»Viel Zeit habe ich nicht«, sagte er. »Habe furchtbar viel zu tun. Also – was genau möchtest du von mir?«
»Du siehst schrecklich aus, Rupert«, sagte Milly frei heraus. »Bist du glücklich?«
»Ich bin sehr glücklich. Danke.« Mit einem weiteren großen Schluck hatte er praktisch das Glas geleert, und Milly zog eine Augenbraue hoch.
»Ganz sicher?«
»Milly, wir sind hier, um über dich zu sprechen«, meinte Rupert ungeduldig. »Nicht über mich. Was genau ist dein Problem?«
Einen schweigenden Augenblick sah Milly ihn an, dann lehnte sie sich zurück.
»Mein Problem?«, sagte sie leichthin, als würde sie sich die Sache sorgfältig durch den Kopf gehen lassen. »Was ist mein Problem? Mein Problem ist, dass ich am Samstag einen Mann heirate, den ich sehr liebe. Meine Mutter hat die bombastischste Hochzeitsfeier der Welt auf die Beine gestellt. Sie wird in jeder Hinsicht schön, romantisch und vollkommen sein.« In ihren Augen blitzte Zorn. »Oh, bis auf eines: Ich bin noch immer mit deinem Freund Allan Kepinski verheiratet.«
Rupert fuhr zusammen.
»Ich verstehe das nicht«, sagte er. »Warum seid ihr denn nicht geschieden?«
»Frag Allan! Er wollte das doch angeblich in die Hand nehmen.«
»Und das hat er nicht?«
»Er hat es angefangen«, erklärte Milly. »Ich habe mit der Post einige Unterlagen bekommen. Und ich habe einen Abschnitt unterschrieben und zurückgeschickt. Ansonsten aber habe ich nie mehr etwas gehört.«
»Und du hast dich nie näher damit befasst?«
»Keiner hat davon gewusst. Keiner hat je Fragen gestellt. Es erschien nicht wichtig.«
»Der Umstand, dass du verheiratet warst, erschien nicht wichtig?«, fragte Rupert fassungslos. Milly blickte auf und sah seine Miene.
»Jetzt fang bloß nicht an, mir dafür die Schuld zu geben!«, sagte sie. »Das ist nicht meine Schuld!«
»Du wartest bis kurz vor deiner Hochzeit, um etwas über deine Scheidung herauszubekommen, und du sagst, es sei nicht deine Schuld?«
»Ich habe nicht gedacht, dass es nötig ist, etwas darüber herauszubekommen«, erwiderte Milly wütend. »Mir ging es gut. Keiner hat davon gewusst! Niemand hat irgendwas geahnt!«
»Ja, und jetzt?«, wollte Rupert wissen. Milly ergriff ihr Weinglas und umfasste es mit beiden Händen.
»Jetzt weiß es jemand«, sagte sie. »Jemand hat uns in Oxford gesehen. Und er droht damit, etwas zu sagen.«
»Verstehe.«
»Wag’s bloß nicht, mich so anzuschauen«, sagte Milly scharf. »Okay, ich weiß, ich hätte etwas deswegen unternehmen müssen. Aber das hätte Allan auch. Er hat gesagt, er würde alles ins Reine bringen, und ich habe ihm vertraut! Ich habe euch beiden vertraut. Ich habe gedacht, wir wären Freunde.«
»Waren wir auch«, sagte Rupert nach einer Pause.
»Was für ein Blödsinn!«, rief Milly. Ihre Wangen röteten sich. »Ihr zwei habt mich bloß ausgenutzt. Ihr habt mich nur für eure Zwecke benutzt – und sobald ich fort war, habt ihr mich vergessen. Ihr habt nie geschrieben, nie angerufen …« Sie knallte ihr Glas auf den Tisch. »Habt ihr denn meine ganzen Briefe nicht bekommen?«
»Doch.« Rupert fuhr sich durchs Haar. »Es tut mir leid. Ich hätte antworten sollen. Aber … es war eine schwierige Zeit.«
»Allan hat wenigstens geschrieben. Aber selbst das war für dich ja schon zu viel. Und doch habe ich noch an dich geglaubt.« Sie schüttelte den Kopf. »Herrgott, was war ich doch für eine dumme Kuh!«
»Dumm waren wir alle«, meinte Rupert. »Hör mal, Milly, es tut mir leid, wirklich. Ich wünschte ehrlich, ich könnte das alles ungeschehen machen. Alles!«
Milly sah ihn mit großen Augen an. Seine Blicke irrten unglücklich umher, die goldenen Haarsträhnen über seiner Stirn zitterten.
