Выбрать главу

»Gut, dann ist ja alles in Ordnung.«

James lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, warf einen Blick zu Simon hinüber und verspürte eine unsinnige Irritation. Der Junge hatte alles. Gutes Aussehen, einen begüterten Hintergrund, eine aufreizend ruhige und ausgeglichene Persönlichkeit. Ganz offensichtlich betete er Milly an; er war höflich zu Olivia, er war aufmerksam gegenüber der restlichen Familie. Man konnte nicht klagen. Und dabei, gestand James sich ein, war er heute Abend in der Laune zu klagen.

Er hatte einen grässlichen Arbeitstag hinter sich. Die Maschinenbaufirma, in deren Finanzabteilung er arbeitete, war in den letzten Monaten umstrukturiert worden. Endlose Gerüchte hatten an diesem Tag in der Ankündigung gegipfelt, unter den jüngeren Angestellten seiner Abteilung würden vier Arbeitsstellen gestrichen. Die Nachricht sollte vertraulich sein, aber sie hatte offensichtlich die Runde gemacht. Als er das Büro verließ, saßen noch alle pflichtbewusst über ihre Schreibtische gebeugt. Manche hatten ihren Kopf gesenkt, andere schauten mit furchtsamen Augen auf, als er vorbeiging. Jeder Einzelne von ihnen hatte eine Familie und eine Hypothek. Keiner konnte es sich leisten, seinen Job zu verlieren. Keiner von ihnen verdiente es.

Als er in Pinnacle Hall eintraf, fühlte er sich durch das Ganze unbeschreiblich deprimiert. Beim Parken des Autos beschloss er, auf Olivias Frage, wie sein Tag gewesen sei, einmal die Wahrheit zu sagen. Vielleicht nicht gleich alles, aber genug, um ihr die Augen zu öffnen, mit welcher Last er sich herumschlagen musste. Doch sie hatte sich nicht danach erkundigt – und ein gewisser Stolz hatte ihn davon abgehalten, mit seiner Geschichte herauszurücken. Er wollte nicht, dass seine Frau sich ihm wie einem weiteren Wohltätigkeitsprojekt zuwandte. Ausgesetzte Ponys, behinderte Kinder, ein unglücklicher Ehemann.

Inzwischen sollte er eigentlich an Olivia gewöhnt sein, dachte James. Er sollte daran gewöhnt sein, dass sie sich nicht sonderlich für ihn interessierte, dass ihr Leben voll anderer Sorgen war, dass sie den Problemen ihrer geschwätzigen Freundinnen mehr Aufmerksamkeit schenkte, als sie ihm je geschenkt hatte. Immerhin hatten sie sich ein stabiles, funktionierendes Zusammenleben erarbeitet. Wenn sie schon keine tiefe seelische Verbindung hatten, so bestand doch zumindest eine Art Symbiose zwischen ihnen. Sie hatte ihr Leben, und er seines – und wo sie sich überschnitten, gingen sie immer vollkommen freundschaftlich miteinander um. James hatte sich vor langer Zeit mit diesem Arrangement abgefunden, hatte gedacht, mehr brauche er nicht. Aber das war nicht wahr. Er brauchte mehr, er wollte mehr. Er wollte ein anderes Leben, ehe es zu spät war.

»Ich würde gern einen Toast ausbringen.«

Harrys Stimme riss James aus seinen Gedanken, und er sah mit einem leichten Stirnrunzeln hoch. Da war er. Harry Pinnacle, einer der erfolgreichsten Männer des Landes und der zukünftige Schwiegervater seiner Tochter. James war sich bewusst, dass seinesgleichen ihn um diese Verbindung beneidete und dass er sich über Millys künftige finanzielle Sicherheit hätte freuen sollen. Aber er weigerte sich, sich darüber zu freuen, dass seine Tochter eine Pinnacle würde, lehnte es ab, sich wie seine Frau in der faszinierten Neugierde ihrer Freunde zu aalen. Er hatte Olivia am Telefon gehört, wie sie Harrys Namen fallen ließ und dabei eine Vertrautheit mit dem großen Mann anklingen ließ, die es, wie er wusste, nicht gab. Sie holte aus der Situation raus, was ging – und ihr Benehmen beschämte ihn zutiefst. Es gab Tage, da wünschte er, Milly hätte Harry Pinnacles Sohn nie kennen gelernt.

»Auf Milly und Simon!«, rief Harry mit der rauen Stimme, die seine Äußerungen bedeutender klingen ließ als die aller anderen.

»Auf Milly und Simon«, echote James und ergriff das schwere venezianische Glas vor ihm.

