernen, und hoffen, dass die Gilde mich dafür nicht zurückweisen wird.
Er sah Savara an. »Die Kenntnis schwarzer Magie könnte mich auf Dauer daran hindern zurückzukehren«, erklärte er. »Ich würde meiner Heimat in Zukunft vielleicht nur kurze Besuche abstatten können. Ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen, wenn du mir versicherst, dass es für mich im Sanktuarium immer ein Zuhause geben wird.«
Sie sah ihm direkt in die Augen, dann schaute sie zu Halana hinüber. Die andere Frau nickte. Savara drehte sich wieder um und lächelte. »Solange du niemals unsere Gesetze brichst, wirst du willkommen sein, unter uns zu leben.«
»Danke.«
»Und jetzt«, sagte sie, stand auf und gab Halana ein Zeichen. »Jetzt wird es Zeit, dass wir deine Ausbildung vollenden.« Im Vorbeigehen klopfte sie ihm auf die Schulter. »Ohne Zweifel machst du dir größere Sorgen wegen der höheren Magie. Keine Bange. Das ist der einfache Teil.«
Halana verdrehte die Augen und schnalzte mit der Zunge. »Beachte sie gar nicht«, sagte sie. »Sie hat recht damit, dass höhere Magie einfach zu erlernen ist, aber das Steinemachen ist wirklich nicht so schwierig, wenn du Geduld hast, sorgfältig bist und dich konzentrierst.«
Lorkin schaute noch einmal zu Savara hinüber. Die Frau schüttelte den Kopf, als sei sie anderer Meinung, dann schloss sie die Tür. »Und wenn man diese Eigenschaften nicht hat?«, fragte er und wandte sich wieder an Halana.
Die Frau zuckte die Achseln. »Das hängt von dem Stein ab, den du wachsen lässt. Wenn er dazu bestimmt ist, Wärme zu produzieren, und du dich nicht konzentrierst … Kannst du mit deinen heilenden Kräften Brandwunden behandeln?«
Er schluckte. »Ja.«
Sie lächelte. »Nun denn. Mit einem solchen Vorteil auf deiner Seite hast du keinen Grund zur Sorge.«
Es hatte Sonea nicht überrascht festzustellen, dass Cery nicht unter dem Süßigkeitenladen auf sie wartete und sie stattdessen eine Nachricht entdeckte, die ihnen Anweisungen gab, wie sie ihn finden konnten. Sie, Dorrien und Nikea hatten sich als ein Ehepaar mit Tochter verkleidet, das sein Gewerbe – das Sammeln von Lumpen und deren Vorbereitung für die Papierherstellung – auszudehnen bestrebt war. Cerys Nachricht führte sie in ein Bolhaus, über einen kleinen Abendmarkt und in ein Badehaus, bevor sie aus einem Keller stiegen, um festzustellen, dass Cery sich für die Nacht ein adrettes und überraschend gut eingerichtetes Haus organisiert hatte.
Wo die Bewohner waren, wollte Sonea gar nicht fragen. Überall waren Spuren von ihnen zu entdecken, angefangen von den Spielzeugen, die man durch die offene Tür eines Schlafzimmers sehen konnte, bis hin zu dem halbverzehrten Mahl auf dem Tisch. Sie fanden Cery in einem verdunkelten Raum, wo er am Fenster saß. Gol hatte sie im Keller erwartet und gewarnt, kein Licht zu schaffen.
»Das Treffen findet angeblich in diesem Raum dort drüben statt, im ersten Stock«, erklärte Cery und deutete aus dem Fenster.
Sonea blickte hinüber und erkannte auf der anderen Gassenseite ein von Lampen erhelltes Gästezimmer. Die Gasse war so schmal, dass sie mit wenigen Schritten in den anderen Raum hätte hineintreten können, wären nicht zwei Mauern dazwischen gewesen.
Sie erörterten, wie man in das andere Gebäude hineingelangen und die offenkundigen Fluchtwege abschneiden konnte. Cery hatte niemanden nahe genug heranbringen können, um nach verborgenen Fluchtrouten Ausschau zu halten, ohne dass der Betreffende das Risiko eingegangen wäre, gesehen zu werden. Das Haus, in dem sie sich befanden, brachte sie ihrem Ziel so nahe, wie er es wagte. Es war die Aufgabe der Magier, ihren Weg hinüber in den gegenüberliegenden Raum zu finden, sobald das Treffen begann.
Sonea entwarf zusammen mit Dorrien und Nikea einen Plan, aber sie bekamen keine Gelegenheit, ihn in die Tat umzusetzen. Der Raum gegenüber blieb leer.
Die Nacht verstrich langsam, und mit jeder Stunde zog Cery sich weiter in sich selbst zurück. Er sprach immer seltener, und schließlich verfielen sie alle in Schweigen, weil sie ihre Befürchtungen nicht in Worte fassen wollten. Schultern sanken herab, und Gesichter wurden lang vor Enttäuschung, als klar wurde, dass es kein Treffen geben würde, und keine Gefangennahme Skellins oder irgendeiner anderen Person. Als die Mauern außerhalb des Fensters heller wurden, brach Nikea schließlich das Schweigen.
»Was denkt Ihr? Sollten wir den Schluss ziehen, dass das Treffen abgesagt wurde?«
Alle tauschten Blicke, bis auf Cery, der ins Leere starrte.
»Wir werden auf Neuigkeiten warten«, erwiderte Sonea.
»Falls es Anyi gelungen ist, sich davonzustehlen oder eine Nachricht zu schicken, wo würden wir sie finden?«, fragte Dorrien Cery.
Die Falte zwischen Cerys Brauen vertiefte sich. »Sie würde nicht hierherkommen oder eine Nachricht hierherschicken, um keine Aufmerksamkeit auf uns zu lenken.« Er stand auf, eine Bewegung, die nach Stunden der Stille und der Reglosigkeit abrupt wirkte. »Folgt mir.«
Sie gehorchten, kehrten in den Keller zurück und gingen wieder in das Badehaus. Dort trat die nicht mehr ganz junge Frau, die das Haus führte, nervös an Cery heran und reichte ihm ein Stück Papier.
»Es tut mir leid. Es ist vor einigen Stunden gekommen«, erklärte sie. »Ich wusste nicht, was ich damit anfangen soll. Ihr habt nie gesagt, dass ich vielleicht Nachrichten bekommen würde oder wo ich sie hinschicken sollte.«