»Rupert, was ist eigentlich los?«, wollte sie wissen. »Wieso bist du verheiratet?«
»Ich bin verheiratet«, sagte Rupert und zuckte steif mit den Achseln. »Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Aber du warst schwul. Du warst in Allan verliebt.«
»War ich nicht. Ich war irregeleitet. Ich war … es war ein Fehler.«
»Aber ihr beide habt so gut zusammengepasst!«
»Nein!«, blaffte Rupert. »Das war alles ein Fehler. Warum kannst du mir das nicht glauben?«
»Tja, natürlich kann ich das«, sagte Milly. »Aber ihr beide zusammen, das schien einfach so richtig.« Sie zögerte. »Wann hast du es gemerkt?«
»Was gemerkt?«
»Dass du doch nicht schwul bist?«
»Milly, ich möchte nicht darüber reden. Klar?« Mit zitternder Hand griff er nach seinem Glas und trank einen Schluck Wein.
Nach einem kleinen Achselzucken lehnte Milly sich auf ihrem Stuhl zurück. Träge ließ sie den Blick durch den Alkoven schweifen. Auf der grob verputzten Wand zu ihrer Linken befand sich ein Kreuz-und-Kringelspiel, das jemand mit einem Bleistift angefangen und dann aufgegeben hatte. Ein Spiel, das nur in einer Sackgasse hatte enden können.
»Weißt du, du hast dich seit Oxford ganz schön verändert«, sagte Rupert abrupt. »Du bist erwachsen geworden. Ich hätte dich gar nicht mehr wiedererkannt.«
»Ich bin zehn Jahre älter«, warf Milly ein.
»Es liegt nicht nur daran. Es ist … ich weiß nicht.« Er machte eine vage Geste. »Dein Haar. Deine Kleider. Ich hätte nicht erwartet, dass du dich so entwickelst.«
»Wie, so?«, fragte Milly aufmüpfig. »Was stimmt denn an mir nicht?«
»So meine ich das nicht«, erwiderte Rupert. »Du siehst einfach bloß … geschniegelter aus, als ich es von dir erwartet hätte. Eleganter.«
»Tja, so bin ich jetzt nun mal, okay?« Milly sah ihn streng an. »Wir alle dürfen uns verändern, Rupert.«
»Ich weiß.« Rupert errötete. »Und du siehst … großartig aus.« Er beugte sich vor. »Erzähl mir von dem Typen, den du heiratest.«
»Er heißt Simon Pinnacle.« Milly beobachtete, wie sich Ruperts Gesichtsausdruck veränderte.
»Nicht verwandt mit …«
»Sein Sohn«, erwiderte Milly. Rupert starrte sie an.
»Im Ernst? Harry Pinnacles Sohn?«
»Im Ernst.« Sie lächelte halbherzig. »Ich hab’s dir doch gesagt. Das ist die Hochzeit des Jahrhunderts.«
»Und niemand hat eine Ahnung.«
»Niemand.«
Rupert sah Milly einen Augenblick an, dann seufzte er. Er zog ein kleines schwarzes Notizbuch aus Leder und einen Füllfederhalter hervor. »Okay. Erzähl mir genau, wie weit eure Scheidung gediehen ist.«
»Das weiß ich nicht«, gestand Milly. »Wie gesagt, ich habe mit der Post ein paar Unterlagen bekommen, und ich habe etwas unterschrieben und zurückgeschickt.«
»Und was für Unterlagen waren das genau?«
»Woher soll ich das wissen?«, fragte Milly aufgebracht. »Könntest du solche Rechtsdokumente auseinanderhalten?«
»Ich bin Anwalt«, erwiderte Rupert. »Aber ich verstehe schon.« Er legte sein Notizbuch beiseite und sah auf. »Du musst mit Allan sprechen.«
»Das weiß ich!«, sagte Milly. »Aber ich weiß nicht, wo er steckt. Weißt du’s?«
Ein schmerzlicher Ausdruck huschte über Ruperts Gesicht.
»Nein«, sagte er kurz. »Keine Ahnung.«
»Aber du kannst es doch herausfinden?«
Rupert schwieg. Milly sah ihn ungläubig an.
»Rupert, du musst mir helfen! Du bist meine einzige Verbindung zu ihm. Nach Oxford, wo ist er da hingezogen?«
»Nach Manchester«, antwortete Rupert.
»Wieso hat er Oxford überhaupt verlassen? Wollten sie ihn nicht mehr?«
»Doch, natürlich«, meinte Rupert. Er trank von seinem Wein. »Natürlich wollten sie ihn.«
»Ja, aber warum ist er dann …«
»Weil wir uns getrennt haben.« Ruperts Stimme wurde unvermittelt rau. »Er hat Oxford verlassen, weil es aus war zwischen uns.«