»All diese Geschenke«, frotzelte Harry. »Ihr werdet ja richtig verzogen.«
»Wenn’s dir recht ist, komme ich heute Abend noch mal mit Milly her und zeige ihr die Wohnung.«
»Es ist deine Wohnung. Tu, was immer du magst.«
Sie schlenderten aus dem Wohnzimmer in einen lichten, breiten Korridor. Das größte Schlafzimmer überblickte den Garten: Türhohe Fenster öffneten sich zu einem kleinen schmiedeeisernen Balkon.
»Mehr als zwei Schlafzimmer braucht ihr nicht.« In seiner Stimme schwang ein kleines Fragezeichen mit. »Ihr denkt doch sicher nicht gleich an Kinder?«
»O nein. Dafür ist noch eine Menge Zeit. Milly ist erst achtundzwanzig.«
»Trotzdem …« Harry drückte auf einen Lichtschalter an der Tür, und an der Decke erstrahlte eine nackte Glühbirne. »Ihr werdet Lampenschirme brauchen. Oder was immer.«
»Ja«, sagte Simon. Er sah seinen Vater an. »Wieso? Meinst du, wir sollten gleich Kinder bekommen?«
»Nein«, erwiderte Harry mit Nachdruck. »Bloß nicht.«
»Wirklich nicht? Aber bei dir war’s doch so.«
»Eben. Das war ja unser Fehler.«
Simon versteifte sich.
»Ich war ein Fehler, ja?«, sagte er. »Ein Versehen?«
»So habe ich das nicht gemeint, und das weißt du auch«, versetzte Harry gereizt. »Sei doch nicht immer eine solch verdammte Mimose!«
»Was erwartest du, wenn du mir gerade erzählst, dass ich unerwünscht war?«
»Natürlich warst du erwünscht!« Harry machte eine Pause. »Der Zeitpunkt hätte halt günstiger liegen können.«
»Tja, tut mir leid, wenn ich ungelegen gekommen bin«, erwiderte Simon zornig. »Aber eine Wahl über den Zeitpunkt meines Kommens hatte ich ja nicht. Die Entscheidung lag nicht direkt bei mir, oder?« Harry zuckte zusammen.
»Hör mal, Simon. Ich meinte doch bloß …«
»Ich weiß, was du gemeint hast!«, versetzte Simon und ging zum Fenster. Er starrte in den verschneiten Garten hinaus und versuchte, seine Stimme zu mäßigen. »Ich war eine Last, stimmt’s? Und das bin ich noch immer.«
»Simon …«
»So, jetzt hör zu, Dad. Ich werde dir nicht länger zur Last fallen, okay?« Simon wirbelte mit bebendem Gesicht herum. »Aber deine Wohnung kannst du behalten, herzlichen Dank. Milly und ich werden uns selbst was suchen.« Er warf die Schlüssel auf den Boden und eilte zur Tür.
»Simon!«, rief Harry wütend. »Sei doch nicht so dumm!«
»Tut mir leid, dass ich dir all die Jahre im Weg war«, sagte Simon an der Tür. »Aber nach Samstag bin ich fort. Du brauchst mich nie wieder zu sehen. Das könnte für beide Teile eine Erleichterung sein.«
Er schlug die Tür zu und ließ Harry allein zurück, der auf die im winterlichen Sonnenlicht blinkenden Schlüssel starrte.
Die Family Registry war groß, hell und mit einem weichen, grünen Teppich ausgelegt. In modernen Buchenholzregalen waren Unmengen von Registerbänden untergebracht, unterteilt in Geburten, Eheschließungen und Sterbefälle. Bei den Eheschließungen, zu denen Milly sich beklommen begab, war bei weitem am meisten los. Leute wuselten herum, holten sich Bände aus den Regalen heraus oder steckten sie wieder hinein, machten sich Notizen und sprachen leise miteinander. An der Wand hing ein Anschlag mit der Überschrift WIR HELFEN IHNEN, IHREN STAMMBAUM ZURÜCKZUVERFOLGEN. Zwei Damen mittleren Alters waren in einen Band aus dem 19. Jahrhundert vertieft. »Charles Forsyth!«, rief eine davon aus. »Aber ob das auch unser Charles Forsyth ist?« Niemand hier machte einen besorgten oder schuldbewussten Eindruck. Alle anderen, dachte Milly, verbrachten hier einen angenehmen Vormittag.
Mit gesenktem Blick steuerte sie auf die Registerbände jüngeren Datums zu und zog den betreffenden heraus. Einen Augenblick konnte sie ihren Namen nicht finden, und sie wurde von einer lächerlichen Hoffnung erfüllt. Aber dann sprang er ihr unvermittelt entgegen. HAVILL, MELISSA G – KEPINSKI. OXFORD.