»Der Wein ist einfach vorzüglich«, meinte Olivia. »Bist du zu allem Überfluss etwa auch noch ein Weinkenner, Harry?«

»O Gott, nein«, erwiderte Harry. »Ich verlasse mich da auf Leute mit Geschmack, die mir sagen, was ich kaufen soll. Für mich ist ein Wein wie der andere.«

»Na, also das nehme ich dir nicht ab! Du bist zu bescheiden!«, rief Olivia aus. Ungläubig beobachtete James, wie sie Harry vertraut die Hand tätschelte. Für wen hielt sie sich bloß? Leicht angewidert wandte er sich ab und fing Simons Blick auf.

»Prost, James!«, sagte Simon und erhob sein Glas. »Auf die Hochzeit!«

»Ja«, sagte James und trank einen riesigen Schluck Wein. »Auf die Hochzeit!«

Während er beobachtete, wie alle den Wein seines Vaters tranken, spürte Simon, dass es ihm plötzlich die Kehle zuschnürte. Er hustete und sah auf.

»Eine Person fehlt heute Abend«, sagte er. »Und ich würde gern einen Toast auf sie aussprechen.« Er erhob sein Glas. »Auf meine Mutter.« Es entstand eine kleine Pause, und er war sich der Blicke bewusst, die zum Kopfende des Tisches schnellten. Dann erhob Harry sein Glas.

»Auf Anne«, sagte er feierlich.

»Auf Anne«, echoten James und Milly.

»Hieß sie so?«, erkundigte sich Olivia und blickte mit geröteten Wangen auf. »Ich dachte immer, sie hätte Louise geheißen.«

»Nein«, sagte Simon. »Anne.«

»Na ja«, meinte Olivia. »Wenn du das sagst.« Sie erhob ihr Glas. »Anne. Anne Pinnacle.« Sie trank aus ihrem Glas, dann sah sie zu Milly, als sei ihr plötzlich etwas eingefallen. »Du hast doch nicht vor, deinen Mädchennamen zu behalten, oder, Schatz?«

»Ich glaube nicht«, sagte Milly. »Obwohl, für die Arbeit könnte ich den Namen vielleicht beibehalten.«

»O nein!«, rief Olivia. »Zu verwirrend. Sei einfach durch und durch eine Pinnacle!«

»Also, ich finde die Idee nicht schlecht«, sagte James. »Behalte deine Unabhängigkeit. Was meinst du dazu, Simon? Würde es dich stören, wenn Milly weiterhin Havill hieße?«

»Ehrlich gesagt«, sagte Simon, »würde ich es vorziehen, wenn wir einen Namen teilen. Alles andere teilen wir ja auch.« Er wandte sich lächelnd Milly zu. »Aber natürlich finde ich es auch schade, Milly Havill zu verlieren. Schließlich war sie es, in die ich mich verliebt habe.«

»Wie rührend«, bemerkte James.

»Würdest du in Erwägung ziehen, den Namen Havill anzunehmen?«, fragte Harry vom Tischende aus.

Simon sah ihn ruhig an. »Ja, würde ich«, sagte er. »Wenn Milly das wirklich wollte.«

»Nein!«, rief Olivia. »Das würdest du doch nicht, oder, Schatz?«

»Ich nehme an, du hättest Mums Namen angenommen, oder, Dad?«, wollte Simon wissen.

»Nein«, erwiderte Harry. »Das hätte ich nicht.«

»Tja«, meinte Simon angespannt. »Ich bin bereit, meine Ehe vor alles andere zu stellen, das ist der Unterschied.«

»Der Unterschied liegt darin«, meinte Harry, »dass der Mädchenname deiner Mutter Parade war.« Olivia lachte, und Simon warf ihr einen zornigen Blick zu.

»Die Sache ist die«, sagte er laut, »dass Namen bedeutungslos sind. Es sind Menschen, die eine Ehe funktionieren lassen. Nicht Namen.«

»Und in Sachen Ehe bist du natürlich Experte«, bemerkte Harry.

»Ein größerer als du! Zumindest habe ich meine noch nicht verpfuscht!« Kurze Zeit herrschte Stille. Die Havills blickten auf ihre Teller. Simon starrte seinen Vater schwer atmend an. Dann zuckte Harry mit den Achseln.

»Ich bin mir sicher, Milly und du, ihr werdet sehr glücklich sein«, sagte er. »Solch ein Glück ist nicht jedem von uns vergönnt.«

»Mit Glück hat das überhaupt nichts zu tun«, versetzte Simon wütend. »Glück kommt da nicht mit ins Spiel!« Er blickte zu Olivia und James. »Was meint ihr, was macht eine erfolgreiche Ehe aus?«

»Geld!«, sagte Olivia und lachte hell auf. »Äh, nur ein Scherz!«

»Es ist die Kommunikation, nicht?« Simon beugte sich ernst vor. »Zu teilen, zu sprechen, einander in- und auswendig zu kennen. Würdest du mir da nicht zustimmen, James?«