»Ist es möglich, dass sich unter ihnen Hüter der Legende befinden?«, fragte Dannyl.
Vakachi hob die Hände. »Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Da die Hüter sich verborgen halten, indem sie ein gewöhnliches Leben führen und nichts von ihrem Status verlauten lassen, könnten einige von ihnen hier sein, aber niemand weiß es.« Er lächelte. »Nein, Eure beste Chance auf eine Begegnung mit einem Hüter besteht darin, den Steilabbruch hinaufzusteigen und unter den reinblütigen Stämmen nach einem zu suchen. Und selbst dort stehen Eure Chancen nicht gut. Die Duna haben die Gewohnheit, sich außerordentlich sperrig zu zeigen.«
»Das habe ich gehört und gelesen«, sagte Dannyl.
Vakachi nickte. »Trotzdem, es ist möglich, dass ein Fremdländer größeres Glück haben wird als ein Sachakaner. Ich habe für Euch alle den Transport zum Steilabbruch arrangiert; Ihr werdet morgen aufbrechen. Es wird einige Tage in Anspruch nehmen. In der Zwischenzeit«, er deutete auf die Sklaven, die hintereinander in den Raum traten, »esst, ruht aus und seid mir willkommen.«
23
Gute und schlechte Neuigkeiten
Als Sonea den Behandlungsraum betrat, musterte Dorrien sie eingehend und runzelte die Stirn.
»Du siehst blass aus«, sagte er.
»Mir geht es gut«, erwiderte sie, während sie sich hinsetzte.
»Wann hast du das letzte Mal Sonnenlicht gesehen?«
Sonea dachte nach. Sie arbeitete jetzt seit einigen Wochen in der Nachtschicht und nahm sich nur dann frei, wenn sie sich mit Cery treffen musste. Der Morgen nach dem gescheiterten Versuch, Skellin zu fangen, war der letzte Tag gewesen, an dem sie Sonnenlicht gesehen hatte, obwohl sie gewiss …
»Wenn es so lange her ist, dass du dich nicht mehr richtig daran erinnerst, war es zu lange«, erklärte Dorrien ihr streng.
Sonea zuckte die Achseln. »Die kurzen Wintertage bedeuten, dass es dunkel ist, wenn ich die Gilde verlasse.«
»Wenn du wartest, bis die Tage länger werden, wirst du die Sonne vielleicht wochenlang nicht zu Gesicht bekommen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust. »Du bist wie eine unheimliche nächtliche Kreatur, und die schwarzen Roben und die schwarze Magie machen diesen Eindruck nicht gerade besser.«
Sie lächelte. »Du hast doch keine Angst vor mir, oder?«
Er kicherte. »Kein bisschen. Aber ich würde zögern, dich zum Abendessen einzuladen. Du könntest die Mädchen erschrecken.«
»Hmm … ich bin wahrscheinlich an der Reihe, ein Abendessen zu veranstalten.«
»Du brauchst die Einladung nicht zu erwidern«, erklärte er ihr. »Du hast zu viele andere Dinge im Kopf. Hast du in letzter Zeit etwas von Cery gehört?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur einige rätselhafte Nachrichten. Er glaubt, dass Lorandra sich inzwischen Skellin angeschlossen haben wird.«
»Wie läuft Kallens Suche nach Lilia und Naki?«
»Er und seine Assistenten haben Flugblätter mit Zeichnungen und Beschreibungen der Mädchen erstellt und einige Leute angeheuert, die sie in der Stadt verteilen. Mehrere Leute haben berichtet, sie hätten eins der Mädchen oder beide gesehen, aber diese Hinweise haben zu nichts geführt.«
»Man hat Naki gesehen? Das bedeutet zumindest, dass sie lebt.«
»Falls das Mädchen, das die Leute gesehen haben, Naki war. Wie dem auch sei, die Wache hat keine Leichen von jungen Frauen gefunden, die wie sie aussehen.«
Dorrien blickte nachdenklich drein. »Wir sollten einige dieser Flugblätter in den Hospitälern aufhängen.«
Sonea nickte. »Das ist eine gute Idee.«
»Ich werde einen Boten zu Kallen schicken, bevor ich aufbreche. Ein Jammer, dass wir kein Bild von Lorandra haben anfertigen lassen, bevor sie entflohen ist.«
»Ihr Aussehen ist sehr viel auffälliger als das der Mädchen, und das Gleiche gilt für Skellin, aber die Beschreibungen, die wir von den beiden in Umlauf gebracht haben, haben ebenfalls zu nichts geführt.«
»Nein, ich nehme an …«
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Sonea drehte sich gerade rechtzeitig um, um zu sehen, wie die Tür aufschwang. Heiler Gejen nickte ihr höflich zu.