Milly rutschte das Herz in die Hose. Unwillkürlich hatte sie sich der Hoffnung hingegeben, ihre Eheschließung mit Allan sei vielleicht durch die rechtlichen Maschen geschlüpft. Aber da war sie, schwarz auf weiß, für jeden nachlesbar. Ein paar gedankenlose Minuten in einem Standesamt in Oxford hatten zu diesem bleibenden Beweisstück geführt: ein unauslöschbarer Eintrag, der nie, niemals mehr verschwinden würde. Sie starrte auf die Seite nieder, konnte den Blick nicht davon losreißen, bis die Worte vor ihren Augen zu tanzen anfingen.
»Wissen Sie, Sie können eine Bescheinigung erhalten.« Eine fröhliche Stimme erschreckte sie, und sie fuhr vor Angst auf und bedeckte ihren Namen mit der Hand. Ein freundlicher junger Mann mit einem Namensschild an der Brust stand vor ihr. »Wir stellen Hochzeitsurkunden zur Verfügung. Sie können sie auch rahmen lassen. Ein äußerst schönes Geschenk.«
»Nein danke«, sagte Milly. Bei der Vorstellung hätte sie am liebsten hysterisch losgelacht. »Nein danke.« Sie schlug das Buch zu, als könne sie dem Eintrag damit den Garaus machen. »Eigentlich wollte ich ins Scheidungsregister schauen.«
»Dann sind Sie hier aber an der falschen Adresse!« Der junge Mann grinste sie an, belustigt über ihre Unkenntnis. »Da müssen Sie ins Somerset House.«
Noch nie hatte Isobel ein so großes Zelt gesehen. Es blähte sich prachtvoll im Wind, ein riesiger weißer Pilz, der die parkenden Autos und Transporter daneben winzig erscheinen ließ.
»Ach, herrje!«, sagte sie. »Das kostet doch sicher ein Vermögen!« Olivia zuckte zusammen.
»Still, Schatz!«, mahnte sie. »Es könnte dich jemand hören.«
»Die wissen doch aber bestimmt alle, wie viel es kostet.« Isobel starrte auf den Strom junger Männer und Frauen, die ins Zelt hinein und wieder hinaus gingen, viele davon trugen Kisten, Kabel oder Holzplanken.
»Dort drüben kommt ein überdachter Gang hin, der das Zelt mit dem rückwärtigen Teil von Pinnacle Hall verbindet«, erklärte Olivia gestikulierend. »Und Garderoben.«
»Herrje«, sagte Isobel erneut. »Das sieht ja wie ein Zirkus aus.«
»Na ja, weißt du, wir hatten wirklich an einen Elefanten gedacht«, gestand Olivia. Isobel glotzte sie an.
»An einen Elefanten?«
»Um das glückliche Paar davonzutragen.«
»Auf einem Elefanten kämen sie nicht weit«, wandte Isobel ein und fing zu lachen an.
»Stattdessen übernimmt das jetzt ein Helikopter«, sagte Olivia. »Aber verrat’s Milly nicht. Soll eine Überraschung werden.«
»Wow! Ein Helikopter!«
»Bist du schon mal in einem geflogen?«
»Ja«, erwiderte Isobel. »Ein paarmal schon. Eigentlich ist es ziemlich nervenaufreibend.«
»Ich noch nie«, sagte Olivia. »Nicht ein einziges Mal.« Sie seufzte leise, und Isobel kicherte.
»Möchtest du nicht an Millys statt fliegen? Bestimmt hätte Simon nichts dagegen.«
»Sei nicht albern«, wies Olivia sie zurecht. »Komm, lass uns reinschauen.«
Sie bahnten sich ihren Weg über den verschneiten Boden zum Zelt und lüpften eine Bahn.
»Oh, Mann!«, sagte Isobel bedächtig. »Von innen wirkt’s ja noch gigantischer.« Beide sahen sich in dem riesigen Raum um. Überall waren Leute, trugen Stühle, installierten Heizgeräte, brachten Lampen an.
»So groß ist es gar nicht«, meinte Olivia unsicher. »Wenn die Stühle und Tische erst mal alle drin sind, wird’s recht gemütlich sein.« Sie hielt inne. »Na ja, vielleicht nicht direkt gemütlich …«
»Tja, Hut ab vor Harry!«, sagte Isobel. »So was hat’s noch nicht gegeben!«
»Wir haben auch dazu beigetragen!«, rief Olivia ärgerlich. »Mehr, als dir vielleicht klar ist. Und überhaupt, Harry kann es sich leisten.«
»Keine Frage.«
»Er mag Milly sehr gern, weißt du.«
»Ich weiß«, sagte Isobel. »Mann o Mann …« Sie sah sich um und biss sich auf die Lippen.