»Schwarzmagierin Sonea«, sagte er ehrerbietig, bevor er sich an Dorrien wandte. »Eure Frau ist hier, um Euch zu sehen, Lord Dorrien.«
»Sagt ihr, ich werde kommen, sobald ich Sonea Bericht erstattet habe«, erwiderte Dorrien.
Als die Tür geschlossen wurde, seufzte Dorrien. »Ich habe mich gefragt, wie lange es dauern würde, bis sie den Mut aufbringt, hier nach mir zu sehen.«
»Nach dir zu sehen?«
»Ja. Um sich davon zu überzeugen, dass wir nichts treiben, das sie missbilligen würde.«
Sonea schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht. Was denkt sie denn, was wir hier tun? Hat sie Angst, dass ich einen schlechten Einfluss auf dich haben werde?«
»In gewisser Weise, ja.«
»Sie denkt, ich könnte dich vielleicht schwarze Magie lehren?« Sonea warf verärgert die Hände hoch. »Wie kann ich sie dazu bringen, mir zu vertrauen?«
»Es ist nicht so, dass sie dir misstraut. Sie hat große Ehrfurcht vor dir. Und sie ist eifersüchtig.«
Sie musterte Dorrien. Er hatte eine Miene aufgesetzt, die sie schon früher bei ihm gesehen hatte. Bevor sie seinen Gesichtsausdruck einordnen konnte, begann er wieder zu sprechen.
»Ich bin derjenige, dem sie nicht vertraut.«
»Du? Warum denn das?«
»Weil …« Er hielt inne, dann sah er sie unsicher an, als falle es ihm schwer, ihrem Blick standzuhalten. »Weil sie weiß, dass ich, sollte sich jemals eine Chance bieten, mit dir zusammen zu sein, diese Chance ergreifen würde.«
Sie starrte ihn an, überrascht und schockiert. Plötzlich verstand sie den Ausdruck auf seinem Gesicht. Schuldgefühle. Und eine vorsichtige Sehnsucht. Plötzlich regten sich auch in ihr Gewissensbisse, und sie musste den Blick abwenden. All diese Jahre, und er hat niemals aufgehört, mich zu wollen. Ich dachte, er hätte mich überwunden, als er Alina begegnete und sie heiratete. Ich war erleichtert, frei von der Last zu sein, seine Gefühle nicht zu erwidern.
Sie war damals tief in Trauer gewesen, weil sie immer noch den Mann liebte, den sie verloren hatte. Es hatte keinen Platz in ihrem Herzen gegeben, um einen anderen in Erwägung zu ziehen.
Gab es diesen Platz jetzt?
Nein, dachte sie. Doch gleichzeitig regte sich in ihr ein verräterisches Gefühl, dem zu widersprechen. Einen Moment lang geriet sie in Panik, dann schob sie die Regung beiseite. Ich darf Dorrien nicht begehren. Er ist verheiratet. Das würde die Dinge für uns alle nur peinlich und schmerzhaft machen. Sie musste irgendetwas sagen, das dieser Möglichkeit einen Riegel vorschob, bevor sie sich in ihrem Denken einnisten konnte. Etwas Taktvolles, aber Deutliches. Etwas … aber ihr fielen die richtigen Worte nicht ein.
Dorrien stand auf. »So. Ich habe es ausgesprochen. Ich …« Er brach ab, als sie aufblickte und ihm in die Augen sah, dann lächelte er schief. »Ich sehe dich morgen«, murmelte er. Er ging zur Tür, öffnete sie und verließ den Raum.
Es spielt keine Rolle, was ich sage, begriff sie. Es ist bereits peinlich und schmerzhaft, und es ist schon seit Monaten so. Ich habe die Situation lediglich erst jetzt begriffen.
Cerys Heim war ein Loch im Boden. Es war jedoch ein überraschend luxuriöses Loch, mit allen Annehmlichkeiten eines Herrenhauses in der Inneren Stadt. Es war so luxuriös, dass es Lilia leichtfiel zu vergessen, dass sie sich unter der Erde befand. Die einzige Erinnerung daran war die geringe Größe des Hauses – es enthielt nur wenige Zimmer – und sein Mangel an Dienstboten.
Hätte er Dienstboten eingestellt, hätte das bedeutet, dass Menschen kamen und gingen, und das wäre dem Ziel, ein geheimes Versteck zu haben, nicht dienlich gewesen. Cerys Leibwächter, Gol, hatte ihr versichert, dass es Nahrungsmittelvorräte gebe wie getrocknete Bohnen und Getreide, gesalzenes Fleisch und konservierte Früchte und Gemüse, die hier gelagert wurden, sollte es irgendwann einmal zu gefährlich werden, das Versteck zu verlassen. Sie hatte aber nie erlebt, dass irgendjemand etwas kochte. Stattdessen brachte Gol alle paar Tage frisches Essen in das Versteck.